Privat Stunde

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~Jappo~

Sorgfältig sortierte ich die Gitarren zurück in die Ständer, nachdem die Jungs die Bühne fluchtartig geräumt hatten.
Pascal wollte nach Kevin sehen und die anderen wollten die Stadt ein bisschen unsicher machen, nur Vanessa leistete mir Gesellschaft.
Sie hatte gerade die schwarze E-Gitarre von Pascal in der Hand. „Kannst du spielen?", fragte ich neugierig.
„Was?", völlig überrumpelt drehte sie sich um.
„Kannst du spielen?", fragte ich erneut.
„Ja, ein bisschen", antwortete die Kleine verlegen.
„Würdest du für mich etwas spielen?", hoffnungsvoll blickte ich die Kleine an, die die Gitarre wegstellte.
Warum wollte ich auf einmal, dass sie etwas für mich spielte?
Ein warmes Lächeln umspielte ihre rosigen Lippen.
„Klar", sie schnappte sich eine Akkustikgitarre und setzte sich auf den Bühnenrand, wo sie ihre Beine hinunter baumeln ließ.
Zögernd setzte ich mich neben sie. Warum schlug mein Herz auf einmal so schnell?
In dem Augenwinkel bemerkte ich auf der Empore zwei schwarze Gestalten, die auf mich gruselig wirkten.
„Weißt du wer das ist?", stupste ich sie vorsichtig an, da sie gerade die Gitarre stimmte.
„Ich habe keine Ahnung", flüsterte sie, „Die Beiden sitzen schon seit heute Morgen da."
Skeptisch betrachtete ich die Beiden, konnte ihren Körperbau allerdings niemanden zuordnen, den ich kannte. Einer besaß einen ziemlich muskulösen Körperbau, wo neben der andere wie ein Lauch aussah, obwohl er mehr Muskeln besaß als ich.
Wie oft sie wohl trainieren gehen?
Ich müsste auch mal wieder ein Fitnessstudio aufsuchen. Bei diesen beiden Körpern wurde man ja fast neidisch.
„Lass die Beiden doch einfach da oben sitzen", lächelte Vanessa, "Sie tuen niemanden was und Stören tuen sie ja auch nicht."
„Hast recht", stimmte ich ihr zu, „Vielleicht erfahren wir noch wer das ist. Interessieren würde es mich schon, wer uns den ganzen Tag heimlich beobachtet und wieso." Verstohlen blickte ich sie an.
Ihre blauen Augen funkelten wie tausende Diamanten und offenbarten mir ihre Seele, wohinter sich ein gefährliches Reptil want.
Wenn ich sie hier so sitzen sah, konnte man meinen sie sei ein völlig normales Mädchen, in dessen Inneren kein Drache schlummerte. Sie sah so friedlich und zufrieden aus. Das Mädchen erweckte etwas in mir, schon in Leipzig wo wir gemeinsam am Auesee saßen.
Hatte ich Gefühle für sie entwickelt? Nein, das konnte nicht sein.
Skeptisch zupfte sie an den Saiten der braunen Akustik-Gitarre, um diese erneut zu stimmen.
Prüfend spielte die Kleine ein paar verschiedene Akkorde auf dem Instrument, die unweigerlich die Tiefen meines Herzens berührten. Auf meiner Haut bildete sich eine Gänsehaut.
Dann fing sie an eine zusammenhängende Melodie zu spielen, die den Raum liebevoll umarmte.
„Tearing me apart. With words you wouldn't say. Suddenly tomorrow. Moment washed away. 'Cause I don't have a reason. And you don't have the time. We both keep on waiting. For something we won't find."
Ihre Stimme drang tief in mein Herz ein und wärmte es sinnlich, Balsam für meine Seele.
„The lights on the horizon. Was brighter yesterday. Shadows floating over. Skies begin to fade. You said it was forever. But then it slipped away. Standing at the end of final masquerade."
Linkin Park- Final Masquerade
Akustik
Tränen liefen mir aus den Augen, konnte dagegen nichts tun.
Ihre Stimme war voller Leid. Ich schielte zu den schwarzen Gestalten auf der Empore, die sich mit den Ärmeln über die Augen wischten. Ihnen schienen es nicht besser zu gehen.
Ich wusste nicht wieso, doch die Geste der Beiden beruhigte mich ein wenig, ließ sie menschlicher wirken. Entgeistert blickte mich Vanessa an, nachdem sie die Gitarre zur Seite gelegt hatte.
„Du hast geweint", behutsam legte sie eine Hand auf meine Schulter.
„Deine Stimme ist so gefühlvoll", wischte ich mir über die Augen, „Ich bin aber scheinbar nicht der Einzigste dem es so geht."
Überrascht musterte die Kleine die beiden Personen, die den Kopf wegdrehten.
Ein sichtlich gutgelaunter Pascal trat an uns heran, nervös betrachtete er seine Schuhspitzen.
„Was hast du auf dem Herzen?", spielte ich Therapeut, was ihn zum schmunzeln brachte.
„Ich wollte fragen", fing der Gitarrist an, „Ob ich bei dir schlafen kann, Jappo. Kevin braucht seine Ruhe und zudem ist es im Zimmer so warm wie in einer Sauna."
„Klar kannst du bei mir pennen!"; lächelte ich, „Dann bin ich nicht mehr so einsam. Wo sind eigentlich die Anderen? Immer noch in der Stadt?"
„Nein, sie sind am Essen", antwortete der Orangehaarige.
„Die Horde ist einfach nicht satt zu bekommen", kopfschüttelnd erhob ich mich von der Bühnenkante und reichte Vanessa die Hand an der sie sich hochzog.
Sorgfältig stellte sie die Gitarre zurück.
Paralysiert begutachtete ich jeden von ihren grazilen Bewegungen.
Wie konnte man nur so hübsch sein? Irritiert fand ich den Blick von ihr ab. Was war bloß in mir gefahren?

Zerbrochene Welt (Eskimo Callboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt