Es kostete ihn unglaubliche Überwindung, die Schwelle zu übertreten.
Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken daran, dass sich in diesen Gängen die letzten Überreste hunderter Menschen befanden.
Jin mochte keine Friedhöfe. Und solche Urnenhallen schon gar nicht.
Erinnerte es ihn doch immer irgendwie an eine Bibliothek mit den mannshohen Regalen und Fächern. Nur das diese eben nicht mit Büchern, sondern krugähnlichen Gefäßen gefüllt war.
Tief ausatmend trat Jin durch die sich automatisch öffnende Tür.
Im Gegensatz zu seiner Vorstellung war der Geruch, der ihm entgegenschlug eigentlich ganz in Ordnung. Eher ein Gemisch aus Blumenduft und Räucherstäbchen als nach Tod und Verwesung.
Vielleicht hatte er sich auch einfach zu viele Sorgen gemacht.
Verständlich, wenn man über einen längeren Zeitraum immer wieder mit Leichen konfrontiert wurde.
Langsam lief er über den glänzenden Fließenboden hin zu dem Gang, der ihm genannt wurde.
Die einzelnen Fächer waren allesamt gleichgroß und mit einer Glasscheibe versehen, die man auch öffnen konnte. Wenn man das denn wollte.
Zum beispiel, um neue Blumen abzulegen oder den wenigen Platz neben der Urne mit Fotos oder kleinen Glücksbringern zu dekorieren.
Schwer vorstellbar, dass auch Jin selbst hier irgendwann enden könnte. Und gruselig. Dass er den Gedanken schnell wieder verwarf.
Sein Blick glitt über die Regalwand, welche vollständig gefüllt war. Und doch erkannte er Marks Fach sofort.
Was nicht nur an dem gerahmten Foto neben der golden glänzenden Urne lag. Vielmehr an den dutzenden kleinen Figuren und bunten Acessoires, die rund um den Krug angeordnet waren.
Jin wusste, dass sein Freund diese Sachen mochte. Je niedlicher und kindlicher, desto besser.
Was den Anblick der Aufbahrung nur noch herzzereissender erschienen ließ.
"Es tut mir leid, dass ich erst jetzt komme.", begann der Reporter leise. Sein schlechtes Gewissen hatte ihm letztendlich fast schon körperliche Schmerzen bereitet. Und die Tatsache, dass Eric ihn zusätzlich darauf hingewiesen hatte, bisher noch keinen Schritt in diese halle gemacht zu haben, trug sein Übriges dazu bei.
"Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir uns nicht aus den Augen verloren hätten.", sprach Jin weiter. "Wenn ich mehr als ein paar Floskeln mit dir gewechselt hätte. Dann würdest du jetzt vielleicht wieder auf der Bühne stehen und den Mädchen in der ersten Reihe zuzwinkern."
Seufzend hob er die Hand, fuhr mit den Fingerspitzen über die Glasscheibe. Sein Blick ruhte auf dem Foto von Mark, auf dem er wie immer schelmisch lächelte. Das war sein Markenzeichen. Dieses freche Blitzen in den Augen.
DU LIEST GERADE
Artifice //Namjin//
FanfictionEr, der junge Journalist, der zum ersten Mal mit der grausamen und blutigen Realität konfrontiert wird, trifft auf den ernsten Ermittler, der eigentlich lieber alleine arbeitet. Werden sie ihre gegenseitige Abneigung und die Streitereien auf Eis leg...