Kapitel 62

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Benommenheit.

Exakt das beschrieb mein morgendliches Erwachen am besten. Die Verwirrung nicht zu vergessen, denn mein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt.

Meine Augen öffnete ich langsam, was ich gut hinbekam, da es nicht zu hell war. Vorhänge konnten etwas Tolles sein. Da ich der anderen Bettseite zugewandt lag, fiel Tyrone gleich in mein Blickfeld.

Das nannte man eine frühe Überraschung. Ich hätte eher gedacht, dass er längst weg war. Seine Anwesenheit machte meine Verwirrung kein bisschen besser.

Wir hielten Augenkontakt und ich zog meine Augenbrauen zusammen. Mein Hirn arbeitete noch langsam, aber mir dämmerte, dass Yasmina gestern Abend zu Besuch gekommen war. Der Wein schien seine Wirkung getan zu haben.

Tyrone fragte neutral: "Und hast du den Rausch ausgeschlafen? Oder muss ich Angst vor neuen Kosenamen haben?" Er musterte mich, als könnte er dadurch seine Antwort bekommen, dabei stand die nicht in mein Gesicht geschrieben.

Hä?

Von bitte was redete er?

Ich setzte mich langsam auf, wodurch mein Kopf mehr schwirrte. Ich ignorierte es, denn er saß genauso, dann war ich eher auf Augenhöhe mit ihm.

Nun wirkte er belustigt und deutete meinen Gesichtsausdruck richtig. "Du erinnerst dich nicht mehr. Keine Sorge, dem kann ich Abhilfe verschaffen, weil ich mich bestens erinnere."

Oh Göttin.

Ich wollte es vermutlich nicht mal wissen, was ich gesagt oder getan hatte. Es musste praktisch peinlich gewesen sein.

Mit einem Seufzen kniff ich meine Augen zusammen, damit ich ihn nicht mehr ansehen musste. "Sorry, das ist sicherlich angebracht."

Unbeirrt erzählte er: "Ein unterhaltsamer Part war es, als du mir mein Shirt ausziehen wolltest. Ich versichere, du bist daran gescheitert. Meine Größe wurde die Schuld daran gegeben, weil du laut eigener Aussage nur ein bisschen betrunken warst."

Ja, ich hatte mich peinlich verhalten. Vermutlich hatte ich ihn noch bedrängt oder wer weiß was angestellt. Es war gut, dass die Erinnerung fehlte, denn man musste nicht immer alles wissen.

Ich zog mir meine Decke über den Kopf, dadurch könnte ich seine Stimme nur gedämpft hören. Vielleicht wurde es damit besser, was ein jämmerlicher Versuch war.

Manchmal könnte ich mir selbst ins Gesicht schlagen. Allerdings wäre es interessant zu wissen, wie es dazu kam, dass ich ihn überhaupt hatte ausziehen wollen.

Tyrone wollte die Decke anheben, aber ich krallte mich darin fest, somit blieb sie über mir. Es war kaum zu glauben, aber ich hörte ihn lachen. Da war ich nicht mehr zu halten und schlug freiwillig die Decke zurück. Das musste ich gesehen haben, ansonsten glaubte ich es nicht.

Aber ich hatte richtig gehört, denn das war ein echtes Lachen. Er besaß wohl doch so etwas wie Humor.

Moment.

Im Grunde lachte er mich aus, deshalb sagte ich: "Du bist gemein. Hör auf damit." Obwohl es schön war ihn so zu sehen. Das dürfte nämlich ein seltener Moment sein, außer natürlich Aurela betrank sich und benahm sich wie die letzte Idiotin.

Die Peinlichkeit erreichte mich wieder, weshalb mir eine wundervolle Idee kam, denn ein bisschen Abstand wäre toll. Dann konnten wir beide auf andere Gedanken kommen und anschließend weiter machen.

Ich rückte an den Rand des Bettes, denn eine Dusche würde mir den benötigten Abstand geben. Vor allem Zeit zum Nachdenken wie ich dieses Thema auf ewig meiden könnte.

Auf einmal verstummte Tyrone und fragte: "Wohin gehst du?" Ich sah zurück zu ihm, da wurde wie üblich sein Gesichtsausdruck wieder ernst. Mit meinem Daumen zeigte ich zum Badezimmer, als ich antwortete: "Ich will duschen. Dann kannst du in Ruhe lachen und ich sterbe vor Scham. Klingt toll, oder?"

Ich stand auf und machte mich auf den Weg, nur wurde ich aufgehalten. Tyrone stand plötzlich vor mir, womit er sich einen bösen Blick von mir einhandelte. "Könntest du endlich damit aufhören? Du erschreckst mich ständig mit deiner Geschwindigkeit. Das ist unfair."

Mein Mate packte mich an der Hüfte und zog mich enger an sich. "Nein, betrachte es einfach als Gewohnheit, weil ich allgemein so schnell sein könnte. Und Gewohnheiten sind schwer abzugewöhnen. Vielleicht auch, weil es süß ist, wenn du dich erschreckst."

Warum musste er mir immer wieder bestätigen, dass er ein Arschloch war? Das musste wie ein innerlicher starker Drang für ihn sein.

Um ausnahmsweise ihn zu überfordern oder aus dem Konzept zu bringen, würde nun ich aufdringlich sein. Möglicherweise lag es auch an dem Restalkohol, denn den hatte man noch eine Weile im Körper.

Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen und legte meine Arme um seinen Hals. Wenn er schon die Nähe suchte, dann ging ich eben darauf ein. Es hatte den gewünschten Effekt, denn die Überraschung hatte man ihm kurz angesehen. Es mag lediglich eine Sekunde gewesen sein, aber sie war da.

Flüsternd antwortete ich: "Gemein ist es trotzdem." Tyrone gab mir daraufhin einen kurzen Kuss und meinte danach: "Ich habe nie behauptet nett zu sein, Mate." Dieses eine Wort war es, wodurch mir alles wieder einfiel.

Ich hatte ihn ernsthaft Tyronchen genannt und einen grummeligen Eisbären. Ich war offiziell übergeschnappt.

Ich löste mich von ihm und trat einen Schritt zurück, denn das war ein weiterer kleiner Schock. Ich hatte mich wirklich zur Idiotin gemacht.

Tyrone war wohl zu überrascht gewesen, weshalb er mich zurück weichen hatte lassen. Denn normalerweise hielt er mich gerne davon ab, wenn er schon das Bedürfnis nach Gesellschaft hatte.

Nach einem Räuspern sagte ich: "Das mit gestern tut mir wirklich leid." Ich wandte mich schnell ab und machte mich wieder auf den Weg, denn nun rief das Badezimmer umso lauter nach mir. Am besten fraß mich direkt der Fußboden auf und spuckte mich nie wieder aus.

Tyrone hatte scheinbar kapiert woher meine plötzliche Zurückweisung kam, denn er fragte: "Willst du Gesellschaft oder muss ich dann im Shirt duschen?" Wie wundervoll er doch auf meine gestrige Unfähigkeit hinwies.

Tyrone mag ein einschüchternder Alpha sein, aber damit hatte er mich wütend gemacht. Ich zeigte ihm den Mittelfinger nach hinten und betrat das Badezimmer. Nur kam ich nicht mehr dazu die Tür zu schließen, denn er musste wieder wie aus dem nichts vor mir stehen.

Ich schlug mir eine Hand vors Gesicht und quengelte: "Nein bitte, verschone mich. Ich will dir nicht mehr ins Gesicht sehen. Das war genug für einen Morgen." Meine Wangen hatten längst zu glühen angefangen, das wollte ich vor ihm verbergen.

Aber Tyrone nahm meine Hand von meinem Gesicht und hielt sie in der seinen fest. Meine Augen kniff ich einfach zusammen, dann konnte ich mir diesen Anblick ersparen.

Erstaunlicherweise sagte er ernst: "Mate, vor mir muss dir sicherlich nichts peinlich sein. Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern, aber nicht vergraulen." Ein Seufzen war meine Antwort, denn es mangelte mir an den richtigen Worten. Am besten vergaßen wir den gestrigen Abend und sprachen nie darüber.

Er besaß wohl doch so etwas wie Feingefühl, denn Tyrone wechselte elegant das Thema, in dem er sagte: "Im Stress der letzten Tage sind ein paar Dinge untergegangen, die holen wir heute nach. Was sagst du dazu?" Langsam öffnete ich meine Augen und die seinen hatte ich gleich gefunden.

Ganz leise antwortete ich: "Ok."

My heartless Mate | ✔️ Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt