Kapitel 121

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Langsam wurden Wincents Großeltern müde und Angela brachte sie nach Hause. Wincent, Steffi und Shay kuschelten sich aufs Sofa. “Sag mal mit wem schreibst du da eigentlich die ganze Zeit? Deine Freundinnen sind doch bestimmt auch alle bei ihren Eltern, oder?” “Das geht dich gar nichts an.” fuhr Shay ihn etwas zu forsch an, so dass er natürlich sofort misstrauisch wurde. “Wenn du das so sagst, geht mich das vielleicht sehr wohl was an.” “Nein…” sagte Shay leise und wurde ganz rot. Hilfesuchend schaute sie zu Steffi. Wincent bemerkte das und sah sie ebenfalls an. “Was geht hier vor sich? Was ist los Shay?” Steffi nickte ihr kaum merkbar zu. Shayenne rieb sich nervös die Hände und suchte nach den richtigen Worten. “Also, da gibt es diesen Jungen, auf meiner Schule. Jonas heißt er. Naja, ich mag ihn. Und er mag mich auch.” Wincent schaute sie einfach nur an. Wollte seine kleine Schwester ihm gerade erzählen, dass sie einen Freund hatte? Wie sollte er denn jetzt reagieren? Dann schaute er Steffi an. Die schaute Shay freudig an. “Ach wie schön.” stimmte sie ihr zu. “Ähm, weiß Mum das schon?” war das einzige, was Wincent dazu sagen konnte. “Ja, mit ihr habe ich schon darüber gesprochen.” sagte Shayenne schüchtern. “Und warum erzählst du mir das nicht? Was ist das denn für einer? Bist du dir ganz sicher, dass er dich mag?” “Wincent...” raunte Steffi ihm zu. “Genau deswegen habe ich dir das nicht erzählt. Du gönnst mir das doch eh nicht. Für dich soll ich immer das kleine Mädchen bleiben. Aber das bin ich nicht mehr. Er ist ein ganz Toller, und er mag mich, und ich mag ihn. Und was du dazu sagst, ist mir egal!” Shayenne war inzwischen aufgesprungen und stand wütend vor ihm. Ehe er antworten konnte, stapfte sie davon und knallte ihre Zimmertür zu. “Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Ich verstehe das nicht.” Wincent fuhr sich verzweifelt mit der Hand durch die Haare. “Ach Wincent, irgendwie fehlt dir bei ihr manchmal echt das Einfühlungsvermögen. Sie will zwar erwachsen sein, aber sie ist es natürlich noch lange nicht. Da musst du noch etwas sensibler sein. Ist doch klar, warum sie dir das noch nicht erzählt hat.”

[2] “Wusstest du das etwa auch schon?” Er funkelte sie mit seinen dunklen, braunen Augen an. Steffi zögerte mit ihrer Antwort. “Steffi, lüg mich bitte nicht an. “Ja, sie hats mir vorhin im Auto erzählt, als sie sich kurz mit ihm getroffen hat. Er sah wirklich nett aus.” Wincent ließ die Arme sinken und schaute nachdenklich auf den Boden. “Ich will doch nur, dass…” er seufzte. “Dass sie nicht verletzt wird.” beendete Steffi seinen Satz. “Ich weiß. Und das weiß sie auch.” Steffi legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. “Als Bruder habe ich damit wohl versagt…” er lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. “Ach quatsch. Du machst dir einfach zu viele Gedanken. Das ist ja auch okay, aber lass sie das nicht so spüren, oder gib ihr halt nicht das Gefühl, dass du ihr das alles verbieten willst. Sie braucht einen Bruder, der ihr zeigt, dass er für die da ist. Du solltest sie unterstützen und bestärken, und nicht runter machen. Ist doch klar, dass sie dann zickig und verletzt ist.” Wincent schaute Steffi geknickt an. “Bei dir klingt das immer alles so einfach.” Wincent liebte Steffi dafür, dass sie immer die richtigen Worte fand und ihn damit so schnell runterholen konnte. Sie hatte echt ein Talent dafür, gute Ratschläge zu geben ohne sich dabei aufzudrängen oder überheblich zu wirken. Bei ihr klangen die Probleme plötzlich gar nicht mehr so groß und auch die Lösung schien relativ einfach zu sein. Er musste einfach lernen, die Dinge, so wie sie, etwas realistischer zu sehen und nicht immer gleich so aufbrausend zu werden. “Also würdest du mir jetzt raten, dass ich mit ihr reden sollte, oder?” “Ja, das solltest du. Sag ihr, dass es dir Leid tut und dass du wirklich nur ihr Bestes willst. Aber bitte bleib ruhig und zeig ihr auch Verständnis.” Wincent rückte auf dem Sofa nach vorne, legte Steffi eine Hand an die Wange und gab ihr einen dankbaren Kuss. “Wenn ich dich nicht hätte.” Dann stand er auf, um mit Shayenne zu reden.

[3] Steffi wollte es sich gerade auf dem Sofa gemütlich machen, als Angela nach Hause kam. “Na was machst du denn hier alleine auf dem Sofa?” “Shayenne hat Wincent von Jonas erzählt. Naja und du kannst dir den Rest ja sicher vorstellen. Er will sich jetzt bei ihr entschuldigen.” Angela seufzte, holte eine Flasche Wein aus dem Regal und zwei Gläser und setzte sich zu Steffi aufs Sofa. “Es war klar, dass irgendwann diese Situation kommen würde. Wincent versucht leider zu sehr, auch die Vaterrolle für Shayenne einzunehmen.” “Meinst du, das liegt daran, dass er selber keinen Vater hatte?” fragte Steffi vorsichtig. Sie hatte mit Wincent bisher kaum über seinen Vater gesprochen, weil sie wollte, dass er von sich auch das Thema aufgriff, wenn er bereit wäre. “Ja, definitiv. Er sagt zwar immer, dass ihm nie etwas gefehlt hat, aber das Thema ist bei ihm immer schon sehr präsent. Nicht nur in seiner Musik, sondern eben auch bei Shay. Sie hat nur gelegentlich Kontakt zu ihrem Vater und Wincent versucht eben, dass zu kompensieren. Aber dass er bei ihr damit das Gegenteil erreicht, merkt er scheinbar nicht. Shay braucht keinen zweiten Vater, sie braucht einen großen Bruder, der für sie da ist.” Steffi merkte, dass Angela sich schon häufig Gedanken darüber gemacht hatte. “Das habe ich ihm eben auch gesagt, aber es scheint ihm echt schwer zu fallen. Er hat da echt nen Dickkopf.” Angela lachte leise auf. “Ja, den hat er wirklich. Wenn du da was ändern willst, musst du echt selber ein dickes Fell haben. Du kannst dir nicht vorstellen, was das früher für ein Kampf war mit ihm.” Sie hob ihr Glas und nahm einen Schluck Wein. “Auch wenn er das immer abstreitet und auch nie gerne hören würde, aber er ist seinem Vater ähnlicher, als er denkt. Das war genau so ein Sturkopf.” In dem Moment nahm Steffi ein Geräusch aus dem Flur wahr, konnte es aber nicht näher einordnen und dann erzählte Angela ihr noch ein wenig über Wincents Vater. Nach dem Glas Wein beschlossen dann beide, ins Bett zu gehen. Außerdem war Steffi gespannt darauf, ob Wincent immer noch mit Shayenne redete und ob sie es auch wirklich klären konnten. Als sie in sein Zimmer ging, lag er schon im Bett und daddelte mit seinem Handy rum. Sie legte sich zu ihm und kuschelte sich an seine Seite.

[4] “Und? Wie war das Gespräch mit Shayenne?” “Sie wollte nicht mit mir sprechen, ist immer noch sauer.” brummte er, immer noch in sein Handy vertieft. “Also habt ihr nicht wirklich geredet?” Auf ihre Frage erhielt sie keine Antwort. “Nun packt doch mal das Handy weg, ich habe dich was gefragt.” Was war denn los? Steffi setzte sich auf und sah ihn an. Er wirkte total abwesend, legte dann aber das Handy zur Seite und sah sie ausdruckslos an. “Ich hab mich bei ihr entschuldigt, und ihr gesagt dass ich mich für sie freuen würde. Aber sie war eingeschnappt und wollte davon nichts hören.” “Ach, sie beruhigt sich bestimmt wieder, wenn sie erstmal darüber geschlafen hat.” Wincent zuckte mit den Schultern. Er wirkte immer noch total in Gedanken verloren. “Hey, mach dir da keinen Kopf drüber ja? Oder ist noch etwas anderes?” Steffi hatte irgendwie das Gefühl, dass ihn noch etwas anderes bedrückte.

Auf Halbem Weg - Steffi (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt