Am nächsten Morgen, als Steffi wach wurde, hielt Wincent immer noch ihre Hand. Sie öffnete langsam die Augen und blinzelte zu ihm rüber. Als ob er es gemerkt hatte, gingen auch seine Augen langsam auf. Er drehte sich zu ihr um und küsste sie sanft auf die Stirn, bevor er seine Hand darauf legte. “Immer noch sehr warm.” stellte er fest, griff nach dem Fieberthermometer und hielt es ihr hin. Dieses mal zeigte das Thermometer 38,8 an. Weniger als gestern, aber immer noch hoch. “Soll ich dich gleich bei deiner Arbeit krank melden?” “Nein, das mache ich gleich selber, aber danke.” “Steffi lass mich doch helfen, du musst dich damit jetzt nicht rumquälen.” “Wincent, ich muss nur eine WhatsApp in unsere Gruppe schreiben. Das reicht erstmal. Das werde ich ja wohl noch schaffen. Ich liege nicht im Sterben.” “Na immerhin hast du deinen Humor nicht verloren. Hier bitte.” er reichte ihr das Handy. “Aber wir sollten trotzdem zum Arzt fahren, damit du etwas gegen das Fieber bekommst. Und da diskutiere ich auch nicht mit dir. Ich schleppe dich da gerne hin.” “Ist ja gut.” maulte Steffi vor sich hin. Eigentlich wusste sie ja auch, dass Wincent Recht hatte und sie sich gerade total kindisch anstellte. Sie rückte an seine Brust und dann liefen ihr ein paar Tränen runter. “Dir ist das alles zu viel, oder?” Steffi nickte. “Ich kann dich gut verstehen. Du willst funktionieren und ärgerst dich, dass du es nicht kannst. Und dir passt es auch nicht, Schwäche zu zeigen.” Steffi nickte heftiger und die Tränen wurden mehr. “Ich weiß, wie es dir geht. Aber bitte, lass dir helfen. Ich weiß, wo das enden kann, und das möchte ich nicht. Dein Körper zeigt dir gerade extrem, dass die letzten Wochen too much waren. Dein Kopf wollte das nicht verstehen, also musste dein Körper die Reißleine ziehen. Du musst solche Signale ernst nehmen. Du brauchst dich dabei auch nicht hilflos fühlen. Es ist okay, Hilfe von anderen anzunehmen. Du kannst nicht immer perfekt funktionieren, okay? Deine Freunde und Familie brauchen dich. Und ich brauche dich!” Wincent wusste nicht, ob sein Monolog etwas bei Steffi bewirkte, aber er hatte die Worte seiner Psychologin im Kopf.
[2] Und er wollte das an Steffi weitergeben, damit sie hoffentlich niemals an den Punkt kommen würde, an dem er mal war, sondern rechtzeitig Stop sagte. Steffi nahm jedes einzelne Wort wahr und sie spürte es genau so, wie Wincent es beschrieb. "Wenn du deine Ruhe haben möchtest, ist das auch okay. Ich kann aufs Sofa gehen oder so.” sagte er zögerlich. Doch dann legte Steffi einen Arm um seinen Bauch. “Nein, bitte bleib bei mir. Ich kann nicht mehr.” winselte sie leise. “Natürlich bleibe ich bei dir! Ich bin da.” Er legte eine Hand behutsam auf ihren Kopf. Eine ganze Weile lagen sie noch so da, bis Wincent sich löste, um beim Arzt anzurufen. “Heute Nachmittag sollen wir vorbeikommen. Schaffst du das?” Steffi hatte sich inzwischen wieder beruhigt. “Ja, ich denke schon. Ich würde auch gleich gerne duschen.” Sie setzte sich auf, um zu gucken, ob ihr immer noch schwindelig war. Zum Glück blieb das aus und sie fühlte sie stark genug, alleine ins Bad zu gehen. “Lass bitte die Tür auf, okay?” bat Wincent sie. Während Steffi in der Dusche war, überlegte er, was sie alles brauchten und schrieb Jula eine Einkaufsliste. Er hatte sich für heute vorgenommen, für Steffi eine Gemüsesuppe zu kochen. Das Rezept hatte seine Mama ihm geschickt. Es war das Rezept seiner Oma, was sie immer für ihn und seine Schwester gemacht hatte, als sie krank waren. “Geschafft.” Er drehte sich um und sah Steffi mit einem Handtuch auf dem Kopf im Bademantel in der Tür stehen. “Du siehst schon viel besser aus. Wie fühlst du dich?” “Besser, die Dusche tat echt gut. Aber jetzt bin ich echt k.o. Ich lege mich noch ein bisschen aufs Sofa.” “Mach das. ich komme sofort.”
[3] Zwei Stunden später klingelte es an der Tür und Jula kam mit den Einkäufen vorbei. “Man Steffi, was machst du denn für nen Scheiß” Sie nahm ihre Freundin fest in den Arm. “Das hat Wincent mich auch schon gefragt, weiß ich auch nicht.” sagte Steffi kleinlaut. “Hallo Jula, danke, dass du da bist.” Wincent nahm ihr die Einkäufe ab und verstaute alles im Kühlschrank. Steffi und Jula setzten sich aufs Sofa. “Sag mal Jula, könntest du vielleicht mit Steffi zum Arzt fahren? Ich würde sie ungern allein ins Wartezimmer lassen, möchte aber auch keine Aufruhr da veranstalten, weißt du?” “Naa klar, das kriegen wir hin. Dann lass uns mal losfahren.” Dankbar schaute Wincent Jula an. Als sie weg waren, machte er sich an das Rezept für die Suppe. Seine Mum hatte ihm noch ein paar Tipps dazu geschickt. So schwer konnte das ja wohl nicht sein.
[4] “Warum hast du denn nicht erzählt, dass es dir nicht gut geht? Wir haben uns echt Sorgen gemacht. Ich habe mich richtig erschrocken, als Wincent mich angerufen hat. Zum Glück ist er vorbeigekommen. Das hätte echt schief gehen können, du Nuss.” “Ihr habt ja alle Recht. Ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen macht. Soweit habe ich gar nicht gedacht. Ich bin davon ausgegangen, dass ich einfach ein bisschen kaputt bin und das schon alleine hinkriege.” “Na das hat ja super geklappt.” lachte Jula ironisch. “Man Jula, es tut mir Leid.” sagte Steffi kleinlaut. “Ach Süße, alles gut. Wir sind ja alle froh, dass es dir wieder besser geht und du hoffentlich eingesehen hast, dass das nicht gut war. Aber du brauchst dich nicht entschuldigen. Irgendwo kann ich dich ja auch verstehen. Man will das einfach nicht wahrhaben, dass einem alles über den Kopf wächst und die Kontrolle verliert.” “Mir war auch einfach alles egal. Ich hab das gar nicht richtig wahrgenommen. Meinst du, Wincent ist sauer auf mich? Ich habe ihn wahrscheinlich ziemlich enttäuscht. So hatte er sich seinen Besuch sicher nicht vorgestellt.” “Ach quatsch, er ist doch nicht sauer. Er ist heilfroh, dass nichts passiert ist. Aber du solltest dich wirklich bei ihm bedanken, wenn du wieder auf den Beinen bist. Er hat sich echt Mühe gegeben und uns sofort Bescheid gesagt. Du kannst wirklich froh sein, dass du ihn hast.” sie lächelte Steffi aufmunternd an. “Ja, das bin ich auch. Sehr sogar. Und danke, dass du mitgekommen bist.” “Ach komm, du hättest genau das Gleiche für mich gemacht.”
[5] Sie legte Steffi eine Hand auf ihren Oberschenkel. Steffi war so unendlich dankbar für diese bedingungslose Freundschaft, die die beiden verband. Sie kannten sich noch gar nicht so lange, etwa 3 Jahre. Aber die beiden hatten von Anfang an ein ganz besonderes Verhältnis zueinander. “Was erzähle ich denn dem Arzt gleich? Ich hab kein Bock auf so ne Stresstherapie oder so.” “Naja, vielleicht wäre das aber gar nicht so verkehrt.” “Ne, ohne Spaß, das will ich nicht. Ich weiß doch, wo der Fehler lag und weiß ja auch, wie ich da wieder rauskomme. So nen Seelenklempner oder Selbstfindungs Guru Quatsch brauche ich nicht.” “Nun mal nicht gleich den Teufel an die Wand. Erstmal soll er dir ja auch nur was gegen dein Fieber geben. Und lass dich die ganze Woche krankschreiben, damit du dich auch wirklich erholen kannst.” Jula sah sie mit ernstem Blick an, so dass Steffi sich gar nicht traute, etwas dagegen zu sagen.
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Auf Halbem Weg - Steffi (1)
Fiksi PenggemarTeil 1 Steffi und Wincent Steffi (28) gerät durch einen dummen Streich in Kontakt mit Wincent Weiss, den sie bis dahin so gut wie kaum kannte. Wie kam es zu diesem Treffen und wie wird es ausgehen?