Kapitel 2.

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Seit etwas mehr als einer geschlagen Stunde saß er nun schon hier und nippte immer wieder unauffällig an seinem bereits dritten Bier.

Dabei hasste er Bier.

Und er hasste es hier im Dunst von Zigarettenrauch zu sitzen und morgen womöglich wie ein alter abgestandener Aschenbecher zu riechen.

Am meisten hasste er es aber, dass er einfach nicht den Mut aufbrachte.

Mut, dort hinüber an die Bar zu gehen und etwas zu sagen, ihn anzusprechen.

Seufzend starrte er in sein noch fast volles Glas.

Die vormals kleinporige Schaumkrone hatte sich bereits zersetzt und zurück blieb eine Flüssigkeit, die in ihrer Konsitenz und besonders Färbung eher einem allzu bekannten menschlichen Endprodukt ähnelte.

Angewidert verzog er das Gesicht und schob das Glas von sich.

Was sollte er nur tun?

Dass er für diese Art der Berichterstattung nicht geboren wurde, war ihm bereits klar geworden.

Lange bevor er sich frustriert dazu überwunden hatte, dieses unsägliche Gebräu in sich zu schütten.

Und dennoch saß er jetzt hier.

In dieser kleinen Kneipe zwischen all den verlorenen Seelen, die sich tagein tagaus mit Alkohol betäubten,um ihrem tristen ewigen Kreislauf aus Perspektivlosigkeit wenigstens für einen kurzen Augenblick zu entkommen.

Ob es ihm ähnlich erging?

Mit unverhohlener Neugier starrte er zu dem Unbekannten und musterte ihn eingehend.

Er hatte es aufgegeben, sich unauffällig zu verhalten, als er nach einer Weile bemerkt hatte,dass sowieso niemand Notiz von ihm nahm.

Jeder hier war mit sich selbst und seinen eigenen Problemen beschäftigt, unabhängig von der Größe selbiger.

Das Haar des Unbekannten glänzte noch immer leicht feucht in der diffusen gelblichen Beleuchtung.

Außerdem schien er die Angewohnheit zu besitzen, sich auf die Innenseite der Wange zu beißen, wenn er nachdachte. Und er dachte viel nach.

Was wohl in seinem Kopf vorging?

Ob er an den Mordfall nur wenige Meter entfernt dachte?

Oder einfach über das Leben an sich sinnierte?

Er hätte ihn ja fragen können.

Einfach zu ihm hinüber gehen und ein wenig Smalltalk betreiben.

Vielleicht nicht unbedingt über das Wetter, aber irgendein Thema würden sie schon finden, dass es wert war, darüber zu philosophieren.

Und wann wollte er ihm gestehen, dass er ihn heimlich verfolgt hatte?

Dass er viel zu lange im strömenden Regen gestanden hatte, um ihn zu beobachten?

Und sich schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit des Wartens in diese Kaschemme geschlichen hatte, um ihn aus einer dunklen Ecke anzustarren wie ein irrer Stalker.

Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf. Das war doch albern.

Er war ein erwachsener Mann mit einigermaßen Selbstbewusstsein. Also würde er jetzt da rüber gehen und ihn ansprechen.

Mit gestrafften Schultern erhob er sich und atmete tief ein, bevor er langsam, fast in Zeitlupe, einen Fuß vor den nächsten setzte.

Wie eine Ewigkeit kam ihm die eigentlich kurze Strecke von seinem mehr oder minder guten Versteck mit dem abgeranzten kleinen Tisch und der muffigen Sitzgarnitur zu der etwas heller erleuchteten Bar vor.

Was vielleicht auch daran lag, dass er sich einen Ticken zu zögerlich bewegte.

War es seine Intention bisher nicht aufzufallen, hatte sich das spätestens mit der Tatsache erledigt, dass er eher wie ein Betrunkener statt einem mysteriösen Phantom durch die Lokalität steuerte.

Er wischte den Gedanken weg.

Wenn er sich jetzt auch noch um seine Wirkung scherte, könnte er direkt die Beine in die Hand nehmen unddie Flucht ergreifen.

Endlich stand er neben ihm.

So nah, dass er die Mischung aus regennasser Kleidung und kaltem Zigarettenrauch wahrnehmen konnte, die von ihm ausging.

Er war am Ziel. Dennoch schien er soweit entfernt zu sein von seinem Vorhaben, wie nur irgend möglich.

Statt ein lockeres Gespräch zu beginnen, musste er gerade ernsthaft seinen Körper daran erinnern zu atmen.

Was war eigentlich los mit ihm?

Seit wann ließ er sich so einfach aus dem Konzept bringen?

"Noch ein Bier?", fragte der Barkeeper griesgrämig.

Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und schüttelte nur stumm den Kopf.

"Vielleicht lieber eine Limonade?", hakte der Griesgram nach.

Stirnrunzelnd starrte er sein Gegenüber an und wollte gerade etwas erwidern, als der Unbekannte neben ihm sich plötzlich in seine Richtung drehte.

"Warum verfolgst du mich?",fragte dieser ausdruckslos.

Statt einer Antwort, verließ seine Kehle nur ein undeutliches Quietschen.

Na prima, jetzt würde jeder denken, er wäre nicht nur betrunken, sondern auch noch ein Idiot.

Der Unbekannte hob fragend eine Augenbraue und musterte ihn eingehend.

"Ich...", versuchte er sich stotternd zu artikulieren.

Allerdings blieb es bei dem Versuch. Plötzlich fühlte er sich so winzig gegenüber diesem Mann, der ihn mit kühlem Blick scheinbar fast schon analysierte.

"Ich bin Seokjin Kim. Aber alle meine Freunde nennen mich Jin.", bellte er schließlich.

Der Unbekannte verzog keine Miene, blinzelte nicht einmal.

Jin legte fragend den Kopf schief.

"Und du bist?", hakte er nach einigen Sekunden, in denen ihm unter dem Blick seines Gegenübers immer unwohler geworden war, schließlich nach.

Dieser drehte sich wieder weg und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Soju-Flasche.

"Nicht interessiert. Verschwinde einfach.", war die knappe Antwort.

Jin war wie vor den Kopf gestoßen.

Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?

Da mochte er noch so gutaussehend und geheimnisvoll wirken mit seinen dunklen Augen und dem leichten Bartschatten auf seinem kantigen Kinn.

"Noch was?", fragte der Unbekannte schroff.

Jedoch wartete er nicht einmal eine Antwort ab, sondern erhob sich mit einer fließenden Bewegung, die weitaus ästhetischer anmutete als die steifen Zuckungen, die Jin selbst gerade vollführt hatte.

Gebannt starrte er dem Geheimnisvollen hinterher, wie er einem Raubtier gleich beinahe geräuschlos durch den Raum schlich.

Erst, als die Eingangstür bereits wieder hinter ihm ins Schloss fiel, erwachte Jin aus seiner Trance.

Stirnrunzelnd starrte er auf die verschlossene Tür.

Na prima, das hatte ja wunderbar geklappt.



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