28|angenehme Stille

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Bedrückt seufzte ich und sah vor mich auf die leere Gleise. Meine Musik spielte ab und in diesem Moment setzte sich jemand neben mich. Ich sah flüchtig nach rechts und zog meinen Atem tief ein, hielt ihn.
Kenan saß neben mir, den Blick nach vorne gestreckt, als wüsste er nicht, dass er sich neben mich setzte.

~

Meine Bahn brauchte viel zu lange. Ich wippte nervös mit meinem Bein und wollte einfach so schnell es ging weg von hier.
Kenan steckte sein Telefon wieder ein und ich spürte seinen Blick auf mir.

„Wieso bist du noch hier?", fragte er. Ich verdrehte die Augen und sah zu ihm.

„Ich wollte die Bahn beobachten. Ist mein neues Hobby geworden.", antwortete ich ihm sarkastisch und auch er verdrehte nun die Augen,„Was willst du hier? Du hast doch deine tausend Autos." Er zuckte wieder mit den Schultern und sah vor sich.

„Ich habe gerade ein neues Hobby entdeckt.", meinte er und ich sah ihn stumm an. Nachdem ich nichts erwiderte sah er mich wieder an und wirkte ruhig. Irgendwie auch kalt und distanziert.

Die Gleisen quietschten und die Bahn fuhr ein. Sobald die Bahn stehen blieb stand ich auf, schulterte meine Tasche und wollte gehen, doch Kenan griff plötzlich nach meiner Hand und ich drehte mich zu ihm.

„Lass mich los ich muss nachhause.", keifte ich und wollte meine Hand wegziehen, doch er ließ es nicht zu. Stumm sah er mich an während ich versuchte meine Hand aus seiner zu bekommen um in die Bahn zu steigen und nachhause zu fahren.
Er hielt mich einfach fest und wartete so lange bis die Bahn auch wegfuhr und wir wieder ganz alleine an der Station standen.

„Was willst du eigentlich? Ich habe keine Z-..", meckerte ich ihn an.

„Dich.", unterbrach er mich und sah ernst zu mir. Mit dieser Antwort hätte ich recht wenig gerechnet weshalb ich sprachlos vor ihm stand. Auch er sagte, wie so oft in diesen wenigen Minuten, nichts. Ich schnaubte genervt auf und setzte mich wieder neben ihn.

„Tja das hast du verbockt.", knurrte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. Er seufzte und lehnte seinen Kopf zurück, gegen die Metallstäbe. Ich sah hoch auf die Anzeigetafel. Erst in zehn Minuten kam die nächste Bahn. Zehn Minuten hier ruhig sitzen? Schaffte ich das?

Wir beide saßen still nebeneinander und waren selbstständig beschäftigt. Während ich hunderte Male umhersah und mir alles einprägte starrte Kenan auf seine Schuhe und wippte mit dem rechten Bein.
Seine Hände hatte er in den Hosentaschen und saß lässig zurück während ich total angespannt den Rücken durchgestreckt hatte und krampfhaft versuchte nicht zu ihm zu sehen.

„Wie läuft dein Studium?", fragte er und ich schnaubte verächtlich auf,„Erzähl es mir bitte." Ich sah aus dem Augenwinkel zu ihm. Er sah mich auch nicht an.

Es war wirklich dämlich und zeigte einfach nur wie naiv ich zu allem stand, was mit ihm zutun hatte, aber diese kleine Geste, dass er hier einfach saß und mir Gesellschaft leistete machte mich.. glücklich, irgendwie. Er könnte doch auch so gut nachhause fahren oder sonst was tun, aber er saß einfach hier an einer Bahnstation um bei mir zu sein.
Ich seufzte.

„Gut. Ich bin jetzt schon im sechsten Semester.", fing ich an zu erzählen und es war wirklich schräg, dass es mir nichts ausmachte nach allem so normal und unabhängig mit ihm über mein Studium zu sprechen.
Er hörte mir wirklich aufmerksam zu und unterbrach mich kein Mal.

