Kapitel 2

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Zuhause angekommen musste ich nicht mal die Tür öffnen, denn diese wurde aufgerissen und das mit Schwung.

Meine Mum sah mich ernst an und sagte tadelnd: "Aurela, heute gibt es keine Zeit zu verschwenden, du weißt, dass heute Abend der Ball ist."

Nein, was sie nicht sagte, das hatte ich vollkommen vergessen. Es redete auch nicht ständig jeder darüber, weshalb man diesen Ball sehr leicht vergessen konnte.

Dennoch setzte ich ein Lächeln auf, denn mir war bewusst, wie angespannt sie war. In einem sanften und entschuldigenden Ton antwortete ich: "Ja, ich weiß. Ich wollte nur einen kurzen Auslauf haben. Tut mir leid."

Meine Mum zog mich an sich und umarmte mich ganz fest. Ihren erhöhten Herzschlag hörte ich nicht nur, nein, bei dieser engen Umarmung spürte ich ihn.

Sie trug die große Sorge in sich, dass ich die Auserwählte für die Bestie sein könnte. Sie übertrieb maßlos, aber es war unter anderem verständlich.

Ich streichelte ihr mit einer Hand über den Rücken, um sie zu besänftigen. "Mum, es ist alles gut, das wirst du sehen. Morgen in der Früh, wenn der Ball hinter uns liegt, werden wir über deine Nervosität und Unruhe lachen."

Sie holte tief Luft und meinte ganz leise: "Eigentlich sollte ich diejenige sein, die dich beruhigt."

"Nein, Mum. Wie dir auffallen dürfte, bin ich weder unruhig noch hektisch."

Meine Wölfin gab ausgesprochen gerne ihren Senf dazu, weshalb sie es nun tat: "Außerdem hast du mich. Ich bin eine treue Seele, die stets rational bleibt und mit guten Argumenten dient, falls du eine Dramaqueen bist."

Dabei war sie die Dramaqueen von uns beiden. Manchmal konnte Aurore aus dem absoluten nichts ein Drama erschaffen.

Ihr Glück, dass ausschließlich ich meine innere Wölfin hören konnte, ansonsten wäre meine Mum sicherlich verletzt, weil sie es ihrer Ansicht nach als Mutter falsch machte. Immerhin blieb sogar Aurore ruhig, die ansonsten gerne ihr Drama inszenierte.

Ich ignorierte meine Wölfin und meine Mum ließ ab von mir, um mir in die Augen zu sehen. In ihren standen einige Sorgen, innerlich war sie vollkommen aufgewühlt.

Sie strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und musterte mich genau. Es war als wollte sie sich mein Gesicht nochmal genau einprägen. Vermutlich drehte aktuell jegliche Familie am Rad ab, sofern sich ein Mitglied darin im geeigneten Alter befand.

"Du bist so tapfer, Aurela. Ich bin stolz auf dich und liebe dich."

Ja, das ging bereits seit Tagen so. Mein Dad war derselbe Fall, da standen die beiden sich in nichts nach. Alle beide waren am durchdrehen.

Ich freute mich sehr darauf, wenn Normalität einkehrte und jeder seinem Alltag nachkam.

Mit meinen Augen deutete ich hinter sie und fragte: "Darf ich das Haus betreten?" Für eine weitere Unterhaltung wäre es angenehm, wenn wir drinnen wären. Schon mal davon abgesehen, dass ich etwas zu tun hatte.

Sie riss erschrocken die Augen auf und trat einen Schritt zurück. "Natürlich, tut mir leid." Ich tat es mit einer Handbewegung ab und ging an ihr vorbei.

Wenn ich daran dachte, dass heute der letzte Tag war, in dem Irrsinn herrschte, wurde all diese Hektik erträglich. Sobald der heutige Abend überstanden war, würde Ruhe einkehren.

"Aurela, ich werde dir helfen bei den Vorbereitungen." Das war eine gute Idee, denn Hilfe konnte nie schaden. Zu zweit würde alles wesentlich schneller ablaufen. Ein Styling konnte ziemlich aufwendig sein, da waren zwei Hände mehr ein Segen.

Um die Stimmung zu halten, eher um diese ins gute zu bringen, antwortete ich begeistert: "Danke, Mum."

"Niemals dafür."

Während wir den Gang geradeaus nach hinten gingen, fragte sie: "Wo ist überhaupt Gina? Ihr wolltet euch doch gemeinsam vorbereiten?"

Bei dem Gedanken daran musste ich ein Seufzen von mir geben. "Ja, aber ihre Mum hat sich gemeldet und hat Gina nach Hause gebeten. Sie möchte ein bisschen Zeit mit ihr verbringen, bevor der Ball beginnt."

Ihre Mum war genauso besorgt und wollte die Zeit mit ihrer Tochter genießen, da sie diese für begrenzt hielt. Irgendwie ging jeder davon aus, dass man die Auserwählte sein könnte.

Mein Zimmer war die dritte Tür rechts und dort kam ich gerade an. Da diese offen stand, konnte ich den Raum gleich betreten.

Mein Blick landete auf dem umwerfenden dunkelblauen Kleid welches an einem Kleiderhaken an der Schranktür hing.

Ich ging darauf zu und man konnte sagen was man wollte, aber es war wunderschön, dennoch unpraktisch. Dieses Problem wurde von dem weiten, ausgestellten Rock des Kleides ausgelöst.

Wie der Dresscode verlangte war es ein elegantes Abendkleid.

Vor dem Kleidungsstück angekommen, fuhr ich mit einer Hand darüber. Bequem dürfte etwas anderes werden, denn bei all dem Glitzer wurde der Stoff ungemütlich. Nur musste man sich dank der Bestie dieses Outfit antun.

Aurore meinte: "Ich weiß, dass wir uns stets einreden, dass wir nie seine Mate sein könnten, aber wenn doch..." Sie seufzte tief und fuhr fort: "...wird eine Flucht schwierig bei diesem Kleid. Wie sollen wir darin laufen?"

Was?!

Sie war meine Wölfin und die waren scharf auf ihren Mate. Dabei sollte sie an vieles denken, aber niemals an davonlaufen.

Mit ihren Worten fühlte ich mich wie vor den Kopf gestoßen. Außerdem hatte ich gedacht, dass wir beide überzeugt wären, nicht die Mate von Alpha Darkmoon zu sein.

Meine Hand hatte inne gehalten und vermutlich sah man mir den kleinen Schock an. Da war es perfekt, dass meine Mum sich hinter mir befand, weshalb ihr das verborgen blieb.

Aurore konnte in meiner Gedankenwelt lauschen und so antwortete sie: "Aurela, ich will ein verdammtes Happy End. Das lassen wir uns von niemanden nehmen."

"Eigentlich solltest du es ein Happy End nennen, sobald unser Mate irgendwie involviert ist. Du bist nämlich eine Wölfin, die vollkommen davon überzeugt sein sollte."

Zumindest war das normalerweise der Fall. Mir war von Erzählungen bekannt wie das ablief. Allerdings schwärmte praktisch jeder von dem Mateband. Es handelte sich um bedingungslose Liebe, die ewig währte.

Dennoch gab es immer wieder Ausnahmen, aber an die dachte man ungern, da der Großteil damit sein großes Glück fand.

Aurore meinte todernst: "Nein, ich will ein richtiges für uns. Bei diesem Psychophaten kann man sich das wohl kaum erwarten. Du kennst die Geschichten über Alpha Darkmoon. Das trifft nicht meine Vorstellungen von einem glücklichen Mateband und deine auch nicht."

Ich zuckte vor Schreck zusammen, als mir jemand eine Hand auf die Schulter legte und leicht zudrückte. Ich sah schnell nach rechts und meine Mum lächelte mich warm an. In einer sanften Stimme sagte sie: "Wir sollten langsam anfangen."

Ja, das sollten wir wirklich, sofern wir pünktlich auf der Veranstaltung des Wahnsinns erscheinen wollten.

My heartless Mate | ✔️ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt