57|die Einzige

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Der Polizist ließ uns weitergehen und schnell zog Kenan mich weiter, dabei behielt er mich ganz nah an sich.
Ich sah langsam zu ihm auf und studierte sein Gesicht während er prüfend umhersah und beim Ausatmen eine weiße Wolke entstand.
Sein Gesicht war fast zu markant und perfekt. Wie konnte man bloß so einen Sohn gebären? Heilig war das einzige, was sein Äußeres exakt beschreiben würde.

~

Seit einer halben Stunde saßen wir nun auf dem Bordstein. Meine Beine hatte ich an mich gezogen und meine Arme darum gelegt während Kenan seine Beine leicht einknickte und seine Arme ebenfalls um sie legte, doch weitaus nicht so angespannt und zusammengepackt wie ich. Er saß locker, als hätte ich nicht gerade gesehen wie er Drogen verkauft und mich geküsst hat, bloß damit der Polizist dachte, dass wir anderweitig beschäftigt waren.
Da war ich mir ziemlich sicher, dass er mich bloß deswegen geküsst hat.

Diese halbe Stunde sprachen wir noch nicht, aber ich hatte mich mit diesen Gedanken angefreundet.
Dennoch hatte ich es sehr genossen, seine Wärme zu spüren. Scheiße.
Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, würde eigentlich mit den Fingern dagegen drücken, wie ich es so oft tat, aber ich wollte meinen festen Griff nicht lösen.

Kenan seufzte und sah auf die leere Straße vor unseren Füßen. Sollte ich zuerst sprechen? Erst über den Kuss oder die Drogen?
Ich konnte es noch immer nicht glauben. Kenan sollte dealen? Er mochte ein Arschloch sein und viel Mist gebaut haben, aber ich war mir sicher, dass er niemals die Finger an illegales Zeug rühren würde.
Das dachte ich auch von mir, doch ich selbst hatte Drogen sogar konsumiert. Ich konnte mir ja selbst nicht einmal glauben, was erwartete ich dann bei ihm?
Verächtlich schnaubte ich auf und das war sein Signal etwas zu sagen.

„Ich deale nicht.", sagte er ganz leise. Sofort schellte mein Blick neben mich, doch er sah ernst vor sich. Entsetzt starrte ich ihn an. Mehr sagte er nicht. Das war alles was er nun zu sagen hatte?

„Willst du mir jetzt wieder weis machen, dass ich dir und nicht meinen Augen glauben soll?", rief ich laut aus und er seufzte, legte seinen Kopf in den Nacken und blies eine weiße Wolke in die Luft.
Er biss sich auf die Unterlippe und sah wieder geradeaus. Etwas in mir zog sich zusammen und ich schluckte. Hör auf Seren, ermahnte ich mich innerlich, Kenan war nicht über Nacht schöner geworden, reiß dich zusammen!

„Glaub was du willst.", brummte er,„Aber ich verticke keine Drogen." Ungläubig runzelte ich die Stirn und beließ es dabei ihn anzusehen, da er mich sowieso kein einziges Mal ansah. Somit wanderte mein Blick wieder nach vorne Tür dunklen Straße.
Bedrückt seufzte ich.

„Und wieso hattest du dann Drogen bei dir?", fragte ich kleinlaut und legte mein Kinn an meinen Knien ab. Nervös biss ich mir von Innen auf die Wangen. Oder nahm er die Drogen? Angst breitete sich in mir aus.
Das wollte ich nicht. Wirklich nicht.

„Egal."

„Nimmst du die selbst?", flüsterte ich und das so leise, dass ich es selbst kaum hörte, doch er anscheinend schon. Sofort sah er zu mir und ich presste meine Lippen zu einer Linie.

„Nein! Verdammt Seren ich-..", fluchte er und seufzte,„Das.. Koray dealt. Hat gedealt." Augenblicklich sah ich zu ihm hoch. Er sah wieder hoch in den Himmel und ich konnte, obwohl er mich nicht ansah, Schmerz aus seinem Gesicht lesen.
Koray war der Drogendealer? Und wieso das? Er brauchte es ebenso wenig wie Kenan.. Verständlich, da sie Brüder waren.

„Koray? Aber wieso?", fragte ich schockiert. Er zuckte mit den Schultern und legte seine Hände zurück um sich auf denen abzustützen. Ich löste meine Arme und drehte mich in seine Richtung.

„Ich habe keine Ahnung was ich tun soll.", gestand er frustriert,„Er macht nur noch Scheiße und ich weiß einfach nicht wie ich ihn davon abhalten kann. Er verarscht die Mädchen, auch schon früher, aber es wird extremer! Ich habe einige Male Zigaretten bei ihm gefunden, dazu auch nichts gesagt, schließlich ist er zwanzig. Er zettelt Schlägereien an und ich hole ihn aus der U-Haft bevor unsere Eltern das mitbekommen und jetzt auch dieser Scheiß! Der Junge verkauft Drogen seit drei Wochen und ich habe sie aus Zufall gesehen, als ich in sein Zimmer geplatzt bin." Schweratmend löste er seinen Blick und nahm einen kleinen Stein in die Hand. Weggetreten betrachtete er es.

Was war bitte aus Koray geworden?
Er war doch immer so fröhlich und unbeschwert, doch tat so vieles, dass auf etwas ganz anderes deutete.
Kenan hatte bloß Korays Drogen weitergegeben? Ja aber war er sein Bote oder wie? Weshalb erledigte er das?

„Und was ist dann passiert?", fragte ich neugierig.

„Wir haben gestritten und.. vielleicht habe ich ihm dann eine verpasst bevor ich ihm all die Scheiße weggenommen hatte und.. jetzt halt alles an diese Idioten verkauft habe. Naja eher geschenkt. Wir haben aber noch immer nicht darüber geredet, dass sein Verhalten scheiße ist.", erzählte er offen und warf den Stein quer über die Straße,„Was soll ich tun Seren? Er ist mein kleiner Bruder und ich kann doch nicht zusehen, wie er auf die schiefe Bahn gerät." Überfordert sah ich wieder auf die Straße.

Ohne groß nachzudenken fing ich einfach an zu sprechen:„Vielleicht will er ja deine Aufmerksamkeit.. oder von euren Eltern. Ich meine, es ist keine Lüge, wenn ich sage, dass du die kaum was aus Koray machst. Du hast ihm so oft versprochen bei ihm zu bleiben, aber bist immer wieder gegangen. Es kann auch gut möglich sein, dass er es einfach aus der Lust heraus macht oder wegen den Reiz. Ich denke du solltest wirklich mit ihm reden, ohne Schläge! Vielleicht braucht er auch einfach jemanden zum Reden und es würde ihm sehr viel bedeuten, wenn du derjenige wärst." Ich sah wieder zu ihm und Kenan sah mich schon längst an.

„Es ist meine Schuld, dass er so ein Arsch ist. Ich hätte ihm ein Vorbild sein müssen, aber stattdessen habe ich ihm gezeigt, wie er alles perfekt falsch machen konnte.", klagte er über sich. Unwillkürlich legte ich meine Hand auf seine Schulter und sah ihn intensiv an.

„Nein. Es ist deine Schuld, wenn ihm etwas zustößt, weil du nun davon weißt, aber nichts tust.", machte ich klar,„Wenn du jetzt für ihn da bist würde es schon reichen. Er muss wissen, dass er jemanden hat, der für ihn da ist. Jemand, der ihm hilft seine Fehler zu beseitigen und ihn nicht verurteilt." Kenan sah von einem Auge in das andere.

„Wie kann es sein, dass du nach allem was passiert ist, immer noch die einzige Person bist, die in solchen Momenten für mich da ist?", fragte er leise. Ich zog meine Hand wieder zurück, zuckte mit den Schultern. Mehr konnte ich auch nicht tun. Auf diese Frage hätte ich dich auch keine Antwort.
Ich stand auf und klopfte auf meine Jeans um den Dreck wegzubekommen. Kenan tat es mir gleich und wir beide standen nun voreinander.

„Ich fahr dich nachhause.", entschied er und ich sah ihn grimmig an,„Also.. Kann ich dich nachhause fahren?" Ich öffnete meinen Mund um zu antworten, doch das Klingeln meines Telefons unterbrach mich. Rasch zog ich es aus meinem Mantel und sah Lewis Namen auf den Bildschirm. Mist seine Medikamente! Das hatte ich zwischen all diesen Chaos total vergessen.

„Ich muss noch zu Lewis und ihm die Medikamente geben, er ist krank deswegen.", antwortete ich und er nickte.

„Dann warte ich im Auto.", sagte er und ging an mir vorbei,„Komm." Einige Sekunden starrte ich verwirrt Löcher in seinen Rücken, doch als er sich umdrehte und mich ansah eilte ich sofort zu ihm.
Ich setzte mich in sein Auto und hielt die Luft an. Es war total merkwürdig wieder hier zu sitzen. Mein Blick glitt über das gesamte Auto und überall klatschten Erinnerungen mitten in mein Gesicht.

Sowie Kenan es schon sagte, wartete er unten auf dem Parkplatz während ich Lewis die Medikamente gab und verabreichte.
Zwanzig Minuten später stieg ich wieder zu ihm und ohne ein Wort zu sagen, fuhr er mich nachhause. Auch als ich ausstieg sagten wir nichts. Ich ging über die Straße und legte meine Hand um das eisige Tor, doch zog es nicht auf. Stattdessen drehte ich mich noch einmal um und winkte ihm zu.
Kenan lächelte kurz und winkte ebenfalls. Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen ehe ich auch sofort zum Haus joggte und ihn wegfahren hörte.

Egal was ich tat ich landete immer wieder bei diesem Mann.

Okay ich bin absolut müde und nicht bereit für Sonntag, denn das bedeutet übermorgen Montag. Maaaan!!!
Kenan ist doch nicht der Drogendealer unter uns, aber dafür immer noch ein Aksoy.
Wollen er ein Enes-Seren Gespräch haben? Es wird verzweifelt haha

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