„Und bei dir so?", fragte ich zurück und konnte mir diesen zusätzlichen Kommentar nicht verkneifen,„Deine Karriere ist dir wichtiger als alles andere." Sofort sah er zu mir und setzte sich aufrecht hin.
Ich war so bereit, dass er mich nun blöd anmachen würde, aber stattdessen nickte er.

„Auch gut. Nächstes Jahr bin ich durch.", antwortete er ruhig und seufzte bedrückt hinterher,„Dann geht es in die wundervolle Arbeitswelt." Ich sagte nichts und sah bloß vor mich. Es herrschte eine recht angenehme Stille, die ich gerne so lang ziehen würde wie es nur ging.

„Wir beide-..", zerstörte Kenan es jedoch ganz schnell und ich sah ihn flehend an.

„Bitte.", brachte ich leise hervor,„Bitte lass uns nicht über uns reden. Ich habe gerade wirklich nicht die Kraft unter all dem aufrecht zu stehen. Lass uns einfach.. sitzen. Nicht reden." Er musterte mich und ich wollte nur zu gerne wissen, was in seinem Kopf passierte.

„Okay.", flüsterte er und ich sah ihn dankend an. Ich sah wieder vor mich, doch die Stille blieb nicht. Mein Telefon klingelte und nur zwei Sekunden später auch seines.

„Für uns gibt es wohl keine Ruhe.", murmelte er und ich sah flüchtig zu ihm. Da hatte er mehr als nur recht.
Meine Mutter rief mich an. Ich ging ran und Kenan stand auf um weiter weg zu gehen, damit er an den Anruf rangehen konnte sowie ich.

»Wo bleibst du? Deine Vorlesung hat doch schon vor einer halben Stunde geendet.«, fragte sie und ich sah überrascht auf die große Uhr an der Station. Ich saß wirklich seit einer halben Stunde mit Kenan hier und tat nichts anderes. Hatte ich denn die Bahnen gar nicht bemerkt, die an mir vorbeifuhren?

„Äh.. Ich komme jetzt.", sprach ich und beobachtete Kenan von hinten während er telefonierte.
Meine Mutter hielt mir eine Predigt, dass ich mich nicht so lange draußen herumtreiben sollte, doch ich sah bloß zu Kenan, der angespannt wirkte und versuchte leise zu sprechen.

»Hörst du mir zu? Seren ich rede mit dir!«, riss meine Mutter mich aus den Gedanken und seufzte,»Baran ist losgefahren. Er holt dich vom Bahnhof ab. Du bist doch da oder?« Ich kratzte mich an der Schläfe und schloss müde meine Augen.

„Äh ja. Ja ich warte auf ihn.", stimmte ich zu und öffnete wieder meine Augen,„Bis gleich." Ich legte auf nachdem auch sie sich verabschiedete. Kenan kam zurück und auch die Gleisen quietschten wieder.

„Ich muss dann mal los.", sagte ich und die Bahn fuhr ein,„Tschüss." Ich wollte umdrehen, doch Kenan machte einen Schritt auf mich zu.

„Ich kann dich fahren.", bot er an,„A-Also nur wenn du willst natürlich." Ich zwang mir ein kurzes Lächeln auf.

„Nein danke. Baran holt mich sowieso am Bahnhof ab.", schilderte ich und er sah ratlos umher.

„Ich könnte dich auch zum Bahnhof-.."

„Kenan. Nein. Danke wirklich, aber ich kann auf mich selbst aufpassen. Bis.. irgendwann.", unterbrach ich ihn und die Türen öffneten sich. Er seufzte, doch ließ nach und trat zurück. Ich stieg in die Bahn und ermahnte mich selbst nicht zurückzusehen.

Doch natürlich musste ich über die Schultern sehen und Kenan winkte mir nochmal zu ehe er sofort die Hand senkte und aussah, als wollte er das gar nicht tun.
Ich winkte zurück und Erleichterung machte sich auf seinem Gesicht breit.
Vielleicht könnte sich ja doch alles regeln.

Eine ruhige halbe Stunde zwischen den beiden
Wird sich denn alles regeln? 😏

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