Kapitel 9

2.2K 125 3
                                    

"Gut, dass sie da sind, Herr Büttinger. Ihre Schwester ist nämlich...

... Opfer eines schweren Autounfalls geworden. Sie weißt einige gebrochene Glieder, unter anderem auch ein paar Rippen, und mehrere, schwerwiegende, Inneren Verletzungen ihrer Organe. Besonders betroffen sind ihre Nieren, für die wir gerade eine Spende suchen. Im Moment befindet sich die Patientin in einem künstlichen Koma, in das wir sie versetzen mussten, um jederzeit über ihren Zustand informiert zu sein.
Wir hatten schon die Befürchtung, dass sie keine Angehörigen habe, denn auch nach diesen drei Tagen, in denen sie jetzt hier ist, hat niemand, auch nach unseren Anrufen bei Ihren Eltern, sie besucht oder sich in irgendeiner Weise über ihren Zustand informiert. Das hat mir und meinen Kollegen ziemliche Sorgen bereiten und so sind wir jetzt um so erleichterter, zu erfahren, dass Frau Büttinger doch Familie hat."
Die ganze Zeit während der Arzt redete, hatte ich auf den Boden gestarrt und versucht mit der Situation klar zu werden. Eine Frage beschäftigte mich aber immer noch und so versuchte ich  mein Gegenüber das zu fragen, was mir auf der Seele brannte, aber als ich meinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, kam nichts, außer ein zitterndes Ausatmen heraus. Ich räusperte mich und versuchte es nochmal. "Wie hoch sind ihre Chancen?"
Der Arzt blickte mich nachdenklich an, wohl um herauszufinden, ob ich eine weitere, schlechte Neuigkeit ertragen könnte. Mir schwante böses, doch ich wollte die Wahrheit hören. Er musste den festen, entschlossenen Ausdruck und meinen Augen gesehen haben, denn er nickte und setzte wieder zum Sprechen an: "Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Auch wenn ich Ihnen jetzt sagen könnte: 'Mein Team und ich geben unser bestes, blablabla...', tue ich das nicht, weil ich denke, dass sie die Wahrheit ertragen können." Er wartete ein ungeduldiges Nicken meinerseits ab und fuhr fort: " Ich würde sagen, ihre Chancen stehen 50:50. Allerdings nur, falls wir Spender finden. Andernfalls ist sie unglaublich gering bis gar nicht vorhanden. Wenn sie eine neue Niere bekommt, ist nur noch die Gefahr da, dass ihr Körper sie nicht aufnimmt." Den Blick fest auf das Gesicht des Arztes gerichtet, nickte ich mit zusammengepressten Lippen. Er verließ den Raum und sofort schweifen meine Gedanken zu
seinem Versuch, eine Ausdruckslose Miene aufzusetzen,  es gelang ihm nur mäßig gut, denn man hatte deutlich  sein Mitgefühl, dass er für mich empfand gesehen. Einerseits rührte es mich, aber andererseits bereitete es mir Sorgen. Ich meine, wenn sogar ein Arzt seine verpflichtende Neutralität aufgab, auch wenn ich mir sicher war, dass es keinesfalls Absicht gewesen war, dann war das doch kein gutes Zeichen, oder? Ich hoffte einfach das beste. Andererseits hatte ich gehört, was der Arzt gesagt hat. Nur eine geringe Chance...
Ich bin Realist und kann Dinge völlig unvoreingenommen einschätzen und bin definitiv niemand, der sagt, dass am Ende alles Gut werden würde. Oft hatten Leute mir gesagt, dass ich ein bisschen optimistischer sein sollte, aber ich war noch nie der Typ, der sich sonderlich viel von anderen hat sagen lassen. Darauf war ich irgendwie stolz, obwohl ich wusste, dass ich in manchen Angelegenheiten echt verdammt stur war. Keine schöne Eigenschaft, sagen viele, aber andere wiederum mochten mich aus genau diesen Gründen: Meine Albernheiten und meine kindische Sturheit. Obwohl ich schon fünfundzwanzig war, hatte ich diese Charaktereigenschaften nie abgelegt. Ich hatte es aber auch nicht vor.

Endlos Telenovela...(#kürbistumor)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt