Total gerädert, mit tiefen Augenringen erreichte ich nach mehr als 36 Stunden endlich Kenmare. Die Fahrt war schlicht und ergreifend die Hölle gewesen. So entspannt es noch in Hamburg begann, so endete die restliche Fahrt in einem absoluten Desaster. Nachdem ich England erreichte schrie Rose nur noch. Sie erreichte dabei mit ihrer sehr kräftigen Stimme Frequenzen, die nicht von dieser Welt seien konnten. Selbst als wir in Canterbury im Hotel eincheckten, ich sie gefüttert und gewickelt hatte, hörte sie nicht auf zu schreien und zu wimmern, bis sie kurzzeitig vor Erschöpfung einschlief. Und so setzte sich die weitere Reise fort, bis wir Kenmare erreichten. Eigentlich hatte ich eine weitere Unterkunft in der Nähe von Wexfore reserviert, aber ich fuhr einfach durch. Die Landstriche zogen an mir vorbei, wovon ich kaum was wahr nahm. Alles was ich wollte war einfach nur ankommen. Ankommen und das Rosé sich endlich beruhigte. Nur im Tragetuch war sie entspannt und still, also lies ich sie nach meinem letzten kurzen Tankstopp einfach vor mir gebunden. Sie war noch so zart und klein, das es mich beim Fahren überhaupt nicht störte und es war mir auch völlig egal, ob es erlaubt war oder nicht. Rose und ich brauchten dringend Ruhe. Ich von ihrem dauerhaften Geschrei und sie, um nicht noch mehr zu entkräften.
Dann hatten wir beide es endlich geschafft, ich fuhr durch Kenmare hindurch, über die Hauptstraße am Hafen vorbei und bog irgendwann links auf den schmalen Weg, der zu Susans Haus führte ab. Es war schon nach Mitternacht. Ich war hundemüde, aber das Auto entlud sich nicht von Selbst. Rose schlief immer noch im Tragetuch, also nutzte ich das, dass ich soweit das nötigste entlud. Gott sei dank hatte Susan bereits Rose Zimmer fertig eingerichtet, sodass ich nur erstmal meine persönlichen Dinge ausräumen musste, sowie Rose Tasche. Der Lkw sollte übermorgen hier eintreffen, also alle Zeit der Welt Platz und Ordnung zu schaffen, meine Möbel und Habseligkeiten unterzubringen, wobei um ehrlich zu sein meine Designer und modernen Möbel hier in das alte Landhaus stilmässig kaum passten. Da die alte Haustüre mehr als laut knarzte, versuchte ich so leise und so langsam wie möglich aufzuschließen und zu öffnen. Liebevoll hatte Susan die Türe selbst weiß gestrichen und mit Blumenornamenten verziert. Vielleicht für manch einen etwas kitschig, aber für dieses wunderschöne Haus absolut passend. Da Rose Gott sei Dank weiter schlief, konnte ich in aller Ruhe unsere Sachen verräumen. Emily hatte ich Bescheid gegeben, das wir früher als erwartet eintreffen würden und sie gebeten, die Heizung schonmal anzustellen. Auch wenn es keine Minusgrade waren, und es fur Ende Januar viel zu mild war, wurde es gerade nachts doch sehr kühl und das Haus kühlte sehr schnell aus, obwohl es nachträglich isoliert und die Fenster alle erneuert worden waren.
Ich war total überrascht, als ich dann ins Haus kam. Emily... dachte ich. Im Wohnzimmer standen frische Blumen auf dem Tisch, daneben eine Schale mit Obst und einige Sweets. Zudem war ein kleiner Brief an die Blumenvase gelehnt. In geschnörkelter Handschrift las ich „fáílte". Das hatte ich auf dem Weg hierhin schon öfters gelesen, wusste aber nicht die Bedeutung. In der Küche stand auf dem Herd ein großer Topf mit selbstgemachter Suppe und auf der Anrichte ein Korb mit Getränken und einer Flasche Wein. Ein Blick in den Kühlschrank verriet, das auch dieser komplett aufgefüllt war, mit allen was ich für nächsten Tage so brauchte. Emily war ein Engel, aber das hatte Susan auch immer erzählt. War sie krank, kümmerte sich Emily rührend und liebevoll um sie, half dabei das Haus mit einzurichten und Tom, Emilys Mann half, wenn irgendwelche Reparaturen am Haus anstanden oder auch zuletzt im Garten, wenn Susan es aufgrund der Schwangerschaft nicht mehr schaffte. Beide waren schon Anfang fünfzig, konnten, wie Susan mir einmal erzählte, leider keine eigenen Kinder bekommen. Mit der Zeit entstand eine tiefe Freundschaft und Susan war sehr Dankbar über die Unterstützung die sie bekam und die jetzt mir zu Teil wurde.Rose wurde unruhig und riss mich aus meinen Gedanken. Schnell bereitete ich ihr Fläschchen zu, gab die Bigaya Tropfen, die mir die Hebamme gegeben hatte mit hinzu und setzte mich mit ihr in Susans Sessel in ihrer Leseecke. Diesen Platz hatte sie immer geliebt, war ihr Rückzugsort und Ruhepol gewesen. Nun war sie nicht mehr da... und ich saß anstelle auf ihren Lieblingsplatz mit ihrer Tochter in meinem Arm. Gierig trank das kleine Wesen in meinem Arm, bauerte danach ordentlich auf und schongleich fielen ihre kleinen blauen Augen wieder zu. Sie war wohl von der anstrengenden Fahrt genauso erschöpft und erschlagen wie ich. Unschlüssig, wo sie nun am besten Schlafen sollte, entschied ich mich doch dafür, sie in ihrem Babybettchen hinzulegen. Die letzten beiden Wochen hatte sie ausschließlich neben mir oder bei mir geschlafen, und für uns beide waren die Nächte nicht wirklich entspannt gewesen, da einer von uns beiden immer aufwachte. Andererseits wollte ich ihr auch nicht das Gefühl geben, das sie alleine war, sie hatte schon ihre Mama verloren, sie sollte einfach keine Angst verspüren, denn ich war mir sicher, auch wenn sie noch zu klein war, um all das hier zu verstehen, das Rose trotzdem spürte, das es anders war, wie es seien sollte. Nichtsdestotrotz schlief sie selbst nachdem ich sie in ihr Bettchen legte seelenruhig weiter, was mich etwas aufatmen und entspannen lies. Sie schlief sogar die Nacht durch und meldete sich ziemlich ausgeschlafen und fröhlich erst am nächsten Morgen gegen acht. Ich fütterte sie gerade als Emily klopfte und nach meinem „Herein" vorsichtig zur Tür rein kam. Sie hatte Brötchen, Eier und frische Milch mitgebracht und ohne zu fragen begann sie uns ein Frühstück vorzubereiten sowie Kaffee und Tee zu kochen. Etwas unangenehm war mir das schon, erst der volle Kühlschrank nun das... aber Susan hatte sowas in der Art schonmal erwähnt. Hier half jeder jedem, ohne wenn und aber, was ich aus Deutschland nicht kannte. Mir war nur wichtig, das sich hier niemand verpflichtet fühlte, mir irgendwie zu helfen. Ich kam gut alleine klar, war der Sprache mächtig und würde mich hier irgendwie schon eingewöhnen.
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Kenmare... wo sich Zukunft mit Vergangenheit verbindet
Hayran KurguLilian ist Single, glücklicher Single und arbeitet in einer renommierten Spedition als Human Ressource Managerin. Ab und an verirrt sich mal ein Mann in ihr Leben, aber seit 18 Jahren hat sie nie wieder jemanden so nah an sich rangelassen wie ihn...