Kapitel 57

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Als nach dem Klopfen das "Herein" ertönte, betrat Jin den Raum.

Namjoon saß rauchend an seinem Schreibtisch, das Fenster hinter ihm weit geöffnet. Der Geruch nach Regen vermischte sich mit dem typischen Zigarettenqualm.

"Wo warst du? Ich hab in deiner Redaktion angerufen, aber sie meinten, du wärst nicht dort.", meinte der Ermittler, blickte kurz von seinen Akten zu Jin auf.

"Du spionierst mir hinterher?", fragte der misstrauisch.

Zwischen Namjoons Augen bildete sich eine tiefe Furche: "Würde ich spionieren, sehe das anders aus. Ich wollte mit dir Kaffee trinken."

Seine Worte stimmte Jin sofort wieder milde. Gleichzeitig hatte er ein schlechtes Gewissen.

"Entschuldige, ich war unterwegs.", antwortete er Relativ wahrheitsgemäß.

Sollte er ihm sagen, dass er sich mit Eric getroffen hatte?

"Du verheimlichst mir was.", stellte Namjoon fest.

Ertappt zuckte Jin unter seinem forschenden Blick zusammen.

"Wie kommst du auf sowas? Ich verheimliche doch nichts.", winkte er mit einem verkrampften Lächeln ab. Er war noch nie besonders gut im Lügen gewesen.

Und gegenüber Namjoon, einem Polizisten, der wahrscheinlich einen Lehrgang für das Lesen von Gesichtern gemacht hatte, kam er sich direkt noch alberner vor.

Namjoon stützte die Ellbogen auf, legte sein Kinn auf die ineinander verschlungenen Hände und musterte den Reporter eingehend.

Der wurde immer kleiner unter dem Blick.

Sein schlechtes Gewissen hingegen umso größer.

"Naja, eigentlich...", begann der Blonde leise.

"Eigentlich?", wiederholte Namjoon fragend.

"Bitte beruhigen Sie sich!"

Namjoon und auch Jin horchten beide auf. Das war eindeutig Yuns Stimme.

Kurz darauf wurde die Bürotür aufgerissen.

Statt einer kleinen hübschen Polizistin erschien jedoch ein weitaus größerer und weitaus wütend dreinblickender Revierchef im Türrahmen.

"Sejin, wie kann ich dir behilflich sein?", erkundigte sich Namjoon ruhig. Noch immer hatte er seine Pose nicht verändert.

"Willst du mich komplett verarschen?", schrie der bebrillte hochgewachsene Mann so laut, dass Jin direkt einen Schritt zur Seite trat.

Namjoon zuckte dagegen nicht einmal mit der Wimper.

"Glaubst du allen Ernstes, es fällt nicht auf, wenn plötzlich drei verdammte Akten aus der Aservatenkammer verschwinden?", Sejins Gesichtsfarbe wechselte von Rot zu Weiß und wieder zurück. "Und dann ausgerechnet die, nach denen du dich erkundigt hast?"

Der Ermittler zuckte ungerührt mit den Schultern: "Zufall."

Sejin trat vor seinen Tisch.

"Ich kann dir gerne sagen, was Zufall ist.", begann er. "Dass du nicht nur eine Aufsichtsbeschwerde am Hals hast, sondern mir dutzende Anwaltsschreiben ins Haus flattern von irgendwelchen Möchtergern-Idols, die du ohne Absprache mit dem Staatsanwalt vorgeladen hast."

"Du weißt selber genau, dass uns die Zeit fehlt, auf die persönliche Erlaubnis dieses schwitzenden Arschkriechers zu warten.", erwiederte Namjoon nun ebenso lautstark.

Mittlerweile war auch Yun in die Tür getreten und besah sich den Streit mit vor den Mund gehaltenen Händen.

"Dieser schwitzende Arschkriecher, wie du es so nett ausdrückst.", Sejin verengte die Augen zu Schlitzen. "Hat sich allerdings vor einer Stunde für deine Suspendierung ausgesprochen."

Jin rutschte das Herz in die Hose.

Auch Yun riss die Augen weit auf.

"Das kann er gar nicht.", knurrte Namjoon leise.

Sejin beugte sich zu dem Ermittler: "Solange die interne Untersuchung läuft, bist du beurlaubt. Was danach passiert, liegt nicht mehr in meiner Hand."

Er flüsterte Namjoon irgendetwas zu, dass Jin nicht verstehen konnte.

Aber aufgrund Namjoons düsterem Blick dürfte es nichts allzu Gutes gewesen sein.

"Gib mir deine Waffe und Marke.", befahl Sejin.

Namjoon sah einen kurzen Augenblick zu ihm auf, tat dann allerdings wie geheißen.

Jin stand weiterhin abseits, beobachtete das Ganze, als wäre es ein schlechtes Schauspiel.

Was war schief gelaufen, dass sie erwischt wurden?

Hatte irgendwer sie verraten?

Sein Blick glitt kurz zu Yun, die nicht minder geschockt wirkte wie er selbst.

Was würde jetzt aus dem Fall werden, wenn Namjoon nicht mehr ermitteln dürfte?

Jin schluckte.

Es war vielleicht dumm. Nicht nur vielleicht, sondern ganz sicher.

Aber wahrscheinlich war es aktuell die einzige Chance, die sie hatten.

Auch, wenn sein schlechtes Gewissen ihn mittlerweile aufzufressen schien.

Leise seufzend nahm er sein Smartphone in die Hand und suchte Erics Nummer.

Artifice //Namjin//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt