Ängste, Gedanken, Zweifel

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Als ich am nächsten Morgen wach wurde schien bereits die Sonne hell durch das Turmzimmer. Ich drehte mich, wollte mich gerade zu Patrick kuscheln, da war die andere Bettseite leer... aber einen Brief entdeckte ich... noch total übermüdet richtete ich mich auf.

Good Morning my Sunshine!

Rose und ich sind mit Bono Brötchen holen. Die kleine Lady wollte mit uns heute kein Erbarmen haben und ist seit sechs Uhr top fit. Eine große Kanne Kaffee steht schon fertig in der Küche... du kannst auch gern noch schlafen... wir rocken das schon...

Love Pat & Rose

Bei den Zeilen ging mein Herz auf. Wie selbstverständlich er das so wuppte war mir immer noch unerklärlich. Auch das er freiwillig aufstand als notorischer Langschläfer und Morgenmuffel. Fakt war, er hatte es wieder geschafft mit so kleinen Gesten mein Herz schneller schlagen zu lassen, da konnte ich erst recht nicht weiter schlafen, sprang schnell unter die Dusche und zog mich an. Wenn er sich schon bereits den ganzen Morgen um alles gekümmert hatte, wollte ich jedenfalls das Frühstuck vorbereiten, was aber hinfällig war, als ich in die Küche kam. Liebevoll war bereits der Tisch gedeckt, ein Hochstuhl für Rose bereitgestellt und wie versprochen stand die fertige Kaffeekanne auf der Anrichte, wo ich mich erstmal dran bediente. Mit dem dampfenden Gold in meiner Hand stellte ich mich wie früher ans Panoramafenster im Wohnzimmer und genoss den Ausblick. Ich konnte mich damals schon nicht satt daran sehen, und es fühlte sich einfach wie nach Hause kommen an, wobei ich mich in Kenmare auch schon richtig zu Hause fühlte, mehr wie ich es je in Hamburg tat. Vielleicht lag es auch an dem Meer, welches wie hier direkt vor meiner Haustür lag, denn auch dort genoss ich es oft, einfach nur mit einer Tasse Tee oder Kaffee auf das endlose Wasser zu blicken und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Gedanken... und schon zog sich es in mir zusammen. Das hier, das war nicht nur Urlaub... sondern auch Therapie... Patrick... er hatte mich auf Grund unserer Situation gebeten, mit unserer alten Therapeutin einige Gesprächstherapien wahrzunehmen. Auch er hatte welche. Er war der Überzeugung, das würde uns beiden helfen, Dinge zu verstehen, erlebtes besser zu verarbeiten und damit umgehen zu können, anstatt es zu verdrängen... so wie ich es tat... Selbstverständlich hatte ich es ihm gegenüber nicht zugegeben, das ich weiterhin versuchte, die Erinnerung an Mark und ihn... den Sex... zu verdrängen, aber er hatte recht, ich tat es, wollte nicht daran denken, nicht die Bilder in meinem Kopf überhand gewinnen lassen und meine Ängste nicht zum Vorschein bringen. Ängste... was für Ängste... allein daran nur ansatzweise zu denken, lies mich erschaudern und versetzte mir einen Stich ins Herz.
Patrick hatte all die Jahre wesentlich mehr Erfahrungen mit Männern gesammelt. Wesentlich öfter mit einem Mann geschlafen, als mit einer Frau... mit mir... wenn es wirklich stimmte, womit ich mich immer noch schwer tat, das zu glauben, war ich seine einzige Frau gewesen, mit der er intim war. Aber reichte ihm das, reichte ihm das nur für den Moment oder auch auf Dauer? Fehlte ihm vielleicht auf Dauer etwas? Etwas, was ich ihm nicht, sondern nur ein Mann geben konnte... Zweifellos war ich nicht prüde oder verklemmt, und ging bereits davon aus, um so länger und öfter wir intim miteinander werden würden, das es auch auf andere Sachen hinauslaufen würde, Patrick es entweder versuchen oder mich drum bitten würde es zu versuchen, aber was war mit ihm. Wie sollte ich...? Schnell versuchte ich diese Gedanken auf Seite zu schieben. Unsere Gefühle für einander waren viel wichtiger, und viel kostbarer, als reiner Sex, dennoch gehörte er dazu. Die letzte Nacht ploppte plötzlich in meinen Gedanken auf. Sicherlich war es Sex, Befriedigung, Leidenschaft, aber nicht nur. Letzte Nacht, das war zwischen uns Liebe, das Bedürfnis sich dem anderen völlig hinzugeben mit dem Resultat eins zu werden. Es ging sich nicht darum, einfach nur einen Orgasmus zu bekommen, um die Erregtheit zu befriedigen. Es glich eher, dem anderen das völlige Vertrauen entgegenzubringen, sich selbst zu vergessen und im gemeinsamen Einklang Erlösung zu finden, sich zu lieben...
Im Grunde genommen war es so einfach... einfach loslassen, nicht drüber nachdenken und machen. Äußerlich lebte ich auch so... aber innerlich... da tobte der Sturm. Ein Hurrikan aus Fragen, Zweifeln, Angst, Wut, Trauer, und nicht nur auf Patrick und mich bezogen... sondern auf alle Sorgen Vorfälle und Geschehnisse meines gesamten Lebens. Emily kannte mich inzwischen zu gut, zudem hatte sie auch ein sehr gutes Feingefühl und bemerkte immer, wenn irgendwas nicht in Ordnung war und was nicht stimmte... ähnlich wie Susan. Trotz der unheimlichen Entfernung spürte sie es immer, wenn was im Argen war, gab mir Mut, sprach mir zu und hatte immer ein Ohr für mich... das fehlte, und das wurde mir immer mehr und mehr bewusst. Mir fehlte meine beste Freundin... meine Seelenverwandte... der ich mich anvertrauen konnte. Ja, ich konnte mit Emiky über fast alles reden, aber über intime und sehr private Dinge dann natürlich nicht. Das wollte und konnte ich nicht. Sie war eher wie eine Mutter für mich. Das mit Patrick und Mark... was tatsächlich passiert war, darüber konnte ich nicht mit ihr reden, allein auch wegen Patrick schon nicht. Aber mehr und mehr merkte ich das Bedürfnis, mich jemanden anzuvertrauen. Vielleicht hatte das Patrick auch gemerkt und machte deshalb den Vorschlag mit den Gesprächen und ich vertraute Hilde. Sie kannte mich seit meiner Jugend, ihr hatte ich mich immer anvertraut. Zudem war sie damals auch Patricks Vertrauensperson. Möglicherweise konnte sie wie ein Schlüssel fungieren und mir helfen, uns helfen und...
„Good Morning!", sanft hauchte Patrick mir kleine Küsse in den Nacken. „Hey..." „Hast du dich wieder weggeträumt? Hab dich schon paar mal versucht anzusprechen..." „So ähnlich... tut mir leid... alles in Ordnung? Du hättest mich ruhig wecken können..." „ Ja... das hätte ich... wollte ich aber nicht!" Wieder hauchte er Küsse auf meine Nacken und zog seine Arme noch enger um mich. „Komm... breakfast is ready... Rose is waiting... and I think we need to hurry, bevor sie alle Brötchen zerpflückt...."

Kenmare... wo sich Zukunft mit Vergangenheit verbindetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt