#91 Verzweiflung

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Eine Zeit lang saß ich wirklich nur da und habe geweint. Ich weine nicht oft, aber diesmal ist mir wirklich nicht anders zu mute. Ich weiß nicht, wo das alles noch hinführen wird. Ob Luna jemals wieder richtig gesund wird, ob wir jemals wieder zu leben können, wie vor ein paar Monaten noch... Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als endlich wieder als glückliche Familie leben zu können.


Irgendwann muss ich laut einer anderen Krankenschwester, als gerade eben, aber gehen. Also verabschiede ich mich von Luna, auch wenn irgendwie schweren Herzens. Ich würde am liebsten die ganze Zeit bei ihr sitzen, bis sie wieder aufwacht, mich anlächelt und irgendetwas zu mir sagt...

"Tschüss, mein Engel. Ich muss gehen, aber ich komme morgen wieder, versprochen. Ich lass dich hier nicht alleine, gerade jetzt nicht. Vergiss nicht, ich liebe dich, ich liebe dich so sehr. Fühl dich gedrückt und geküsst, ja?" Ich streiche über ihre Wange. "Du bist das Wichtigste für mich, niemals lasse ich zu, dass dir etwas passiert. Wenn es sein muss, sterbe ich, aber du sollst leben. Du verdienst das Leben wie kein anderer, meine Schatz, meine Liebe, mein Leben." Danach stehe ich auf und verlasse mit einem letzten Blick auf Luna das Krankenzimmer.


Niedergeschlagen gebe ich die Schutzkleidung wieder bei der Schwester ab und trotte zum Auto. Dort angekommen setze ich mich rein, lehne meinen Kopf gegen das Lenkrad und lasse einen frustrieten und verzweifelten Schrei raus. Ich schlage meinen Kopf immer wieder gegen das Lenkrad, bis er weh tut. Mein ganzer Körper zittert, ich bin zu gar nichts mehr wirklich in der Lage. Ich bin verzweifelt, frustriert und will nur noch schreien und heulen. Ich brauche etwas zur Beruhigung, sonst werde ich es nicht heil mit dem Auto nach Hause schaffen.

Luna und ich haben ein kleines Medikamentenlager im Auto, von Lager ist nicht wirklich die Rede, wir nennen es aber so. Es ist nur das Handschuhfach, in dem ein paar Tabletten gegen so übliche Dinge wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Halsschmerzen verstaut sind, falls es uns mal schlecht gehen sollte, während wir unterwegs sind. Aber natürlich keine Beruhigungstabletten!

Da fällt mir ein, dass neben dem Krankenhaus eine kleine Apotheke ist! Die haben bestimmt was zur Beruhigung da. Also reiße ich mich kurz zusammen und steige dann wieder aus dem Auto aus, gehe zur Apotheke. Dort werde ich direkt von einer älteren Verkäuferin begrüßt, sie lächelt mich freundlich an. "Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?", fragt sie. "Hallo, Senora... Hätten Sie etwas zur Beruhigung für mich da?" Ich probiere, so normal wie möglich zu klingen, aber meine Stimme verrät, dass ich es bin, der dringend diese Tabletten braucht.

"Aber natürlich, einen Moment." Sie verschwindet nach hinten, vermutlich ins Lager. Nach ein paar Minuten kommt sie wieder, mit einer Packung in der Hand. "Hier sind 20 Tabletten drinnen, reichen die Ihnen?" Ich nicke. "Danke. Wie viel macht das?" Sie nennt mir den Preis, ich reiche ihn ihr rüber und verabschiede mich, dann verschwinde ich mit den Tabletten schnell ins Auto.


Dort öffne ich die Verpackung, meine Hände zittern wieder. Ich nehme eine Tablette, lege sie auf meine Zunge. Hinten steht noch eine Flasche Wasser, damit schlucke ich die Tablette herunter und verstaue die Beruhigungstabletten in dem Handschuhfach, die können hier bleiben, zuhause haben wir ja welche.

Ein paar Minuten warte ich, bis die Tablette anfängt, zu wirken. Als das eintritt, fahre ich los. Ich muss noch einkaufen, was in meinem Zustand natürlich nicht ideal ist, aber wir haben ja absolut nichts mehr zuhause, also muss ich wohl oder übel.


Im Supermarkt angekommen schnappe ich mir einen Einkaufswagen und arbeite mich quasi von Gang zu Gang. Ich nehme das Nötigste mit: Brot, Nudeln, Kartoffeln, Aufschnitt, Gemüse und Obst, Lias Brei, Milch, ein paar Tiefkühlpizzen und Fertiggerichte. Das wird für die nächsten Tage wohl reichen.

Nachdem ich bezahlt habe, lade ich alles ins Auto ein und fahre dann zu Maria und Francisco, um Lia abzuholen. Vielleicht beruhigt es mich noch ein wenig mehr, wenn ich den restlichen Tag ganz meiner Tochter widme.


"Hey.", begrüße ich Maria knapp, als sie mir die Tür öffnet. "Mensch Matteo, du siehst so fertig aus. Geht es dir gut, ist was mit Luna?", fragt meine Schwiegermutter sofort. "Komm erstmal rein." Ich nicke kurz und folge ihr ins Wohnzimmer, wo meine Tochter mit direkt in die Arme läuft. "Papá!" Ich nehme sie auf meinen Arm und gebe ihr einen Kuss. "Hey, meine Kleine.", sage ich. "Also Matteo... Was ist los?" Ich seufze. "Luna... Sie hatte heute Nacht einen Herzstillstand und wäre beinahe gestorben."

Erschrocken sieht mich Maria an, ihre Augen füllen sich mit Tränen. "W-was?" Ich nicke langsam. "Sie liegt jetzt im Koma, aber laut dem Arzt sollte sie in den nächsten Tagen aufwachen..." "Oh Gott...", schnieft sie und nimmt mich dann in den Arm. "Sie wird das ganz sicher überstehen." "I-ich hoffe es so sehr, Maria..." Auch ich habe wieder angefangen, zu weinen. "Shh Junge, das wird schon wieder alles." Ich ziehe die Nase hoch ich wische mir mit einer Hand die Tränen aus dem Gesicht.

Maria ist sowas wie eine Zweitmutter für mich. Zu meiner hatte ich nie viel Kontakt, das weiß man ja... Auch wenn ich jetzt regelmäßig mit ihr spreche, sie wohnt immer noch in Italien. Sie kann nicht einfach so herkommen, mich in den Arm nehmen, mich beruhigen, einfach bei mir sein. Ich hab zu Maria so ein gutes Verhältnis, das kann man nicht von jedem Mann und seiner Schwiegermutter behaupten. Ich bin wirklich so dankbar dafür, dass ich mich so gut mit ihr verstehe. Und dafür, dass sie auch für mich da ist, jeder Zeit.



Etwa eine Stunde später, nachdem ich bei Maria noch mit zu Abend gegessen habe, sie hat mich dazu eingeladen, zu bleiben, komme ich mit Lia nach Hause. Die Kleine gähnt, ich schmunzele etwas. "Bist du etwa schon müde, Maus?", frage ich und setze sie auf der Couch ab. "Lia Bett.", meint sie zustimmend. "Gut, lass Papá nur noch schnell die Einkäufe einräumen, dann gehen wir zusammen schlafen, wenn du willst, schläfst du heute bei mir im großen Bett." Begeistert nickt meine Tochter und ich mache mich schnell daran, die Einkaufstüten auszuräumen.

Nachdem ich fertig bin, mache ich Lia und mich selber bettfertig, dann liegen wir im Bett, sie hat darauf bestanden, einige ihrer Kuscheltiere mitzunehmen. Wirklich, ich konnte mit ihr nicht aus ihrem Zimmer raus, ohne, dass die ihre besten Plüschfreunde mitgenommen hat!

Jetzt liege ich hier also in unserem Bett, in mitten von Kuscheltieren, an mich angekuschelt meine Tochter. Mit ihr kuscheln hilft wirklich, um meine Trauer und Sorge etwas zu bewältigen. Nur habe ich eine sehr kluge Tochter, denn sie merkt, wenn es mir schlecht geht...

"Papá traurig?", fragt sie zum Beispiel jetzt.

"Ach Maus, wenn du nur wüsstest, was alles gerade hier abgeht. Aber du bist zu klein, um das zu verstehen. Vermutlich auch besser so.", antworte ich und Lia streicht mit ihrer kleinen Hand über meine Wange. "Papá icht traurig!", bestimmt sie und wieder schmunzele ich. "Na gut, Papá ist nicht mehr traurig.", sage ich und drücke sie etwas näher an mich, drücke einen Kuss auf ihre Löckchen.


Wenn sie nur wüsste, was gerade mit ihrer Mutter passiert...



Danke für 10K Reads!! Bedeutet mir echt viel <3

Lutteo - Alles perfekt, oder doch nicht?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt