Kapitel 97

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Zuhause angekommen, lud Shayenne ihre Sachen im Gästezimmer ab und schlüpfte in Jogginghose und Kuschelsocken. Während Wincent Kakao und Kekse holte, machte sie es sich schonmal auf dem Sofa gemütlich und suchte die Weihnachtsfilme raus, die sie jedes Jahr schauten. Wincent setzte sich zu ihr und legte eine Decke über die beiden. Diese Zeit war ihm absolut heilig und er war froh, dass es bisher wirklich fast jedes Jahr geklappt hatte. “Kommt Steffi nachher eigentlich noch, oder sehe ich sie erst morgen?” frage Shayenne irgendwann. “Sie kommt später noch. Aber sie wollte uns erstmal Zeit alleine lassen, so wie sonst auch.”  “Ach, ich freue mich auf sie. Sie hätte auch gerne den ganzen Tag schon hier sein können.” “So?” schaute Wincent sie an. “Ich dachte, du freust dich, mal wieder Zeit mit deinem Bruder allein zu haben. Ich finds nämlich gut, dass wir beide mal wieder Zeit für uns haben. Steffi sehen wir doch die nächsten Tage noch.” Er lächelte sie an. “Doch, ich freue mich total, hier bei dir zu sein.” Sie umarmte ihn und legte sich dann auf seinen Schoß. “Aber ich mag Steffi wirklich gerne. Vermisst du sie gar nicht? Also wenn ich jemanden lieben würde, würde ich den wohl immer sehr vermissen. So wie dich.” “Ach du süße Maus." Er streichelte ihr über den Kopf. "Na klar vermisse ich Steffi, genau so wie dich. Aber Steffi und ich sehen uns sehr häufig im Moment, zumindest für unsere Verhältnisse. Da ist es auch okay, wenn man mal einen Tag nicht miteinander verbringt. Weißt du, wenn man jemanden liebt, vermisst man ihn natürlich. Aber das gehört auch dazu, und macht es noch schöner, wenn man sich dann wieder sieht.” “Das muss ein schönes Gefühl sein.” Seufzte Shayenne. “Wenn du alt genug bist, wirst du das auch noch spüren.” sagte er in einem beruhigendem Ton. “Und was, wenn ich schon alt genug bin?” fragte Shayenne zögernd. “Was soll das heißen? Du bist erst 16.” “Aber auch mit 16 darf ich doch wohl jemanden vermissen, oder?” wollte Shayenne schüchtern wissen. “Du darfst mich vermissen. Soll ich uns noch einen Kakao machen?” Er wollte das Gespräch mit Shayenne auf keinen Fall weiter ausführen. Sie war seine kleine Schwester, die er beschützen musste. Es machte ihn schon wahnsinnig, dass er dafür eigentlich viel zu wenig Möglichkeiten hatte. 

[2] Shayenne schaute ihrem Bruder hinterher, als dieser mit ihren Tassen in der Küche verschwand. Manchmal wünschte sie sich einfach eine große Schwester, mit der sie über Jungs, Liebe und Gefühle sprechen konnte. Sie war inzwischen in einem Alter, wo sie das alles interessierte und auch viele in ihrem Alter waren da schon deutlich weiter als sie. Aber sie traute sich nicht, Wincent gegenüber das Thema anzusprechen. Er blockte sofort ab und am liebsten wäre es ihm, wenn sie immer noch das kleine Mädchen war, das er betüddeln konnte. Vielleicht würde sie ja mal die Gelegenheit haben, mit Steffi darüber zu reden. Aber die durfte auf keinen Fall mit Wincent darüber sprechen. “Was schaust du so nachdenklich?” fragte Wincent sie, als er mit den vollen Tassen zurück aufs Sofa kam. “Können wir morgen Kekse backen?” sie schaute ihn mit großen Augen an. “Ich? backen? Sicher, dass du das willst?” fragte er entsetzt. “Naja, Steffi ist doch auch morgen da. Bitte Wincent, da hätte ich voll Lust zu.” Sie schaute ihn mit einem Dackelblick an, dem er eh nicht widerstehen konnte. “Na gut, machen wir. Aber tagsüber müssen Steffi und ich noch ein bisschen arbeiten.” “Du bist der Beste.” Dann hörten sie einen Schlüssel in der Wohnungstür und wenig später kam Steffi ins Wohnzimmer. “Hey ihr zwei Weihnachtswichtel.” Shay sprang vom Sofa auf und fiel ihr um den Hals. “Schön, dass du da bist. Steffi wir müssen morgen Kekse backen, hat Wincent mir versprochen, er hilft uns.” Steffi grinste zu Wincent rüber. “So? tut er das? Na da bin ich ja mal gespannt.” “Ich auch” lachte Wincent und gab Steffi einen Kuss zur Begrüßung. “Habt ihr eigentlich Hunger? Oder seid ihr voll mit Kakao und Schokolade?” “Du weißt, dass ich immer essen kann. Aber was Vernünftiges wäre glaube ich ganz gut.” “Aber wir müssen erst noch den Film zuende gucken.” warf Shayenne ein. “Dann guckt ihr doch zuende, und ich koche schonmal. Passt euch Spaghetti Bolognese?” “Jaa.” Kam gleichzeitig von Wincent und Shayenne und schon hatten sie sich wieder aufs Sofa verkrümelt. Steffi begann, die Sachen aus dem Kühlschrank zu nehmen und beobachtete die beiden noch eine Weile. Es tat Wincent so gut, Zeit mit seiner Schwester zu verbringen, und auch Shayenne genoss die Aufmerksamkeit sehr, die sie von ihm bekam.

[3] Beim Abendessen überlegten Steffi und Shayenne schonmal, welche Kekse sie backen wollten und schrieben eine Liste mit Dingen, die sie dafür noch brauchten. “Ich kann morgen vormittag alles einkaufen, wenn ihr arbeitet.” “Alleine? Willst du nicht bis mittags warten? Dann kann einer mitkommen.” Wincent schaute sie besorgt an. “Man, Wince, ich bin alt genug. Ich gehe zuhause auch alleine einkaufen, wenn Mama nicht da ist.” sagte Shayenne beleidigt. “Ich glaube auch, dass sie das alleine schafft.” lachte Steffi Wincent an. Na toll, dachte der sich. Die beiden verbünden sich also wieder gegen ihn, da hatte er eh keine Chance. Und es stimmte ja auch, mit 16 war seine kleine Schwester wohl alleine in der Lage, in einen Supermarkt zu gehen. Nachdem sie gemeinsam die Küche aufgeräumt hatten, schauten sie noch gemeinsam einen Film, bis allen die Augen zufielen und sich dann ins Bett begaben. “Dich beschäftigt das sehr, dass Shay so erwachsen wird, oder?” fragte Steffi Wincent ruhig. “Ja, total. ich mein, sie war doch gerade noch so klein. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich sie als Baby im Arm hatte und wie stolz ich war.” “Aber jetzt ist sie 16, wird bald 17. Du kannst sie nicht mehr wie ein kleines Mädchen behandeln. Das tut ihr weh und das ist für ihre Entwicklung zur Frau auch nicht förderlich.” “Sie soll sich am besten gar nicht zu einer Frau entwickeln.” brummte Wincent. “Ach Wince, lass sie erwachsen werden. Das haben wir auch geschafft. Naja, mehr oder weniger.” Steffi musste schmunzeln. “Aber mit den Männern kann sie sich bitte noch ganz viel Zeit lassen. Sie hatte da vorhin sowas angedeutet. Dafür ist sie noch nicht so weit.” Jetzt musste Steffi lachen. “Woher willst du denn wissen, wie weit sie ist und wofür sie bereit ist? Sie muss da ihre eigenen Erfahrungen machen, du wirst sie davor nicht schützen können.” Sie strich ihm behutsam über den Arm. ”Ich will mir das aber nicht vorstellen, dass ihr ein Typ das Herz brechen könnte, oder Sachen anstellt, die ich mit dir anstelle.” 

[4] Bei der Vorstellung musste er selber ein bisschen grinsen. “Es wäre schade, wenn ihr diese Erfahrung verwehrt bleiben würde, ich möchte sie nicht missen.” grinste Steffi ihn nun ebenfalls an. “Und guck mal, uns wurde auch schonmal das Herz gebrochen. Wenn das nicht passiert wäre, würden wir hier jetzt nicht so zusammen liegen. Manchmal muss man vielleicht auch mal nicht so schöne Erfahrungen machen, bevor man die besten Erfahrungen erlebt.” jetzt schaute sie ihn triumphierend an. Dagegen konnte er jetzt nicht mehr sagen. “Man, wie soll ich da denn jetzt noch gegen argumentieren? Aber du hast ja Recht, für das hier hat sich aller Schmerz vorher gelohnt.” Er schloss seine Arme um ihren Oberkörper und gab ihr einen zärtlichen Kuss. “Na siehst du.” flüsterte Steffi und schmiegte sich eng an ihn. “Und jetzt zeig mir mal, welche Sachen du so mit mir anstellen würdest.” Das ließ Wincent sich natürlich nicht 2x sagen. 

Auf Halbem Weg - Steffi (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt