Kapitel 47

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Genia schaute dem Essiggürkchen hinterher und verstand nicht, was das heißen sollte. Wann bitte hatte sie sie schon einmal aus ihrem Leben gejagt? Sie kannte Ina ja noch nicht einmal ein Jahr. „Was war das bitte?" Sie schaute Linus fragend an, der zu ihr und Luca getreten war, während ihr Mann versuchte Espie zu beruhigen. „Sorry, Ina ist wohl gerade ein bisschen durchgedreht. Das hat nicht wirklich etwas mit dir zu tun", entschuldigte er seine Freundin. „Also bei dem Durchgedreht gebe ich dir recht, aber wenn ich so in meiner eigenen Wohnung vor meinen ganzen Freunden und meiner Familie heruntergeputzt werde, dann hat das durchaus etwas mit mir zu tun." Genia war nicht bereit sich so etwas bieten zu lassen. Linus konnte vergessen, dass sie das mit einer lässigen Entschuldigung abtat. Es war der dritte Geburtstag ihrer Tochter und der sollte etwas Besonderes für sie sein. Sie sollte jedenfalls nicht verängstigt und weinend auf dem Arm ihres Vaters sitzen. Linus verzog sein Gesicht. „Ja, also...eigentlich." Was sollte dieses Herumgedruckse? Okay, Genia wäre es auch schwergefallen für so ein Verhalten eine Entschuldigung zu finden. Aber dann sollte er es einfach nicht versuchen. Das Essiggürkchen hatte sich zu entschuldigen und niemand anderes. Linus hatte tief Luft geholt und ließ diese geräuschvoll entweichen. „Ich weiß nicht, ob es okay ist, wenn ich euch das erzähle..." Er winkte ab. „Egal, aber dann versteht ihr vielleicht, warum Ina im Moment so angespannt ist und total irrational reagiert hat." „Kriegt sie auch ein Kind?" Luca schaute seinen Kumpel grinsend an und klopfte ihm auf die Schulter. Linus schüttelte den Kopf. „Schön wäre es, wenn das der Grund für ihr Verhalten wäre. Nein, sie hat vor drei Wochen bei uns auf dem Dachboden einen Adoptionsantrag mit ihrem Namen gefunden. Seitdem ist sie total durch den Wind." Genia musste schlucken. Adoptionsantrag? „Wie, Ina ist adoptiert? Dann ist Constantin gar nicht ihr Vater", hakte Luca nach. Constantin! Ihr Conny und der Vater von ihrer Carmen hieß auch Constantin mit Vornamen. „Doch, ihr Vater ist ihr leiblicher Vater. Nur ihre Mutter hat sie adoptiert." „Weiß sie denn wer ihre leibliche Mutter ist?", fragte Luca interessiert. „Das ist ja schon ein ganz schönes Brett." Linus nickte. „Auf alle Fälle, deshalb kann ich euch nur um Verständnis für ihr Verhalten bitten. Sie war heute auf dem Jugendamt zur Akteneinsicht. Also denke ich, dass sie den Namen jetzt weiß." Genia schüttelte leicht den Kopf. Ina hieß mit Nachnamen Preetz und nicht Lochow. Das wusste sie, weil sie damals einmal kurz die Vermutung gehabt hatte, dass es sich bei Inas Vater um ihren Conny gehandelt haben könnte. Also konnte das überhaupt nicht sein. Und das würde ja auch gar keinen Sinn ergeben, schließlich hatte ihr Conny ja damals einfach den Abgang gemacht, als er erfahren hatte, dass sie schwanger war. Der Gedanke, dass Ina Carmen sein könnte war also völlig unsinnig. „Ina heißt Preetz mit Nachnamen, richtig?", fragte sie aber trotzdem noch einmal nach. „Ja, seit sie von ihrer Mutter adoptiert wurde. Ihr Vater hat bei der Hochzeit den Namen ihrer Mutter angenommen. Bis dahin hieß sie Lochow." Genias Herz begann zu rasen und sie hatte das Gefühl gleich zu zerspringen. „Lochow?! Wann hat sie Geburtstag?" „Ja Lochow. Sie hat am 7.Januar Geburtstag. Ihr habt doch sogar mit uns gefeiert." Linus schaute sie irritiert an. 7. Januar! Das war der Geburtstag von ihrer Carmen! Genia musste schlucken. Sie versuchte sich die Worte ins Gedächtnis zu rufen, die Ina ihr an den Kopf geworfen hatte.
‚Und gibst du Espie jetzt auch bei ihrem Vater ab? Ist sie dir jetzt dann auch lästig? Oder überlässt du Luca dann nach der Geburt beide Kinder, ehe du dich verdünnisierst, um dein Leben zu genießen? Was bist du überhaupt für ein Mensch? Mutter kann man dazu ja nicht sagen.'
Ja klar, das ergab jetzt irgendwie einen Sinn. Jedenfalls glaubte sie das. „Carmen!", keuchte sie auf. Ja, Ina musste ihre Carmen sein. Ohne ein weiteres Wort rannte sie zur Tür und ins Treppenhaus. Sie musste sofort hinterher. Hoffentlich erwischte sie Ina, nein Carmen noch. Sie musste sofort mit ihr reden. Mit rasendem Herzen rannte sie die Treppen hinunter. Sie konnte es noch gar nicht glauben. Sollte es wirklich wahr sein, dass sie ihre kleine Tochter endlich gefunden hatte? Sie musste ihr sofort sagen, dass sie sie nie aus ihrem Leben gejagt hatte. Nein, man hatte sie ihr auf übelste Weise entrissen und sie hatte sie jeden einzelnen Tag ihres Lebens vermisst. Genia sprang die letzten Stufen hinunter und schaute in den Hausflur. Dort stand ihre Tochter vor den Briefkästen und wurde von Sascha, ihrem Obermieter, in seinem Arm gehalten. „Carmen!" Sie rannte die letzten Schritte. „Du kennst sie?" Der junge Mann schaute sie erleichtert an. „Sie ist irgendwie total aufgelöst in mich hineingerannt." „Ja, sie ist meine Tochter." Genia ging dieser Satz wie selbstverständlich über die Lippen. „Okay, dann solltest du dich vielleicht um sie kümmern." Er löste seinen Arm vorsichtig von Carmen und Genia legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie an sich. Sofort spürte sie eine Gegenwehr und Carmen löste sich von ihr. „Fass mich nicht an", fauchte sie sie mit tränenverschmierten Gesicht an. Okay, sie war immer noch außer sich. Das konnte Genia ja sogar irgendwie verstehen. „Wir beide müssen reden", schlug sie deshalb so ruhig wie möglich vor, obwohl sie nicht reden, sondern ihre verlorene Tochter einfach nur umarmen und kuscheln wollte. Ihr Herz war kurz davor vor Glück zu platzen. Wie oft hatte sie diesen Moment herbeigesehnt und von ihm geträumt. Sie hatte ihre Carmen wieder. „Vergiss es. Wir haben nichts zu bereden." Ihre Tochter wischte sich mit ihrer Hand fahrig die Tränen aus dem Gesicht. „Da seid ihr ja!" Linus und Luca waren auch die Treppe herunter gestürmt. „Ist alles okay?" Luca schaute sie besorgt an. „Ja...ja", Genia strahlte ihn glücklich an. „Ina ist meine Carmen. Ich habe meine kleine Tochter wiedergefunden." Er wusste ja, dass sie schon eine Tochter hatte. „Vergiss es! Du wirst nie meine Mutter sein. Und wage es dich nie wieder dich so zu nennen", spie ihr ihre Carmen entgegen. Die Worte trafen sie wie kleine Dolche.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt