Kapitel 48

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Jin konnte ihn schon aus der Ferne erkennen. 

Was wohl neben seiner Größe auch an der imposanten Erscheinung lag. Und dass sein Herz jedesmal für einen Schlag aussetzte, wenn ihre Blicke sich trafen.

Schützend hielt der Reporter seinen Regenschirm über den am Boden knieenden Ermittler, welcher bereits wieder dabei war, in einen seiner Notizblöcke zu schreiben.

"Du kommst spät.", erwähnte dieser beiläufig.

Jin verkniff sich eine Erklärung, die wahrscheinlich die Worte Kleidungswechsel, Stau und Müdigkeit enthielten.

Stattdessen antwortete er: "Ich hab Kaffee dabei."

Er reichte Namjoon einen der beiden Pappbecher, welcher dankend angenommen wurde.

Der Dunkelhaarige nippte an dem Heißgetränk, betrachtete sein Gegenüber eingehend, ehe er die Stirn kraus zog.

"Es macht übrigens keinen besonders seriösen Eindruck, wenn du mich die ganze Zeit wie ein verliebtes Schulmädchen angrinst."

Jin entglitten bei seiner Anmerkung die Gesichtszüge: "Entschuldige.", stotterte er.

Fassungslos drehte er den Kopf weg. Versuchte, sich wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bringen.

Er hatte überhaupt nicht gemerkt, dass er wirklich, seit er den Tatort betreten und Namjoon entdeckt hatte, dümmlich gelächelt hatte. Hoffentlich war es niemandem der Umstehenden aufgefallen.

Ein kurzer Blick in die Umgebung zeigte ihm jedoch, dass alle brav mit ihrer Arbeit beschäftigt waren und somit auch gar keine Zeit hatten, auf einen wasserstoffblonden Reporter zu achten, der blöd in die Landschaft griente.

"Also, was haben wir?", räusperte sich Jin schließlich und versuchte wieder die Dialoge aus einschlägigen Krimis aufzulegen.

"Die Mitbewohnerin.", antworte Namjoon mit Blick auf den abgesperrten Bereich direkt am Ufer des Hangang-Rivers. "Laut Rechtsmedizin liegt sie wohl etwas um die zwei Wochen im Wasser und wurde heute Nacht angespült."

"Vor den Toren Gangnams.", sinnierte Jin und schaute nachdenklich auf die gegenüberliegende Flussseite, welche von den hell erleuchteten Hochhäusern der Innenstadt gesäumt war.

"Durch den Aufenthalt im Wasser wurde die Verwesung zwar beschleunigt, aber das Opfer dürfte ungefähr zeitgleich mit dem dritten Opfer ermordet worden sein.", las Namjoon aus dem Bericht des Pathologen vor.

Jin griff ungefragt in die Jackentasche des Ermittlers und angelte sich ein Paar Einweghandschuhe hervor, was dieser mit einem Stirnrunzeln quittierte.

Vollkommen ungerührt davon ging Jin auf die Leiche zu und hockte sich davor hin.

"Kein schöner Anblick, ich weiß.", trat Namjoon neben ihn.

Das war gar kein Ausdruck.

Die Haut des Mädchens war aufgedunsen in einem fahlen hellen Blau und wirkte wie aus Wachs. Schlimmer war jedoch der Geruch. Süßlich faul und unverwechselbar.

Jin schluckte den sauren Speichel, der sich unter seiner Zunge gebildet hatte, mit größter Anstrengung hinunter.

"Schon gut.", antworte Jin flach atmend. "Ich hab mich an sowas gewöhnt, seit ich mit dir zusammen...", ihm wurde klar, was er gerade sagen wollte, also berichtigt er schnell: "arbeite."

Namjoons süffisantes Lachen schien über den kompletten Tatort zu hallen.

Zumindest fühlte es sich für Jin so an, weshalb er schnell wieder zum eigentlichen Thema zurückkam.

Artifice //Namjin//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt