Kapitel 93

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Die Stimme einer älteren, runden Frau, erfüllt von Überraschung und gespickt von Trauer, hallte in dem Raum: "Manuel?" Hinter ihr stand ein ebenso älterer, schlaksiger Mann, der einen hellen Vollbart und wenige Haare hatte. Meine Mutter und Julias Vater.

"Mama.", ich hörte selbst, wie kalt und ausdruckslos meine Stimme klang. Tausende Gedanken schwirrten in meinem Kopf umher. Hauptsächlich aber eine Frage: "Warum seid ihr hier? Ich dachte, ihr wolltet sie nicht besuchen?" Ein kurzer, verlegener Blick wurde zwischen den beiden gewechselt, dann antwortete sie: "Also, ich wurde am Anfang informiert darüber, dass Julia - einen Unfall hatte, aber ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm um sie steht. Anscheinend stehst du weiter oben in der Liste der Nummern, die angerufen werden, wenn etwas passiert. Ich wurde gestern erst angerufen, weil Julia in... Lebensgefahr schwebt und es keine Aussicht auf Besserung gibt. Und hätte ich gewusst, dass das alles hier so schlimm ist, dann hätte ich sie doch früher besucht und.. mich von ihr verabschiedet." Ihre Stimme brach und sie schaute mit schmerzerfüllten Augen auf das Krankenbett, in der ihr ältestes Kind und einzige Tochter lag. Trotzdem empfand ich nur Unverständnis dafür, dass sie nicht direkt zu ihrem verletzten Kind gefahren war. Hätte sie mich früher besucht? Wahrscheinlich. Schließlich war ich ja nicht homosexuell.

Der Mann hinter ihr räusperte sich. "Manuel, ich wurde von deiner Mutter informiert. Ich hätte gar nicht früher kommen können.." Ich schwieg. Ihm machte ich auch keinen Vorwurf. Meine Mutter und er hatten sich getrennt, als Julia drei war. Es hatte einfach nicht mehr funktioniert. Julia war bis sie zwölf war, jedes zweite Wochenende und jede Herbst- und Faschingsferien bei ihm. Er hatte in einer anderen Stadt gelebt. Danach hatte sie weniger Zeit, weil sie wegen der Vollzeitarbeit meiner Mutter immer auf Basti, Peter und dann halt mich aufpassen musste und somit kaum noch Zeit für irgendwas gehabt hatte. Nur flüchtig hatte ich ihn kennengelernt, als Peter geheiratet hatte. Und obwohl sie ihre Beziehung beendet hatten, gingen sie nie im Streit auseinander, anders als sie mit dem Vater von Tobi und Sebastian, der sie kurz nach Bastis Geburt, trotz der Tatsache, dass sie getrennt waren, mit Peter geschwängert hatte und daraufhin endgültig unten durch bei uns war. Meinen Vater hatte ich nie kennengelernt. Noch bevor ich Erinnerungen hatte, hatte er meine Mutter verlassen. Auf nimmer wiedersehen nach Australien.

Es waren schon fast zwei Stunden vergangen, nachdem ich das Krankenhaus verlassen hatte. Meine Mutter und Julias Vater übernachteten in einem Hotel in der Nähe.

Unglücklicherweise bemerkte ich Michaels Nachricht, dass er zum Familienessen gezwungen worden war, erst, als ich in der Wohnung war. Ich hatte danach keine Motivation mehr, irgendwas alleine zu machen. Der kurze Lacher, den Michas WhatsApp aus mir gekitzelt hatte, was längst von negativen Gefühlen überschattet.

Nachdem ich Julia besucht hatte und Zombey nicht für meine Ablenkung da war, verfiel ich wieder in diese leicht depressive Trauer, die meine letzten Wochen geprägt hatten. Seltsamerweise verspürt ich eine gewaltige Sehnsucht nach Patrick. Von ihm getröstet zu werden mit seiner fröhlichen, überdrehten, super lieben Art war im Moment, in dieser Sekunde, das einzige, was mich aufheitern konnte. Trotzdem rührte ich mich nicht, weil ich zu stolz war, zu Palle zu gehen und mich zu entschuldigen. Außerdem wollte ich mir und ihm weitere Trauer ersparen.

Inzwischen war es dunkel draußen und sanfter Regen prasselte auf das Dach, beruhigte mich. Dennoch spürte ich ein tiefes Loch in meiner Brust, das fast unerträglich war. Auch wenn ich wusste, dass das Herumliegen nicht sinnvoll, war, ja sogar kontraproduktiv, ließ mich auch das nicht aufstehen.

Das erste, was mich nach gefühlten Stunden wieder aufsehen ließ, war, als es an der Türe klopfte. Ich ließ Zombey hinein und wir setzten uns, nachdem er kurz geduscht hatte, auf die Couch. Seine Haare waren noch nass und lagen in Strähnen in seinem Gesicht. Ich hatte ihn beim rauskommen aus dem Badezimmer beobachtet. Palettes Oberkörper war schöner...

Ich hatte mich wieder an Michas Brust gekuschelt, doch ich spürte kein Kribbeln mehr. Nichts. Es war nicht schlecht, aber auch nicht mehr so toll wie noch gestern Abend. Von unten betrachtete ich seine Lippen. Sie waren schön geschwungen und sahen ganz weich aus. Palutens waren immer ein bisschen rau, weil er die Angewohnheit hatte, über sie zu lecken und somit auszutrocknen. Ich ärgerte, aber schämte ich auch, dass ich bei allen kleinen Körperlichkeiten sofort an Patrick denken musste.

Während ich ihn noch anstarrte, blickte er auf mich herab. In seinem Blick aus Himmelblauen Augen lag ganz offensichtlich Zuneigung. Mein Herz schlug ein bisschen schneller, aber es hüpfte nicht mehr wie gestern. Ich mochte blaue Augen bei Frauen, aber irgendwie berührten die von Michael mich nicht.

"Manu?" Sein Flüstern klang rau. Sein Blick wanderte zwischen meinen Augen und Lippen hin und her. Ich richtete mich auf und ließ mich breitwillig küssen.

Seine Lippen waren wirklich so weich wie sie aussahen, aber Palles waren sanfter. 'Man, Manuel! Kannst du dich mal bitte darauf konzentrieren, auf das, was hier passierte? Hör auf an Patrick zu denken!', schallte ich mich in Gedanken und erwiderte den Kuss. Statt des erwarteten Kribbeln, spürte ich einfach nur ein angenehmes Gefühl in der Brust. Ich küsste also einen Mann. Irgendwie war das nicht so abwegig, wie ich es mir vorgestellt und noch von Patrick in Erinnerung hatte. 'Patrick...', dachte ich sehnsüchtig und stellte mir unwillkürlich vor, seinen kleineren, aber breiteren Körper vor mir zu haben.

Zombey löste sich. "Ich glaube, du solltest morgen Paluten mit deiner Anwesenheit beehren" 

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*kreisch* AAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH *Kreisch*

Endlos Telenovela...(#kürbistumor)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt