Kapitel 2

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Ina schaute auf ihren Kalender und ein leises Stöhnen entrang sich ihr. Nur noch zwei Tage bis sie nach Ibiza auf diese unselige Hochzeit flogen und auf ihrer To-Do-Liste standen noch so viele Sachen, die sie zu erledigen hatte. Sie schloss einmal kurz die Augen. Wenn sie sich ganz stringent daran hielt und alles der Reihe nach abarbeitete, dann würde sie es schaffen pünktlich fertig zu werden. Ja, so wie sie es immer schaffte. Inas Telefon klingelte. „Inibini, wann holst du mich ab, damit wir für mich Klamotten kaufen gehen können?" Die fröhliche, aber auch leicht ungeduldige Stimme ihrer kleinen Schwester Natascha scholl ihr entgegen. „Schischi, ich muss noch arbeiten."  Sie nannte die Kleine extra noch bei ihrem Kosenamen, damit sie nicht sofort über die Antwort enttäuscht war. Wahrscheinlich saß sie nämlich schon erwartungsvoll im Wohnzimmer auf dem Sofa. „Du hast mir aber versprochen, dass ich einen neuen Bikini und Sommerkleider bekomme." Enttäuschung gepaart mit einer Spur Bockigkeit schlug ihr entgegen und sofort machte sich in Ina das schlechte Gewissen breit.....wie immer, wenn sie zu wenig Zeit für ihre kleine Schwester hatte. Damals als ihre Mutter gestorben war, hatte sie Nataschas Erziehung mehr oder weniger übernommen. Ihr Vater war ja mit der Firma beschäftigt gewesen. Damals hatte sie aber auch erst nur die Schule und dann die Uni gehabt. Sie hatte sich bemüht der Kleinen so gut wie möglich die Mama zu ersetzen, auch wenn das ziemlich schwierig war. Schließlich war sie ja selbst erst ein Teenager als ihre Mama gestorben war. Inas Blick wanderte zu dem Foto ihrer Mutter, die sie aus dem Silberrahmen auf ihrem Schreibtisch anlächelte. Ina liebte dieses sanfte, liebevolle Lächeln ihrer Mutter. „Du schaffst das schon, meine kleine Ina. Du schaffst alles, wenn du es wirklich willst, mein Engel." Das hatte ihre Mutter so oft zu ihr gesagt, wenn sie bei den Hausarbeiten gehangen hatte. Oder wenn ihre Ballettlehrerin ihr wieder einmal an den Kopf geworfen hatte, dass sie aussah wie ein Elefant im Porzellanladen und keinerlei Talent für das Tanzen besaß. Irgendwie hatte die Ballettlehrerin damit auch recht gehabt. Das Tanzen war ihr absolut nicht gegeben, aber in der Schule hatte sie wirklich immer alles geschafft. Sie hatte sogar ihr Abitur mit einer Eins vor dem Komma bestanden, obwohl sie sich um Natascha hatte kümmern müssen. Müssen traf es nicht ganz. Sie hatte sich gerne um ihre Schwester gekümmert. Sie liebte den kleinen Engel ja auch. Erst ein einziges Mal hatte sie ihre eigenen Wünsche über die ihrer Schwester und ihres Vaters gestellt und war für zwei Auslandssemester nach Barcelona gegangen......ja, und genau da war es dann passiert, der eine Tag, der ihr ganzes Leben hatte aus den Fugen geraten lassen. Sie konnte sich nur noch wie durch Wolken an diesen Anruf erinnern, den sie vom Krankenhaus bekommen hatte. Ihr Vater war mit einem Herzinfarkt mitten auf dem Flughafen in Düsseldorf zusammengebrochen. Er war gerade auf dem Weg zu ihr nach Barcelona gewesen. Tja, das war der Tag, der alles verändert hatte. Seit diesem Tag musste sie nicht nur wie früher ihren Vater zu manchen Firmenevents begleiten oder deren Organisation übernehmen. Nein, seit diesem Tag war sie nicht nur für ihre Schwester verantwortlich, sondern auch für das weitere Bestehen des Unternehmens. Alles lag in ihrer Verantwortung. Natürlich hatte sie schon von kleinauf die Idee gehabt irgendwann in die Firma einzusteigen, aber an der Seite ihres Vaters. Niemals hatte sie damit gerechnet, dass sie mit einundzwanzig auf einmal für einige hundert Angestellte verantwortlich war. Klar hatte ihr Vater sie schon immer ein wenig in seine Geschäfte eingeweiht, aber eben nur ein wenig.....und bumm plötzlich war sie für alles verantwortlich. Hätte sie damals nicht Linus an ihrer Seite gehabt, wäre sie wie die Titanic einfach untergegangen. In Ina breitete sich ein warmes Gefühl aus. Ja, Linus war ihr ganz persönlicher Rettungsanker gewesen. Ein Schmunzeln schlich sich in ihr Gesicht. Sie musste an die Zeit denken, die sie in der WG zusammen mit Luca damals in Barcelona verbracht hatten. Ja, Luca, der Bräutigam zu dessen Hochzeit sie nach Ibiza mussten, war zu der Zeit ihr Mitbewohner gewesen.....und ihr Freund. Ja, sie hatte Luca genau wie ihr Vater für den perfekten Schwiegersohn gehalten, der perfekt zur Firma passte. Was für ein Irrtum. Ganz abgesehen davon, dass Luca sein Wirtschaftsstudium geschmissen hatte, hatte er auch nicht zu ihr gepasst. Ganz im Gegensatz zu Linus, der ihr einfach zur Seite gestanden hatte, obwohl sie noch nicht einmal ein Paar gewesen waren. Er war die ganze Zeit über für sie da. Er hatte sich zusammen mit ihr in ein Flugzeug gesetzt und war mit ihr sofort nach dem Anruf nach Düsseldorf geflogen. Er hatte sie ins Krankenhaus begleitet und ihre Hand gehalten als sie vor dem Bett ihres Vaters auf der Intensivstation gestanden hatte. Und er hatte ihr geholfen erst einmal den Überblick in der Firma zu bekommen und die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Ina wusste nicht, was sie ohne ihn getan hätte...
„Immer ist dir die blöde Firma wichtiger als ich." Nataschas Worte klangen wütend. Und sie konnte die Wut auch irgendwie verstehen. All zu oft hatte sie genau diese Worte auch ihrem Vater an den Kopf werfen wollen und sich dann doch nie getraut. „Ich beeile mich, Schischi. Wir treffen uns in zwei Stunden in der Stadt, okay?" „Inibini, du bist die Allerbeste." Sofort war die Stimmung ihrer Schwester wieder wie ausgewechselt und ihre Stimme nahm diesen leicht euphorischen Klang an. „Aber diesmal darf ich mir die Sachen selbst aussuchen." „Ja, darfst du", stimmte Ina ihr schnell zu, damit sie das Gespräch beenden und wenigstens noch ein paar Sachen abarbeiten konnte, ehe sie zum Shopping mit Natascha musste. Wie ausgefallen sollten schon die Wünsche einer Zwölfjährigen sein?

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt