Kapitel 52

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„Das war wirklich eine sehr schöne Vorstellung heute. Deine Schwester scheint mir ziemlich talentiert." Paula hatte den Motor abgestellt und schaute Ina lächelnd an. Irgendwie hatte diese Frau etwas an sich, was Ina vom ersten Augenblick extrem sympathisch fand. Es war so eine Art Verbundenheit. Fast so, als kannten sie sich schon ewig. „Bestimmt wird Julia mir die ganze nächste Woche in den Ohren liegen, dass sie auch tanzen möchte." Das konnte sich Ina gut vorstellen. „Vielleicht können ja Natascha und Julia irgendwo zusammen in die Tanzschule gehen." Das wäre eine gute Idee. Natascha hatte so viel Spaß am Tanzen und mit ihrer Freundin zusammen wäre es gleich noch mal schöner. Da war Ina sich sicher und für sie wäre es zum einen eine Entlastung, wenn sie sich mit Paula den Fahrdienst teilen konnte, und zum anderen würde sie ihr schlechtes Gewissen, dass sie viel zu wenig Zeit für Natascha hatte, damit beruhigen. „Das finde ich eine super Idee", stimmte Paula gleich begeistert zu. Das Gespräch, das Ina mit Paula während der Heimfahrt geführt hatte, war äußerst angenehm verlaufen. Sie waren nicht einmal auf Genia zu sprechen gekommen, obwohl Ina das anfänglich befürchtet hatte. „Hast du Lust noch auf einen Kaffee mit reinzukommen?" Die Idee war Ina ganz spontan gekommen. „Ja, gerne!" Paula stimmte sofort begeistert zu und zog den Zündschlüssel ab.
„Ich habe dir einen Cappuccino gemacht. Den magst du doch am liebsten, wenn ich mich richtig erinnere." Ina stellte vor Paula eine dampfende Tasse ab. „Das hast du dir gut gemerkt", lächelte die andere Frau und ließ ihren Blick durch das Wohnzimmer schweifen. „Ihr habt ein wirklich schönes Haus. Es erinnert mich ziemlich an das, in dem deine Mutter aufgewachsen ist. Wusstest du, dass wir beide hier ganz in der Nähe groß geworden sind?" „Meine Mutter ist in diesem Haus aufgewachsen. Genia ist nicht meine Mutter, sondern die Frau, die mich einfach weggegeben hat." Wieso musste Paula jetzt doch mit diesem leidlichen Thema anfangen? Der Abend hätte doch noch so schön werden können. Ina bereute ihre Entscheidung Paula eingeladen zu haben schon. „Ina", Paula schüttelte energisch ihren Kopf. „Also einfach war damals mit Sicherheit überhaupt nichts. Vielleicht sollte ich dir mal erzählen, was damals wirklich alles passiert ist. Dann siehst du es bestimmt ganz anders." Ina schüttelte ihren Kopf. „Ich will nichts hören. Für das, was diese Frau getan hat, gibt es keine Entschuldigung. Sie wollte mich nicht haben und jetzt muss sie damit leben." Beim letzten Satz hatte Ina ein Schluchzen nicht unterdrücken können. So viel sie auch versuchte sich einzureden, dass es ihr nichts ausmachte, dass diese Frau sie nicht wollte, musste sie sich eingestehen, dass es nicht funktionierte. Nein, sie war zutiefst darüber verletzt. „Komm mal her", Paula legte ihren Arm um Inas Schulter. „Schließlich wäre ich ja jetzt deine Patentante, wenn alles anders gelaufen wäre. Und eins kann ich dir ganz sicher sagen, Genia wollte dich mehr als ihr eigenes Leben haben. Sie konnte nichts dafür, dass man dich ihr weggenommen hat." War ja klar, dass Paula ihre beste Freundin verteidigte. Momentmal, was hatte sie gerade gesagt? „Du willst mir also erklären, dass sie...." Das Wort sie hatte sie fast ausgespien. „... mich nicht weggegeben hat, sondern das Jugendamt mich ihr weggenommen hat. So etwas passierte ja auch nicht ohne Grund. Und unter dem Strich war es ja völlig egal, ob jemand das Baby nicht haben wollte oder ob er so unzuverlässig war, dass man ihm das Baby wegnahm. Das Ergebnis blieb das gleiche. Genia war eine Frau, die den Namen Mutter nicht verdient hatte. Paula schüttelte ihren Kopf. „Es war nicht das Jugendamt, das dich Genia weggenommen hat." Ina verzog ihr Gesicht. „Wer sollte es dann bitte gewesen sein?" „Es war deine Großmutter." „Meine Großmutter?", entfuhr es Ina ungläubig. Paula nickte. „Vielleicht lässt du mich einfach von Anfang an erzählen. Schließlich war ich schon immer Genias beste Freundin und habe alles hautnah mitbekommen." Eigentlich war es ja völlig unwichtig, was passiert war. Ina würde ihre Meinung über diese Frau sowieso niemals ändern. Trotzdem spürte sie etwas Neugier in sich aufkeimen. Hatte ihr Vater nicht immer gesagt, man musste alle Fakten kennen, um seinen Gegner in die Knie zu zwingen? Also konnte es ihr ja eigentlich nur weiterhelfen diese Frau fertig zu machen, wenn sie noch mehr über das Ganze wusste. Ina nickte Paula als Zeichen der Zustimmung zu. „Als deine Mutter damals deinen Vater an der Uni kennengelernt hat, war sie Hals über Kopf in ihn verliebt. Weißt du, sie zählte als hochbegabt und hat schon während sie noch nicht einmal ihr Abitur hatte, an der Uni Mathe Kurse belegt." Paula griff nach ihrer Tasse mit dem Cappuccino und nahm einen Schluck. „Sie hat ihn für die große Liebe gehalten und schon Pläne für die Zukunft geschmiedet. Als sie dann herausgefunden hat, dass sie mit dir schwanger war, ist sie sofort zu deinem Vater. Genia war sich sicher, dass er sich genauso über dich freute wie sie es tat. Sie war zwar gerade erst 15, aber sie war sich sicher, dass sie dich wollte. Im Gegensatz zu deinem Vater, der sich sofort von ihr getrennt hat." Das war doch Quatsch. Das konnte ja gar nicht sein, „Und wieso hat er mich dann zu sich genommen?" Paula zuckte mit den Schultern. „Das kann ich dir auch nicht sagen, aber wahrscheinlich hatte auch da deine Großmutter ihre Finger im Spiel. Sie war ein nicht wirklich netter Mensch. Deine Mut....ähm Genia hatte viel unter ihr zu leiden. Die Schwangerschaft war für sie eine Schande, deshalb hat sie deine Mutter auch umgehend nach Belgien verfrachtet, nachdem eine Abtreibung ausgeschlossen war." „Belgien?" „Ja, du bist in Belgien geboren." Ina schüttelte den Kopf. „Das stimmt doch nicht." Sie sprang auf und lief zu dem alten Sekretär. „Hier, in meiner Geburtsurkunde steht Geburtsort Düsseldorf."   Paula griff nach der Urkunde. „Das gibt es doch nicht." Sie kniff ihre Augen zusammen. „Hat diese alte Hexe es echt als Hausgeburt gefaked. Das ist die Adresse, wo Genia früher mit ihren Eltern gelebt hat." Ihr Blick ging weiter über die Urkunde. „Jedenfalls muss dein Vater mit ihr unter einer Decke gesteckt haben, denn er ist ja als Vater eingetragen. Ich glaube das echt nicht!" Paula schüttelte wütend den Kopf. „Ich kann dir jedenfalls versichern, dass du in einem belgischen Kuhkaff auf die Welt gekommen bist. Da hatte diese Hexe nämlich deine Mutter für die Zeit der Schwangerschaft abgeparkt. Ich habe sie ja selbst da besucht. Und am Tag deiner Geburt ist sie dann dort aufgetaucht und hat dich einfach mitgenommen. Auf nimmer Wiedersehen, während deine Mutter erschöpft nach der Geburt geschlafen hat." Ina traute ihren Ohren nicht. Das hörte sich doch alles nach einer Fantasiegeschichte an. Wer machte denn so etwas? Andererseits erzählte diese Geschichte Paula und der vertraute sie eigentlich. Interessiert folgte sie also auch ihren weiteren Worten.....

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt