Meer

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„Ich hetzte zur Therapie und bekam, sagen wir es mal einen kleinen „Einlauf", verpasst. ZuRecht, denn ich war zu spät und ich hatte um diese Therapiestunden richtig kämpfen müssen. Nun ja, nach der Sirzung stand erstmal nichts auf dem Plan und da schönes Wetter war, meldete ich mein Essen ab, schnappte mir ein Leihrad und radelte los. Die Klinik besaß einen etwas abgelegenen Strandabschnitt, wo sich meist nie Patienten, geschweige denn Urlauber aufhielten, sodass ich davon ausging, meine Ruhe zu haben. So war es auch zuerst. Ich saß in den Dünen, hing meinen Gedanken nach und versuchte sie wie üblich zu sortieren. Normalerweise beschäftigte mich unentwegt, wie es weiter gehen sollte, sollte ich den Schritt, nach Hamburg zu ziehen, mein Leben in der Eifel hinter mir lassen und Neustarten. Diesmal waren es die Geschehnisse der letzten Nacht. Patrick hieß er, und er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Was musste passiert sein, das er so gebrochen war, das er so verzweifelt war... ich war noch völlig in meiner Gedankenwelt, als sich jemand neben mir räusperte und ich aufsah. Die Sonne blendete, so erkannte ich zwar zunächst nur einen Umriss, dennoch wusste ich sofort, das es er war. „Darf ich?", fragte er nach und setzte sich ohne meine Antwort abzuwarten neben mich in den Sand zwischen die Dünen. Lange sprachen wir nicht miteinander. Wir schwiegen, aber es war kein unangenehmes Schweigen. Es war angenehm. Man fühlte sich nicht allein, aber auch nicht gezwungen irgendwie miteinander zu kommunizieren, bis er dann doch irgendwann die angenehme Stille durchbrach. „Danke nochmal... für gestern und so...", druckste er rum. Es war ihm anscheinend doch sehr unangenehm, das ich ihn in dieser Situation so vorgefunden hatte. „Nicht dafür...", gab ich zur Antwort, sah zu ihm und das erste mal tragen sich unsere Blicke und verbackten sich ineinander. Diese Augen, so tief, so blau und so unergründlich wie das Meer... sie sagten soviel in diesem kurzen Moment, bis er plötzlich aufstand, seine Hände in den Taschen seiner Hose vergrub und einfach verschwand. Komischer Kauz, dachte ich, allerdings war ich auch etwas neugierig... wer steckte hinter diesen Augen, welches Schicksal trug er mit sich rum... da es zu dämmern begann, packte ich ebenfalls meine Sachen und fuhr zurück. Dabei überholte ich ihn, denn er war zu Fuß unterwegs. Einige Meter weiter, hielt ich an. Ich wollte ihn kennenlernen, jedenfalls wissen, wer er so war, wie er so tickte, immerhin sollten wir ja noch gute 8 Wochen uns die Maisonette Wohnung teilen. „Komm, spring auf... der Weg zur Klinik zieht sich..." Unsicher überlegte er kurz, setzte sich dann aber doch auf den Gepäckträger und ich fuhr weiter. Am Klinikgelände angekommen, brachte ich das Fahrrad in den Schuppen und ging zurück zu ihm. Das Abendessen hatten wir verpasst, aber ich merkte deutlich, das ich Hunger bekam, denn ich hatte an dem Tag noch nicht wirklich was gegessen. „Pizza?" „Wie?" „Sollen wir uns ne Pizza holen? Fürs Abendessen sind wir zu spät..." Total verunsichert schaute er in alle Richtungen, nur nicht mich an und rieb sich mit seiner Hand über den Hinterkopf. „Magst du keine Pizza? Wir können auch zum Indonesier, der hat auch Take Away..." „Ich... ähm... ich... ich glaub ich hab keinen Hunger... ich geh rein... Bis dann...." Was war denn nun los... mir war natürlich aufgefallen, das er arg dünn war, und überlegte, ob er vielleicht eine Essstörung haben könnte, und deshalb hier war, was aber eigentlich nicht seien konnte, denn dafür war die Klinik nicht ausgelegt. Aber komisch war es mir damals schon, denn nie sah ich ihn beim Essen, geschweige denn was er in unserer Wohnung zu such nahm. Auf gut Glück entschied ich mich, ihm doch einfach was mitzubringen, bestellte zwei vegetarische Pizzen und einen gemischten Salat, zahlte und ging zurück. In der Wohnung deckte ich den Tisch, stellte eine Flasche Wein, die ich mir einfach von daheim mitgenommen hatte, auf den Esstisch und ging hoch. Wieder hörte ich leise Musik aus seinem Zimmer, klopfte aber dennoch an. Keine Reaktion. „Patrick? Darf ich...?" Gerade als ich schon erfolglos wieder runter gehen wollte, ging seine Tür auf. Ich sah sofort, das er wieder geweint hatte, und tat das, was ich bereits gestern wie selbstverständlich getan hatte. Ich ging auf ihn zu und nahm ihn einfach in den Arm. Diesmal lies er es auch sofort zu und war gar nicht angespannt. Nach einiger Zeit löste ich die Umarmung und zog ihn einfach hinter mir die Treppe runter. So langsam machte ich mir Sorgen. Immer und immer wieder fragte ich mich, was diesen jungen Mann widerfahren seien musste, das es ihm psychisch als auch körperlich so schlecht ging. Trotz seiner weiten Kleidung die er trug, konnte man sehr wohl erkennen, wie dünn er eigentlich war. Beim näheren betrachten war mir sein markantes, aber in meinen Augen schön gezeichnetes Gesicht aufgefallen. Ok, seine Haare waren mir eigentlich so geschoren, viel zu Kurz, aber was waren schon Haare... aber seine Augen... sein Blick... darin konnte ich mich verlieren und er hatte irgendwas an sich, was mich magisch anzog.
„Setz dich..." „Ich hab doch gesagt, das ich..." „Ja... leistest du mir denn jedenfalls Gesellschaft und trinkst ein Glas Wein mit mir?" Erstaunlicher Weise stimmte er zu und setzte sich zu mir an den Tisch. Nachdem ich meine halbe Pizza schon aufgegessen hatte fing er zaghaft an, im Salat rum zu picken und aß ihn letztendlich sogar auf was mich zufrieden Lächeln lies. Der Kerl brauchte ganz dringend was auf die Rippen. Nach dem Essen setzten wir uns gemeinsam auf die große Wohnlandschaft und allmählich lockerte der Wein auch seine Zunge etwas....

So das sollte für heute reichen Emily... mir schwirrt schon der Kopf..." „Ihr seit Euch näher gekommen...", stellte sie fest, worauf ich aber noch nicht Eingang... in meinen Erinnerungen zu kramen, davon etwas preis zu geben, kostete Kraft... aber es tat auch gut, darüber zu sprechen. Bisher wusste nur Susan davon, und natürlich Patrick...
Emily rief ihren Mann an, der sie abholen sollte und versprach morgen Rose zu nehmen, damit ich in Ruhe nochmal mit meinem Chef sprechen konnte. Natürlich wollte sie auch mit Sicherheit einen Grund haben, das ich die Geschichte weiter erzählte...

Kenmare... wo sich Zukunft mit Vergangenheit verbindetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt