Auf einem Bein hüpfend versuchte Jin in seine Hose zu kommen. Vielleicht hätte er doch nicht unbedingt die engste Jeans wählen sollen, aber es war das erste auf dem Klamottenstapel und er wollte jetzt nicht unnötig Zeit damit verbringen, ein passendes Outfit zu suchen.
"Möchtest du vielleicht einen Kaffee?", fragte er, nachdem er endlich den letzten Knopf der Hose geschlossen hatte und sich nun ein Shirt überzog.
"Nein, danke.", kam von Namjoon.
Der saß wartend auf der Couch und verfolgte jede Bewegung des Reporters mit den Augen.
"Oder ein Glas Wasser? Ich hab vielleicht auch Saft.", Jin räumte schnell ein halbes Dutzend leerer Sojuflaschen zur Seite, warf danach einen Blick in den Kühlschrank.
"Nein.", war die knappe Antwort.
"Ich kann dir auch was zu essen machen.", schlug der Blonde nun vor. "Du hast bestimmt wieder den ganzen Tag nichts gegessen und..."
"Nein, Jin.", unterbrach der Ermittler ihn harsch. "Ich möchte weder irgendwas trinken, noch essen oder sonst irgendeinen Unsinn. Ich will lediglich wissen, was du gestern gehört hast und vor allem von wem. Also zeig mir dieses verdammte Foto und lass die Hinhaltetaktik."
Mit großen Augen schaute Jin den Dunkelhaarigen an.
"Das ist keine..", begann er stotternd, gab dann jedoch unter dem eindringlichen Blick seines Gegenübers seufzend zu: "Okay, vielleicht ein bisschen."
Mit hängenden Schultern griff Jin nach seinem Handy, suchte in den Ordnern nach den besagten Fotos und setzte sich dabei neben Namjoon auf die Couch.
Der Ermittler rutschte automatisch ein Stück von ihm weg, was ihm ein Stirnrunzeln des Reporters einhandelte.
"Ist das dein Ernst?", hakte er nach. "Ich dachte, du willst das Foto sehen."
"Dafür musst du aber nicht auf meinem Schoß sitzen.", kam die kühle Antwort.
"Vielleicht ist das ja meine Forderung für das Foto.", entgegnete Jin, seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.
Namjoon ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, beugte sich zu seinem Gegenüber, bis ihre Gesichter nur Milimeter voneinander entfernt waren.
"Du meinst, du bist in der Position, Forderungen zu stellen?", fragte er provokativ.
Vollkommen perplex erstarrte Jin. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Automatisch wanderte sein Blick zu den Lippen des Ermittlers. Sie waren so nahe. Jede Faser seines Körpers schrie danach, sie zu küssen, mit der Zunge darüber zu fahren und sanft hinein zu beissen.
Es kam einer Folter gleich, sich gegen den Drang zur Wehr setzen zu müssen. War Namjoon nicht klar, was diese intensive Nähe anrichtete?
Scheinbar nicht. Oder es war ihm schlicht egal.
Nutzte er doch Jins Ablenkung und angelte nach dem Smartphone in dessen Hand.
Der Ermittler rutschte erneut von ihm weg, durchstöberte stirnrunzelnd die Fotogalerie. Und riss überrascht die Augen auf.
Ehe er in schallendes Gelächter ausbrach.
Erschrocken zuckte Jin zusammen: "Ist alles in Ordnung?", fragte er vorsichtig.
Das Gesicht in die Hände legend lachte Namjoon weiter vor sich hin.
"Vielleicht sollte ich das Angebot mit dem Kaffee doch annehmen. Oder direkt einen Schnaps.", sinnierte er kopfschüttelnd.
"In Ordnung.", zuckte der Reporter mit den Schultern, war bereits im Begriff, sich zu erheben, als er eine Hand an seinem Unterarm spürte, die ihn mehr oder weniger sanft zurückzog.
"Das war ein Witz. Ich werde mich jetzt ganz sicher nicht betrinken.", klärte Namjoon ihn auf.
Besorgt musterte Jin ihn, wie er da saß und sich immer ungläubig lachend wieder mit den Händen durch das Gesicht und die Haare fuhr.
"Von allen Wichsern in dieser Stadt muss Sejin sich ausgerechnet den miesesten aussuchen.", fassungslos starrte der Ermittler weiterhin auf das Display des Handys.
"Du kennst ihn?", erkundigte Jin sich behutsam.
Eine schier unendlich lang wirkende Zeit sagte keiner von beiden etwas.
Namjoon blickte stumm auf das Display. Jin dagegen betrachtete das Profil des Ermittlers, versuchte irgendeine regung auszumachen. Eine Geste, die ihm noch unbekannt war und die er sich einprägen wollte.
"Sie haben sich über mich unterhalten, hast du gesagt?", fragte Namjoon nachdenklich.
Der Reporter nickte.
"Dieser Typ hat mit jemandem telefoniert, als Sejin schon weg war.", antwortete er leise. "Du sollst beschattet werden. Noch intensiver."
Jin wusste nicht, ob er auch davon erzählen sollte, dass, wer auch immer dieser Mann war, er augenscheinlich Namjoons Schwachstelle suchte. Vielleicht hatte er es ja nur falsch verstanden.
Trocken lachte der Ermittler auf. Er ließ sich gegen die Sofalehne fallen, bedeckte mit dem Unterarm seine Augen.
"Der Mann auf dem Foto ist Lee Seung-hyun, besser bekannt als Seungri.", begann er zu erzählen. "Er ist der aktuelle Kopf der Triaden in Südkorea. Seit meiner Ausbildung habe ich sein Gesicht immer wieder sehen müssen."
"Er ist von der Mafia?", schnappte Jin schockiert nach Luft.
Namjoon drehte den Kopf in seine Richtung. Er wirkte müde, ausgelaugt.
"Seungri ist nicht nur von der Mafia. Er ist die Mafia.", erneut lehnte er den Kopf gegen das Polster, schloss die Augen. "Kein Wunder, dass wir nie etwas stichhaltiges gegen ihn in der Hand hatten, wenn er regelmäßig mit Revierleitern Wein trinkt."
"Sie wirkten aber, als würden sie sich schon länger kennen.", überlegte Jin laut.
Mit den Schultern zuckend meinte Namjoon: "Wer weiß, wie lange diese Geschäfte schon laufen."
"Das kann dir doch nicht so egal sein.", blaffte der Reporter ihn an. Reflexartig beugte er sich zu seinem Gegenüber, legte beide Hände auf dessen Oberschenkel und blickte ihn eindringlich an: "Dieser Typ lässt dich überwachen, er will deine Schwachstelle herausfinden und..."
Namjoon verengte die Augen, als er nach Jins Händen griff und diese von sich schob.
"Ich habe keine Schwachstelle mehr.", sprach er kühl.
Der Satz fühlte sich wie ein Schlag in die Magengrube an.
"Allerdings werde ich mich mit Sejin unterhalten. Schick mir die Fotos bitte.", bat der Dunkelhaarige, erhob sich in einer fließenden Bewegung von der Couch und war bereits im Begriff, die Wohnung zu verlassen.
"Ich kann doch auch mit.", schlug Jin vor und hechtete, natürlich weitaus weniger elegant, ebenfalls zur Wohnungstür.
Namjoon warf ihm einen eisigen Blick zu: "Mit Sicherheit nicht."
Der Reporter folgte ihm in den Hausflur, nahm gleich zwei Treppen auf einmal und verfluchte den Ermittler innerlich für seine langen Beine.
"Komm schon. Ohne mich hättest du die Infos überhaupt nicht.", fast war es Jin ja ein bisschen peinlich, dass er so quengelig klang und sich wie ein Irrer vor die Motorhaube von Namjoons alten Kia stellte.
"Würdest du bitte zur Seite gehen?", stöhnte der Ermittler genervt auf.
Jin schüttelte stur den Kopf: "Erst wenn du sagst, du nimmst mich mit. Ansonsten musst du mich überfahren."
Namjoon blickte ihn an, sagte nichts.
Musste er jetz etwa wirklich überlegen?
"Wenn du mich nervst, setze ich dich unterwegs aus.", knurrte er, bevor er die Fahrertür öffnete.
"Wir fahren ernsthaft damit?", erkundigte Jin sich mit einem fast schon angewiderten Blick auf den rostigen Kleinwagen vor sich, verstummte allerdings sofort, als er Namjoons Blick wahrnahm.
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Artifice //Namjin//
FanfictionEr, der junge Journalist, der zum ersten Mal mit der grausamen und blutigen Realität konfrontiert wird, trifft auf den ernsten Ermittler, der eigentlich lieber alleine arbeitet. Werden sie ihre gegenseitige Abneigung und die Streitereien auf Eis leg...