Jin verfolgte mit den Augen die gleichmäßige Bewegung der Scheibenwischer.Hin und her.
Immer wieder quietschten die Wischblätter über die Windschutzscheibe.
Das einzige Geräusch seit geschlagenen zehn Minuten.
Zwar hatte Namjoon sich nochmal nach dem belauschten Gespräch von Sejin mit diesem Mafiaboss erkundigt und Jin hatte geduldig jedes gehörte Detail über den Sohn und auch die angesprochene Überwachung des Ermittlers erklärt.
Aber seitdem herrschte Schweigen.
Unangenehmes betretenes Schweigen.
Unschlüssig starrte Jin weiter nach vorn. Sein Blick fiel auf das vollkommen verstaubte und zerkratzte Armaturenbrett, dass sich perfekt ins Bild des unaufgeräumten Innenraumes fügte. Inklusive einem völlig überfüllten Aschenbecher, Millionen von Krümeln in jeder noch so kleinen Ritze und unidentifizierbaren Flecken auf den abgeranzten Polstern.
Es war wenig verwunderlich, dass er sich in diesem Wagen unwohl fühlte.
Mit der Fingerspitze fuhr er über das Armaturenbrett, besah sich leicht angewidert die schwarze Staubschicht und überlegte angestrengt, wo er es abwischen sollte. Und sich in derselben Bewegung nicht noch schmutziger zu machen.
"Wir hätten auch mit meinem Wagen...", begann er vorsichtig, wurde allerdings sofort unterbrochen,
"Nein.", entgegnete Namjoon knapp, musterte seinen Beifahrer aus dem Augenwinkel und besonders dessen Finger, die er unauffällig am Sitzpolster abzuwischen versuchte.
"Schon gut. Es war nur eine Idee.", erwiderte Jin beleidigt. "Der Motor klingt nicht so gut. Vielleicht solltest du mal bei Gelegenheit..."
"Der Motor ist vollkommen in Ordnung.", unterbrach ihn der Ermittler erneut. Diesmal war ein deutliches Zähneknirschen zu vernehmen. "Der hält seit fast 20 Jahren durch, also wird er das jetzt auch. Es gibt auch etwas in meinem Leben, auf das ich mich verlassen kann."
Das hatte gesessen. Jin verstand den Wink sofort, schluckte seine Antwort jedoch lieber herunter.
Nachdenklich starrte er aus dem Seitenfenster auf die nasse Straße.
"Weißt du, die Sache mit der Akte..", wollte er sich erklären.
"Ich will es nicht wissen.", schon wieder unterbrach Namjoon ihn unhöflich.
"Aber ich hab sie wirklich nicht gelesen.", versuchte der Reporter es dennoch erneut, was mit einem genervten Schnauben kommentiert wurde.
"Das ist mir egal. Die Sache ist abgehakt."
"Wenn du mir doch nur mal die Chance geben würdest, das Ganze zu erklären...", so langsam wurde auch Jin wütend.
"Es ist alles gesagt.", die Stimme des Ermittlers klang so eisig, dass die Temperatur im Wageninneren gefühlt direkt drei Grad niedriger wurde. Auch sein Tonfall ließ keinen anderen Schluss zu, dass das Thema für ihn tatsächlich beendet schien.
Das dürfte ja wohl nicht sein Ernst sein.
Er ließ ihn sich ja nicht einmal erklären. Selbst ein Mörder auf der Anklagebank hatte noch das Recht, eine letzte Aussage zu machen.
Schmollend verschränkte Jin die Arme, starrte wieder auf die Scheibenwischer und war bereits nach wenigen Sekunden so unsagbar genervt von dem Geräusch, dass er die Hand ausstreckte und das Radio einschaltete.
Ein uraltes Teil, aber es funktionierte und so dudelte kurz darauf ein netter Popsong irgendeiner aktuellen Boyband.
Allerdings nur so lange, bis Namjoon das Radio wieder ausmachte.
"Oh bitte.", Jin rollte stöhnend mit den Augen. "Wenn wir uns jetzt eh die ganze Fahrt über anschweigen, kann wenigstens ein bisschen Musik im Hintergrund laufen."
"Mein Auto, meine Regeln.", schnaubte der Ermittler. "Willst du lieber aussteigen?"
Der Reporter würde sich hüten, irgendwas zu sagen.
Am Ende suchte Namjoon nur nach einem kindischen Grund, ihn tatsächlich am Straßenrand auszusetzen.
Stattdessen verschränkte Jin die Arme, drehte das Gesicht absichtlich zum Seitenfenster. Und konnte sich doch nicht verkneifen, eine Grimasse zu ziehen und die Worte des Ermittlers leise nachzuäffen.
"Kannst du dich bitte wie ein Erwachsener verhalten?", genervt verengte Namjoon die Augen, worauf sein Beifahrer trocken auflachte: "Erwachsene reden miteinander."
"Wenn es wieder um diese dämliche Akte geht..."
"Ja, geht es.", diesmal war Jin derjenige, der ihn abwürgte. "Ich will einfach nicht einsehen, dass wegen ein paar Blättern oder was auch immer alles plötzlich nicht mehr von Bedeutung sein soll, was zwischen uns war."
Namjoon sagte nichts.
Stur blickte er nach vorn, hielt das Lenkrad umklammert. Nur die weiß hervortretenden Knöchel ließen darauf deuten, dass ihm die Worte des Reporters wohl doch nicht so egal waren.
"Rede.", presste er schließlich aus zusammengebissenen Zähnen hervor.
Jins Augen weiteten sich.
"Wirklich?", fragte er ungläubig nach.
Forschend blickte er Namjoons Profil an. Versuchte rauszufinden, ob er es ernst meinte oder das nur ein blöder Witz von ihm war.
"Du gibst ja doch keine Ruhe. Aber erwarte nicht, dass direkt alles vergessen ist und ich dir um den Hals falle.", meinte der Dunkelhaarige, die Augen weiter auf die Straße gerichtet.
Jin schmunzelte bei der Vorstellung. Schnell wurde er jedoch wieder ernst.
Okay, jetzt kam es darauf an.
Zwar hatte er sich dieses Gespräch schon mehrfach vorgestellt und somit einen ungefähren Wortlaut im Kopf, aber jetzt schien das alles komplett gelöscht.
Also Improvisation.
Tief Luft holend schloss Jin die Augen. Er öffnete den Mund.
Und wurde erneut unterbrochen.
Diesmal jedoch nicht von Namjoon, der hatte brav gewartet. Der Ruhestörer diesmal war das Handy des Ermittlers.
"Was ist los?", fragte dieser, als er das Gespräch entgegen nahm.
Kurz trat Stille ein, während er aufmerksam zuhörte. Augenscheinlich schien der Anruf nicht besonders erfreulich zu sein, verdüsterte sich doch Namjoons Gesicht zusehends.
"Fantastisch.", beendete er tonlos das Gespräch. "Jetzt muss ich dich ernsthaft mit an einen Tatort nehmen."
Jin schluckte: "Der Killer?"
Nickend gab Namjoon Gas, ordnete seinen Kleinwagen in den fließenden Verkehr ein.
"Ein weibliches Opfer. Ausgerechnet im Gebäude von Alpha Entertainment.", klärte er auf.
"Das ist ein Scherz, oder?", schnappte der Reporter nach Atem. "Wie kann das dort niemandem auffallen?"
"Er wird mutiger. Und macht hoffentlich Fehler.", antwortete der Ermittler. In seiner Stimme war ein leichter Funken Hoffnung zu erkennen.
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Artifice //Namjin//
FanficEr, der junge Journalist, der zum ersten Mal mit der grausamen und blutigen Realität konfrontiert wird, trifft auf den ernsten Ermittler, der eigentlich lieber alleine arbeitet. Werden sie ihre gegenseitige Abneigung und die Streitereien auf Eis leg...