Wie ein Schleier überzog der feine Nieselregen die Stadt. Ließ jedes Gebäude und jede Straße kalt glänzend zurück.
Seit Tagen hatte sich das Wetter kaum geändert und langsam, aber sicher stellte sich eine gewisse Taubheit ein. Nicht nur durch die kalten Winde, die sich den Regenwolken anschlossen.
Blickte man in die Gesichter der Menschen, vermisste man jegliche Regung, jegliches Gefühl.
Alles wirkte grau, trostlos.
Selbst die Szenarie genau vor seinen Augen glich eher einem abstrakten Gemälde denn der Realität.
Der betonfarbene graue Hintergrund und davor die harten grellen Farben der Polizeilichter.
Dutzende Menschen, die immer wieder durch sein Blickfeld huschten, gekleidet in neogelbe Regenmäntel, bildeten einen nahezu absurden Kontrast zu der dunkel verschwommenen Menschenmasse, in der er sich selbst befand.
Allerdings hatte er immer mehr das Gefühl, nicht hierher zu passen.
Das mochte zum Einen an seinem Aufzug liegen. Während alle um ihn herum scheinbar gemeinsam im selben Laden eingekauft hatten und nahezu dieselbe schwarze Regenjacke trugen, stach er selbst mit seinem beigefarbenen Mantel wie ein Pixelfehler aus dem schwarzen Hintergrund heraus.
Zum Anderen wuchs von Sekunde zu Sekunde seine Unsicherheit.
Hatte er sich das wirklich gut überlegt?
War das hier wirklich die Welt, zu der er ab sofort gehören wollte?
Stunden im eiskalten Regen zu verbringen und an Tatorten herumzulungern in der Hoffnung, irgendwie an eine Information zu kommen, die bisher noch niemand kannte, um damit einen Platz auf der ersten Seite zu erhaschen?
Er schüttelte resigniert den Kopf.
Warum hatte er sich dazu überhaupt überreden lassen?
Ja, er wollte endlich seriösen Journalismus betreiben und nicht mehr nur über die Skandale und Schönheitsoperationen der Stars und Möchtegern-Sternchen schreiben.
Aber war es das wert?
Hier würde er statt dem erhofften Pulitzer höchstwahrscheinlich nur eine Lungenentzündung bekommen.
So hatte er sich das überhaupt nicht vorgestellt.
Er kam aus einer bunten Welt voller Scheinheiligkeit und falschen Lächeln.
Das hier war zwar das wahre Leben, die Realität. Aber in einer Version, die ihm eher einen Schauer über den Rücken jagte.
Die alptraumhafte Variante, in der Menschen starben.
Was mit abgestumpften Mienen stillschweigend zur Kenntnis genommen wurde.
Er hatte immer mehr das Gefühl, dass diese Menschen um ihn herum zwar über den Tod und das Leid berichteten, es sie aber ansonsten kalt ließ.
Gewalt und Blut, je mehr, desto besser. Das steigert die Auflage und das Honorar.
Aber bloß keinen Gedanken an die Opfer verschwenden.
Wen interessiert schon, wer da abgeschlachtet auf dem Boden lag?
Ihm wurde schlecht. Er musste hier raus.
Angeekelt, wahrscheinlich auch von sich selbst, bedeckte er seinen Mund mit dem Unterarm und kämpfte sich einen Weg aus der Masse.
Die empörten und teilweise sogar beleidigenden Kommentare ignorierte er.
Er wollte nur noch weg. Weg von diesem Ort. Weg aus dieser Welt.
In der Gewalt und Morde scheinbar so unbedeutend waren, dass selbst die Polizei selbst es ohne jegliches weiteres Interesse zur Kenntnis nahm.
Der Regen wurde allmählich stärker.
Aus dem leichten Nieseln entwuchs ein ausgewachsener Schauer, der seinen Mantel durchtränkte und desen Kälte bis in seine Knochen zu kriechen schien.
So langsam verfluchte er den Tag, an dem er zugestimmt hatte, in die Lokalreportage zu wechseln.
Das war nichts für ihn.
Wahrscheinlich hatten seine Kollegen doch recht und er war einfach zu weich für die harte Realität.
Endlich hatte er sich aus der Menge befreit.
Schwer atmend schloss er die Augen und hielt das Gesicht in den Regen.
Seine Gedanken drehten sich im Kreis. So schnell, dass er sich regelrecht zwingen musste, zum Stillstand zu kommen.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit schien sein Puls sich einigermaßen beruhigt zu haben, dass er wieder dazu in der Lage war, die Lider zu heben.
Überrascht hielt er den Atem an, als er nicht mehr nur den altbekannten abgesperrten Parkplatz mit dem Polizeiaufgebot vor sich sah.
Sondern auch einen großgewachsenen Mann, der scheinbar wie aus dem Nichts aufgetaucht war und nun mit seinem schwarzen Anzug inmitten der gelben Regenmäntel hervorstach.
Auch er wirkte wie eine fremdartige Gestalt.
Und dennoch hatte er etwas faszinierendes, fast anziehendes an sich.
Sein rabenschwarzes Haar glänzte feucht im Schein der aufblitzenden Blaulichter.
Das kantige Gesicht und die gerade Nase standen im vollkommenen Kontrast zu den vollen Lippen.
Der Blick des Mannes war ernst, beinahe schon kalt.
Aber er zeigte Interesse, war der erste hier, dem man voll und ganz nur anhand seiner Gestik Glauben schenkte, wie sehr ihn diese unwirkliche Szenarie anwiderte.
Hin und hergezogen zwischen dem Drang endlich zu verschwinden und der Neugier, die dieser unbekannte Mann in Ihm auslöste, stand er einfach nur starr im strömenden Regen und blickte auf das Geschehen vor sich.
Das war doch verrückt.
Gerade wollte er am liebsten noch kotzen und jetzt hatte er keinerlei Kontrolle mehr über seine Gliedmaßen und starrte einen ihm völlig Fremden ungeniert an.
War er auch Polizist?
Wenn ja, warum trug er keine Uniform?
Ob er undercover war? Aber warum machte er dann keinerlei Anstalten, sich vor den Journalisten zu verstecken?
Irgendwas hatte dieser Mann an sich, dass man ein unstillbares Bedürfnis bekam, mehr über ihn zu erfahren.
Scheinbar war die Entscheidung, ob gehen oder bleiben, doch schneller getroffen, als erwartet.
Zumindest wollte er die Begegnung mit dem Unbekannten als positives Zeichen des Schicksals betrachten.
Vorerst.
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Artifice //Namjin//
FanfictionEr, der junge Journalist, der zum ersten Mal mit der grausamen und blutigen Realität konfrontiert wird, trifft auf den ernsten Ermittler, der eigentlich lieber alleine arbeitet. Werden sie ihre gegenseitige Abneigung und die Streitereien auf Eis leg...