72|„Was willst du?"

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„Seren?", ertönte es rechts von mir. Sofort folgte ich der Stimme und Kenan stand dort. Seine Schultern angespannt und seine Hände in den Taschen des Mantels vergraben. Ich legte den Kopf schief und sah in sein Gesicht. Er war blass und seine Nasenspitze rot. Stand er die ganze Zeit über hier?

~

Ich drehte mich in seine Richtung und blieb ein gutes Stück von ihm entfernt stehen, doch Kenan schien nicht die selbe Vorstellung zu haben, da er auf mich zukam um genau vor mir stehen zu bleiben.

„Was tust du noch hier?", fragte ich irritiert und zitterte schon am ganzen Körper. Er biss sich auf die Unterlippe, was unglaublich heiß aussah.. Stop! Jetzt war nicht die Zeit dafür.
Ich räusperte mich und wendete den Blick von seinen vollen Lippen ab.

„Ich.. Äh.. Also ich..", sprach er und es wandelte sich in ein hauchdünnes Flüstern,„Habe auf dich gewartet." Meine Lippen, die ich zuvor aufeinander presste ließ ich locker und das Zittern nahm zu.

„Wieso bist du nicht rein gekommen?", fragte ich weiter und deutete mit den Kinn auf sein Gesicht,„Du bist doch total eingefroren." Er zog die linke Hand aus der Jackentasche und kratzte sich am Nacken.

„Ich.. wusste nicht ob du alleine warst. Und ich habe immer noch überlegt ob ich wirklich warten sollte.", erklärte er beschämt,„Eigentlich wollte ich gerade sogar gehen." Ich holte tief Luft.

„Oh.", brachte ich monoton hervor,„Oh." Ein weiteres Mal. Ich nickte unbehaglich und drehte ihm wieder die Schulter zu. Er wollte gehen. Er hatte sich dagegen entschieden, auf mich zu warten. Ich krallte meine Fingernägel durch den Mantel und hoffte, dass Erkan endlich mal auftauchte, da es arschkalt war.
Es wäre gelogen, wenn ich nun behaupten würde es hätte mich nicht verletzt, dass er gehen wollte. Denn das hatte es.

Ich zappelte auf der Stelle und sah gebunden auf den leeren Parkplatz, doch spürte Kenans Anwesenheit noch. Sein Geruch war trotzdem noch um mich.
Langsam drehte ich den Kopf nach rechts und da stand er noch immer. Sofort sah ich wieder vor mich, als hätte er nicht gesehen, dass ich auf ihn starrte.

„Worauf wartest du?", fragte er. Ich rieb meine Lippen übereinander um den Lippenstift zu verteilen.

„Erkan."

„Achso."

„Ja."

Er blieb an Ort und Stelle. Ich seufzte und plötzlich kam mir etwas in den Sinn. Etwas, was ich schon viel früher hätte fragen sollen. Eigentlich hatte ich ja schon die Antwort: Seine Zukunft. Um mehr über das Management zu erfahren flog er fort, aber.. Das wollte ich nicht glauben. Ich konnte nicht. All diese Monate hatte ich mir noch dazu gedichtet, dass er mich nur benutzt hatte, aber wenn er hier doch vor mir stand, wieso verlangte ich dann nicht eine vernünftige Antwort?
Das war er mir schuldig.

„Wieso?", fragte ich einfach und drehte mich dabei zu ihm. Er sah von links nach rechts.

„Was?", hakte er nach und wirkte angespannter als zuvor. Wollte ich die Antwort wirklich hören? Was, wenn sie mir nicht gefiel? Oh Mist, aber es gab nein zurück mehr. Dieses Wort hatte meinen Mund schon längst verlassen.

„Wieso hast du das Land verlassen?", erläuterte ich. Das Land? Nein das war mir doch scheißegal. Er hätte mich mitnehmen können und alles wäre perfekt gewesen. Die Frage sollte eher lauten, wieso er mich verlassen hatte.

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