Abschied

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Es war alles sehr schnell gegangen, zu schnell... nun stand ich vor dem kleinen Haus an der Westküste Irlands mit dem kleinen Bündel im Arm. Das Haus, an das ich so schöne Erinnerungen hatte, viel Zeit dort verbrachte und mich immer wie zu Hause gefühlt hatte. Ein kleines typisches irisches Landhaus. Dahinter lag ein wunderschöner Garten mit verborgen Ecken, vielen Kräutern sowie ein kleiner Teich, der kurz vor den Klippen endete. Das Highlight des Gartens waren allerdings die unzähligen alten Rosensträucher, die von Frühling bis Herbst, trotz des rauen Wetters in allen Farben blühten und dufteten. Allein bei dem Gedanken daran, kitzelte es leicht in meiner Nase und wehmütig dachte ich an meinen letzten Sommer hier zurück, als noch alles in Ordnung war und ich nur für den Moment Abschied nehmen musste. Das war nun 7 Monate her...

Es war ein stürmischer und kalter Tag im Januar gewesen. Eisig fegte der Nordwind über die Insel. Das Wetter spiegelte deutlich die Stimmung wieder von der ich umgeben war. Alles wirkte trist, traurig, grau in grau, so wie es auch in mir aus sah. Eine wirkliche Idee, wie es nun weiter gehen sollte, wusste ich nicht, aktuell funktionierte ich nur, hatte gar keine Wahl gehabt, anders zu Handeln und war auch irgendwie total überfordert. Wie sollte ich das in Zukunft überhaupt alles managen von Deutschland aus. Es war schon eine immense  Herausforderung für mich gewesen, alles stehen und liegen zu lassen, aber als die Klinik anrief und mit Nachdruck erwähnte, um was für Ausmaße es ginge, buchte ich sofort den nächsten Flieger und war 4 Sunden später auf der grünen Insel... leider zu spät.
Der Chefarzt erzählte mir irgendetwas von unvorhersehbaren Komplikation, das es zu lange gedauert hätte, bis sie in der Klinik war, und sie nichts mehr für sie tun konnten, außer das Leben des Kindes zu retten.
Susan war tot... meine Jugendfreundin, mit der ich trotz der Entfernung alles teilte, unsere Wünsche, Freuden, Gedanken, Pläne, sie war nicht mehr da... einfach aus dem Leben gerissen, und trotz der komplizierten Umstände war sie der glücklichste, fröhlichste und Zufriedenste Mensch, den ich kennenlernen durfte. Normalerweise hatte wir es all die Jahre so einrichten können, das wir uns alle zwei Monate besuchten, bis sie nach einem One night Stand im Urlaub im dritten Monat erfahren hatte, das sie Schwanger  war. Von Anfang an war klar gewesen, das es für sie eine absolute Risikoschwsngerschaft war. Sowohl die Ärzte, als auch ich sprachen lange mit ihr, rieten auch zum späteren Abbruch, aber sie wollte das Kind um jeden Preis bekommen, den sie nun mit ihrem Leben bezahlt hatte...

Susan und ich lernten uns vor Jahren in der Kurklinik für Jugendliche in Friedrichskoog kennen. Sie war drei Jahre jünger wie ich, und auf Grund ihrer Herz- und Atemwegserkrankungen dort zur Kur. Ich gehörte wegen meinem Alter eigentlich nicht dort mehr hin, da ich aber in meiner Kindheit und später auch als Jugendliche einige Male dort war, stimmte die Heimleitung zu. Allerdings hatte ich den besonderen Luxus, eine eigene kleine Wohnung dort Beziehen zu können, da ich mit meinen 20 Jahren doch auch andere Bedürfnisse hatte wie die anderen Patienten... zudem war ich freiwillig dort, suchte mir meine Therapien selber oder zog mich einfach zurück.

Das war nun achtzehn Jahre her, achtzehn Jahre einer wundervollen, innigen und tiefen Freundschaft, die nun plötzlich so abrupt beendet wurde, mich aus Deutschland nach Irland holte und mich vor Aufgaben stellte, wovon ich überzeugt war, nicht gewachsen zu sein. So sehr ich Susan vermisste, so sehr ihr Tod schmerzte, so verfluchte ich sie, schimpfte in Gedanken mit ihr, warum sie mir das Ganze aufgehalst hatte. Mich mit dem ganzen Mist hier alleine lies... und... aber dann wich die Wut wieder der endlosen Traurigkeit, der Angst und Verzweiflung den neuen Aufgaben, die mir bevorstanden nicht gewachsen zu sein.

Warum musste sie sterben, mich mit dem kleinen Bündel hier zurücklassen, das fragte ich mich immer wieder. Den medizinischen Grund wusste ich inzwischen natürlich, aber die Frage, warum Gott sie zu sich holen musste, nagte aber an mir, frass meine Gedanken auf und zerriss mein Herz. Sie hatte plötzliche Sturzblutungen, konnte gerade noch so den Krankenwagen rufen, bevor sie ihr Bewusstsein verlor und zusammenbrach. Auf der Fahrt dann ins Krankenhaus, setzte aufgrund ihrer Erkrankung immer wieder das Herz aus, mehrfach wurde versucht, sie zu reanimieren, damit ihr ungeborenes Kind jedenfalls einen Bruchteil einer Chance hatte. Im Krankenhaus waren dann keine Gehirnaktivitäten mehr festzustellen, sie wurde in den Op gebracht und ihr Kind per Notkaiserschnitt geholt. Wie durch ein Wunder hatte das Kleine es geschafft und war kerngesund. Etwas zart und klein, aber es war gesund.

Nun begleitete ich Susan auf ihrem letzten Weg, mit ihrem Kind in Arm, einigen Freunden, Nachbarn und keinem aus ihrer Familie, denn sie hatte niemanden mehr, außer irgendeiner Tante in den USA, zu der sie nie Kontakt hatte. Die Trauerfeier und abschließende Beisetzung lief vor mir wie ein Film ab. Ich war zwar körperlich Anwesend, hatte in der kurzen Zeit irgendwie versucht, es in ihren Augen ihr recht zu machen, das umzusetzen, was ihr gefallen hätte, wenn man unter solchen Umständen von gefallen sprechen konnte, aber es war ihr ehrwürdig, dennoch war ich gedanklich vollkommen woanders. Irgendwann bemerkte ich es allerdings und wachte aus meiner Starre auf, als mich ein Mann in meinem Alter kurz ansprach und fragte, ob ich Hilfe benötigte. Ich erschrak kurz, wank ab und sah nochmal zum offenen Grab. Rosen in allen Farben und Formen zierten den Sargschmuck sowie das Grabgesteck. Es waren ihre Lieblingsblumen... Das kleine Bündel im Tragetuch vor meiner Brust drückte ich nochmals an mich und folgte mit Abstand den anderen Trauergästen zum nahegelegenen Cottage. Eigentlich war mir nicht nach einem Umtrunk, aber das gehörte dazu, also hatte ich keine andere Wahl... Susans Nachbarn hatten geholfen, das Essen vorzubereiten, alles herzurichten, denn mit einem Neugeborenen, in einem dann noch  für mich fremden Land, alles für eine Beerdigung zu organisieren, überstieg für mich einfach das Machbare. Umso dankbarer war ich dazu, das Emily, Susans engste Freundin und Nachbarin hier einsehen hatte und mich nach Hause schickte... Nach Hause... wie das klang... noch war mein zu Hause in Hamburg, nicht hier in Kenmare, auch wenn mir das Haus, was Susan bis zu ihrem Tod bewohnte jetzt gehörte... und Rose, Susans Tochter.

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