Kapitel 34

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Zu Beginn packten wir schweigend die Kartons aus und diese Ruhe war weder unangenehm noch komisch.

Dennoch fand ich keinen richtigen Ansatz wie ich dieses Gespräch beginnen sollte. Ich wollte das vorsichtig machen und nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen. Subtil an das Ganze heranzugehen schien mir die beste Lösung zu sein.

Für unser aktuelles Vorhaben hatten wir eine gute Einteilung gefunden. Ich packte die neuen Sachen aus, um mir diese ansehen zu können und Yasmina war mit meinem alten Zeug beschäftigt. Da Tyrone wenig Platz in diesem Raum beschlagnahmt hatte, würde alles problemlos hineinpassen.

Ich war gerade damit beschäftigt ein Kleid auf einen Bügel zu hängen, als Yasmina fragte: "Wo bleiben die tausend Fragen? Du musst doch welche haben." Ich hielt inne, aber mein Blick blieb dabei auf dem dunkelroten Kleidungsstück in meiner Hand.

Natürlich hatte sie Recht, denn ich wollte unbedingt aufgeklärt werden, nur hatte ich nach einer Strategie gesucht. Die menschliche Konversation konnte teilweise eine wahre Herausforderung sein. 

Sie fuhr fort: "Bei ausgerechnet dieser Familie müssen es mehr sein, als in einem normalen Fall. Du hattest ja bereits die Ehre an einem kleinen Treffen teilzunehmen."

Ich wagte es zu ihr hinüber zu sehen und Yasmina war mir längst zugewandt. Sie stand vor einem der Kartons, welcher noch geschlossen war. Vermutlich hatte sie ihn öffnen wollen, nur hatte sie unser Schweigen durchbrechen müssen.

Egal wie emotionslos sie wirkte oder tatsächlich sein mag, aber ich hatte keine Angst vor ihr. Deshalb antworte ich: "Ich hatte keine Ahnung wie ich das überhaupt ansprechen sollte. Vor allem, weil ich nicht weiß, wie lieb dir dieses Thema ist. Du scheinst eher schlecht auf deine Familie zu sprechen zu sein."

Die pure Kälte fand in ihre Tonlage, als sie erklärte: "Diese Leute sind nicht meine Familie."

Hm, das konnte man in viele Richtungen interpretieren und weil wir schon damit angefangen hatten, konnte ich gleich weiterbohren. Yasmina schien mir eine Person zu sein, die es mir sofort mitteilen würde, wenn ich mit der Fragerei aufhören sollte. Das sollte ich nutzen.

"Wie genau ist das gemeint? Sind sie nicht deine Blutsverwandten oder meinst du damit, dass du im Herzen keine Sympathie für sie empfindest?"

Sie verschränkte ihre Arme, was eine abweisende Haltung war, dennoch antwortete sie: "Ich bin mit niemanden von ihnen blutsverwandt. Ich mag durch gewisse Umstände eine Zeitlang dazu gehört haben, nur ist das mittlerweile hinfällig." Ihre Gesichtszüge wurden ein bisschen härter, als sie anmerkte: "Amanda nimmt den Schein viel zu wichtig, weshalb ich mir diesen Horror antun muss. Die Schreckschraube würde mir ansonsten eine Strafe geben."

Mittlerweile hinfällig?

Was meinte sie bitte damit?

Scheinbar sollte ich dieses Rätsel selbst lösen, wenn sie keine genauere Erklärung dafür abgab. Zumindest war mein Bedürfnis nachzubohren sehr gering bei ihrer Körperhaltung.

Zu meiner Überraschung fuhr sie von sich aus fort: "Außer Tyrone, der ist eine Ausnahme, denn er ist mir sehr wohl sympathisch. Den ganzen Rest kannst du vergessen und man sollte sie meiden als hätten sie alle die Pest."

Mein Mate besaß ernsthaft Freunde, bei seiner Ausstrahlung oder den Handlungen konnte man sich das sehr schwer vorstellen. Trotzdem hatte er das geschafft.

Yasmina kam einen Schritt näher und kurz blitzte in mir das Verlangen auf zurückzuweichen, welches ich glücklicherweise unterdrücken konnte. Sie sah mich eindringlich an, als sie sagte: "Vor allem du musst vorsichtig sein und gut auf dich aufpassen. Du hast so ungefähr die ungünstigste Zeit erwischt, um in dieses Haus zuziehen."

Als ob ich mir das selbst ausgesucht hätte. Mein toller Mate hatte mich hierher geschliffen. Freiwillig wäre ich niemals mit ihm gegangen.

Deshalb hob ich eine Augenbraue und musterte sie als ich fragte: "Hat dein bester Freund dir die Geschichte vorenthalten, wie genau er mich hierher gebracht hat?"

"Nein, diese Story ist mir bekannt. Aber eins solltest du im Kopf behalten, du hättest es wesentlich schlimmer treffen können. Tyrone mag auf den ersten Eindruck..." Sie hielt inne und überlegte an den richtigen Worten. Mir würden da gleich einige Begriffe einfallen und keiner davon würde freundlich ausfallen.

Schließlich tat sie es mit einer Handbewegung ab und meinte: "Du weißt was ich meine."

Oh ja, das tat ich. Sein erster Eindruck war ausgesprochen negativ und weit von sympathisch entfernt. Alleine wie er einen ständig einschüchterte und einem Angst machte. Den Titel grausamer Alpha hätte er mit Auszeichnung verdient.

Ich erwiderte nichts darauf und Yasmina beendete endlich ihre Ansprache: "Jedenfalls ist er gar nicht so übel und hat seine guten Seiten. Tyrone hat nur Probleme diese zu zeigen, trotzdem existieren sie. Sobald du ihn besser kennengelernt hast, wirst du das verstehen. Egal wie verrückt das gerade für dich klingt."

Danach wandte sie sich einfach ab und öffnete den nächsten Karton neben sich. Das war wohl ihr Zeichen dafür, dass diese Unterhaltung vorbei war. Natürlich könnte ich das ignorieren und sie löchern, allerdings wollte ich eine Freundschaft aufbauen. Außerdem würde ich noch an die Wahrheit gelangen. Niemand konnte eine Ewigkeit alles verheimlichen, vor allem da ich mitten drin war.

Ich widmete mich dem Kleid in meiner Hand, mit welchem Yasmina Geschmack bewiesen hatte. Es war zwar fraglich wann genau ich dieses bodenlange Abendkleid überhaupt tragen sollte, trotzdem war es gut etwas dergleichen im Schrank hängen zu haben. Vielleicht käme irgendwann ein passender Anlass.

Während ich das Kleidungsstück auf die Stange an der Wand hing, hörte ich meine Gehilfin in der Schachtel kramen. Ein leerer Bügel hing direkt daneben, den ich als nächstes in die Hand nahm. Es gab einiges auszupacken, da sollte ich gleich weitermachen.

"Aurela, eins möchte ich dir versprechen. Wir kennen einander zwar kaum und Vertrauen muss man sich erst verdienen. Aber ich versichere dir, dass die Gespräche zwischen uns auch zwischen dir und mir bleiben."

Das war wie ein kleiner Schock, denn eher hätte ich erwartet, dass sie eine Art Spion von meinem Mate wäre. Klar, ich hoffte auf eine zukünftige Freundschaft, nur kannte sie ihn wesentlich länger wie mich. Es war logisch, dass sie dadurch ihm gegenüber loyaler war. 

Um die Wahrheit ihrer Aussage besser einschätzen zu können, sah ich wieder zu ihr hinüber. Wir hatten sofort Blickkontakt und wie üblich hatte sie diesen emotionslosen Gesichtsausdruck, während sie anmerkte: "Ausgeschlossen sind Fluchtpläne oder andere dunkle Gedanken. Es mag selbsterklärend sein, trotzdem wollte ich es angesprochen haben."

Hm, vielleicht hatte ich doch eine gute Seele gefunden, die mein Leben erträglicher machen würde. Die richtige Antwort darauf würde mir die Zeit geben.

Ich lächelte sie leicht an und antwortete: "Ok, danke. Ich weiß all deine Hilfe wirklich zu schätzen und vor allem deine Ehrlichkeit."

"Häng mir keine rein edlen Absichten an, denn wir haben beide etwas davon. Du würdest auf Dauer wahnsinnig werden, wenn du in dieser Familie nur Tyrone auf deiner Seite hättest. Mich quält das Leben und du bringst Hoffnung mit."

Mein Herz brach ein kleines Stück, wenn ich das hörte. Es konnte zwar niemanden entgehen, dass sie es schwer hatte, aber diese Worte direkt gesagt zu bekommen, war etwas anderes.

Tatsächlich lächelte nun auch sie leicht. "Das Rudel hat dringend eine neue Luna gebraucht und hier stehst du endlich."

My heartless Mate | ✔️ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt