6|Erinnerungen, nichts weiter

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Ohne eine Reaktion oder Bemerkung von mir zu geben kam Enes wieder und schilderte, dass er wieder auf die Arbeit müsse.
Den restlichen Tag verbrachten wir drei in der Bibliothek und brachten unser Plakat mit der Präsentation zu Ende.

~

Mir war bewusst wie viel Arbeit das werden würde, aber nachdem mein gelber Pullover aus dem obersten Regal einfach fiel obwohl ich nur davor stand, musste ich mir klar machen, dass ich eventuell nicht lebend rauskam.
Wieso staute ich das alles?
Dachte ich nie daran alles ordentlich reinzulegen?

Ab sofort schon!
Ich band meine Haare zurück und nahm als aller erstes die Kleiderbügel hinaus, die immer drei Teile auf sich hatten. Nachdem ich mein Bett voll damit belegt hatte, bestrafte ich mich gleichzeitig, denn nun musste ich wirklich aufräumen, sonst könnte ich nicht schlafen gehen. Es war neun Uhr.
Gott sag mir wieso tue ich das jetzt?, betete ich hoch.

Motivation! Das war notwendig. Sofort eilte ich zu meinem Laptop, auf dem Schreibtisch, und ließ meine Musik laufen.
Sobald die Musik durch mein Zimmer spielte und ich meine Balkontür auf Kipp lehnte, für frische Luft an diesem stickigem Sommerabend, machte ich mich energiegeladen an die Arbeit.

Es dauerte ganze zwei Stunden bis ich alle Kleiderbügel plus Pullover sortierte. Dabei kam wirklich viel Müll rum, den ich loswerden wollte.
Als nächstes beschäftigte ich mich mit den Shirts und mit der Zeit flogen immer mehr Sachen euch mein Zimmer. Zwar war ich am Aufräumen, doch mit jeder Sekunde wurde mein Zimmer nur schmutziger. Überall lag Kleidung und ich hatte aus Versehen meine Nachttischlampe umgestoßen, war auch zu faul um sie aufzuheben, weshalb sie auf dem Boden liegen blieb.

Summend und nickend zum Takt der Musik steckte ich einen Stapel Oberteile wieder hinein, die jedermann immer anziehen könnte. Ganz schlichte weiße und schwarze Shirts.
Als ich mich entfernte um mich wieder an die Oberteile auf meinem unordentlichem Bett zu konzentrieren, zog ich unabsichtlich an einem meiner Gürtel, welches vom Kleiderstab fiel.
Ich zog unachtsam daran und es zog eine weiße Kiste hinaus.

Verwundert blickte ich sie an.
Eine weiße Kiste?
Was hatte ich denn darin, dass es so weit hinten in meinem Schrank verstaut war? Meine Augen weiteten sich und mein Mund wurde trocken. Es war die Kiste.

Sekunden, sogar Minuten, starrte ich die weiße Kiste an, als würde ich auf etwas warten.
Mit festem Blick darauf, dass es ja nicht verschwand, kniete ich mich hin und legte meine Hände darum. Eine Gänsehaut durchfuhr mich, wenn ich nur daran dachte, welchen Inhalt sie trug.
Bitter schluckte ich durch meinen trockenen Hals und stand auf.

Unsicher trat ich zu meinem Schreibtisch und legte es neben meinen Laptop. Ohne auch nur den Blick von der Kiste abzuwenden tätigte ich einen Druck und die Musik verstummte.
Das einzige was zu hören war, war mein lauter Seufzer und die Windzüge, die in das Zimmer strömten.
Langsam legte ich meine Hände auf den Deckel und kämpfte mit meinem Verstand. Es flehte mich schon regelrecht, es nicht zu tun. Diese Kiste sofort loszuwerden, aber ich konnte nicht. Ich wollte nicht.

Schon lag der Deckel auf dem Tisch und ich starrte hinein. Als hätte ich all meine Gefühle und Gedanken mit in dieser Kiste vergraben, sprang mir alles entgegen und ich verzog mein Gesicht um nicht zu weinen.
Die letzten vier Monate hatte ich nicht mehr geweint, jetzt würde ich es nach sechzehn Monaten auch nicht tun.
Ein Jahr und vier Monate war alles her.
All das.
Alles, was ich hier drinnen versteckte.

Langsam zog ich eine verwelkte Rose hinaus.
Vorsichtig strich ich über die vertrockneten Blätter und erinnerte mich daran zurück.
Es war die letzte Rose, die ich aufhob. Die letzte Rose von dem ersten Blumenstrauß, den er mir kaufte.
Es war genau vor meinen Augen, wie er mich anlächelte und mir diese Rosen reichte. An diesem Abend kamen wir ganz offiziell zusammen.

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