Kapitel 69

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Linus hatte dieses dumpfe Poltern gehört und dann hatte sich der übliche Film abgespult. In seinem Kopf echoten noch die Worte „Es tut uns leid. Wir konnten ihn nicht mehr retten" als er seine Augen aufriss und in die Dunkelheit starrte. Er spürte wie er am ganzen Körper zitterte. Verflucht, wann hörte dieser Mist endlich wieder auf, ihn zu verfolgen! Seit Hamburg schreckte er fast jede Nacht auf. Glücklicherweise hatte Ina noch nichts davon bemerkt. Er wollte auf keinen Fall, dass sie sich Sorgen machte. Es reichte schon, wenn einer von ihnen kaum noch Schlaf bekam. Linus schaute zu den Leuchtzeigern seiner Uhr. Es war gerade einmal Mitternacht. Na super! Das hieß dann wohl für ihn noch mindestens sechs Stunden wachliegen bis er wieder aufstehen konnte. Denn an Schlaf war nach so einem Albtraum für ihn nicht mehr zu denken. Nee, das konnte er vergessen, so wie sein Herz immer noch raste. Solchen Puls hatte er früher nur nach dem Sport gehabt. Vielleicht sollte er jetzt auch einfach laufen gehen, so wie früher. Dann würde er die Zeit wenigstens für etwas Vernünftiges nutzen - für seine Gesundheit. Aber wer ging bitte um Mitternacht laufen? Niemand! Wenn er sich ganz leise hinausschlich, ohne Ina zu wecken, konnte er auch noch ein bisschen für die Firma arbeiten. Da gab es genug, was durch Hamburg und Inas kleine Auszeit liegen geblieben war. Außerdem waren da ja auch noch die neuen ziemlich lukrativen Aufträge, die er gedachte an Land zuziehen. Klar, waren sie ziemlich zeitaufwendig in der Vorarbeit, aber dafür versprachen sie auch soviel Gewinn, dass sie an anderer Stelle dann kürzer treten konnten. Vorsichtig schob Linus sein Deckbett zurück und versuchte so geräuschlos wie möglich das Bett zu verlassen. Gerade als er fast die Tür erreicht hatte, wurde sie geöffnet und der sanfte Schein einer Handylampe fiel auf ihn...gefolgt von einem leisen Aufschrei. „Mensch Linus, hast du mich erschreckt." Ina hielt sich die Hand vor die Brust und schaute ihn mit aufgerissenen Augen an. Linus Blick ging einmal kurz zum Bett. Wieso lag Ina da nicht, sondern schlich hier wie ein Nachtgespenst mit Handybeleuchtung durch die Villa? Wahrscheinlich konnte sie auch nicht schlafen. „Alles okay bei dir?", fragte er besorgt. Vielleicht machte ihr doch wieder die Sache mit der Adoption irgendwelche Sorgen. Er hatte zwar gedacht, dass das für sie mittlerweile alles geklärt wäre, aber der Opernbesuch und das Zusammentreffen mit einer alten Bekannten ihrer Mutter hatte sie vielleicht doch wieder mehr durcheinander gebracht, als sie zugeben wollte. Ina nickte. „Ja, ich konnte nur nicht einschlafen und dann habe ich noch etwas in den Tagebüchern meiner Mutter weitergelesen." Sie schaute ihn betreten an. „Habe ich dich etwa geweckt? Das wollte ich nicht." Linus schüttelte schnell den Kopf. „Nö, ich wollte nur gerade eine Stange Wasser in die Ecke stellen." „Na dann will ich dich mal nicht länger aufhalten." Ina lief grinsend an ihm vorbei Richtung Bett und er suchte sich tapsend seinen Weg. Das war gar nicht so leicht im Dunkeln, wenn man sich vorher der Flutlichtbeleuchtung eines Handys gegenüber gesehen hatte. Das würde Linus spätestens in dem Moment schmerzhaft bewusst als sein kleiner Zeh am Türpfosten zum Bad hängenblieb. Leise vor sich hinfluchend tappte er weiter zum Toilettenbecken. Wenn er jetzt das Licht anmachte, dann lief er ja noch blinder zurück ins Schlafzimmer und opferte wahrscheinlich noch mehr seiner Gliedmaßen. Eigentlich musste er nicht einmal, aber eine andere Ausrede war ihm nicht eingefallen als er Ina gegenübergestanden hatte. Tja, dann blieb wohl nichts anderes als sich auch diese Nacht mehr oder weniger schlaflos im Bett hin und her zu wühlen, denn Ina würde garantiert warten bis er wieder zurück im Bett war, um sich an ihn zu kuscheln. Okay, das war dann schon eine ziemlich nette Sache. Er liebte es wenn er ihren Körper an seinem spürte. Er lauschte und erspürte dann immer jeden ihrer Atemzüge. Das war irgendwie beruhigend für ihn. Meist schlief er dann doch darüber ein....wenigstens kurz.... bis der Albtraum nach ihm griff. Vielleicht hatte er ja heute mal Glück und er konnte doch noch schlafen, schließlich hatte er seinen täglichen Albtraum ja schon hinter sich. Er befürchtete aber, dass das so nicht funktionierte und sein Hirn sich damit nicht zufrieden gab. Natürlich war ihm völlig klar, dass diese Albträume auf seinem schlechten Gewissen basierten und das infiltrierte seine Psyche so, dass sie es nicht mehr schaffte, das Ganze wie in den letzten Jahren einfach zu verdrängen. Ja, er musste sich eingestehen, dass er alle nur verdrängt, aber nicht aufgearbeitet hatte. Wie sollte man aber auch den Tod eines anderen Menschen, den man verschuldet hatte, aufarbeiten? Also Linus wüsste da keinen Weg. Mit der Schuld musste man leben. Man konnte sie nicht aufarbeiten und dann war sie weg. So eine Schuld war unauslöschlich. Die blieb bestehen.
Linus krabbelte wieder in sein Bett und sofort spürte er einen warmen Körper, der sich an ihn schmiegte. „Und gab es was interessantes in den Tagebüchern?" „Ja, Mama hat davon geschrieben, wie Papa ganz blass geworden ist, als sie mir meinen ersten Wackelzahn ziehen musste, weil ich sonst nicht mehr richtig essen gekonnt hätte." Ina fing an zu kichern. „Er konnte dann wohl nicht mehr essen, weil ihm so übel war....ich dafür aber schon. Es tut mir richtig gut darin weiterzulesen. Dann habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, dass ich sie vergesse und undankbar bin. Irgendwie gehört sie dann trotzdem weiter zu meinem Leben, genau wie Genia. Ach übrigens....Genia hat uns zu einer Halloween Party eingeladen. Sie wollen wohl noch einmal richtig Party in der alten Wohnung machen bevor sie umziehen. Ich muss da unbedingt noch coole Kostüme für uns drei besorgen." Linus hob erstaunt seinen Kopf. „Du magst Halloween?" Das war ihm neu. Bisher hatte Ina da nicht wirklich viel Interesse gezeigt. „Warum nicht? Wird bestimmt lustig. Jedenfalls hat Genia das versprochen." Genias Einfluss auf Ina gefiel ihm, denn er fand Halloween schon immer ziemlich spaßig. „Was hältst du davon, wenn ich als sexy Hexe gehe?" Linus spürte, wie sich Inas Finger einen Weg über seinen Körper suchten und ihn sanft zu streicheln begannen. „Das gefällt mir, glaube ich, ganz gut", brummte er und auch seine Hände begaben sich auf Erkundung. „Mir glaube ich auch", kicherte Ina an seinem Ohr und begann seinen Hals entlang zu küssen. Okay, das war auch eine ziemlich gute Möglichkeit seine Schlaflosigkeit zu überbrücken. Inas Hände und Lippen wanderten weiter Richtung Süden. Nein, das war nicht nur eine ziemlich gute Möglichkeit.....das war die beste Idee überhaupt sich körperlich zu verausgaben und für Schlaf zu sorgen.....und für eine positive Hormonflut, die alle dunklen Gedanken wegspülte.....

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt