Kapitel 20

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Ina lief in ein dickes Badehandtuch gewickelt aus dem Bad ins Schlafzimmer. Scheinbar hatte sie der Geburtstag von Natascha heute doch mehr geschafft als sie jemals erwartet hätte, denn normalerweise vergaß sie nie, aber auch wirklich nie ihre Sachen zum Umziehen mit ins Bad zu nehmen, wenn sie duschte. Innerlich schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Ja, so Teenager waren echt anstrengend. Wahrscheinlich wär sie verzweifelt, wenn sie nicht die Unterstützung von Astrid und Paula gehabt hätte. Nur zähneknirschend musste sie zugeben, dass auch Genia wirklich gut im Umgang mit den Teenies gewesen war. Ihre lockere Art hatte die Mädels sogar dazu beflügelt wirklich das zu machen, was sie ihnen gesagt hatte, während sie  ihre eigenen Anweisungen fast immer ignoriert hatten. Das ärgerte Ina mächtig. Lag es nur am Alter, dass sie nicht so akzeptiert wurde, wie die älteren Frauen? Sie hätte früher da keinen Unterschied gemacht. Wenn es da jemanden gab, der das Sagen hatte, dann hatte er das Sagen und Punkt. Okay, vielleicht hatte ihr kleiner Ausfall bei Nataschas Schnittverletzung sie wertvolle Reputation gekostet. Schließlich hatten ja alle mitbekommen, wie sie wegen ein paar Tropfen Blut abgeklappt war. So etwas war ihr  wirklich noch nie passiert. In dem Moment hatte sie aber auch geglaubt ihre Schwester viel stärker verletzt zu haben. Wahrscheinlich war das der Auslöser für ihre Ohnmacht und nicht der Anblick von Blut. In Inas Kopf setzte sich ein Kino in Gang. Was wäre passiert, wenn sie Natascha wirklich viel schwerer verletzt hätte? Klar, sie hätten ins Krankenhaus gemusst, was ihre Schwester ihr nie verziehen hätte, weil ihr Geburtstag deshalb beendet gewesen wäre. Und Ina hätte es sich nie verziehen, weil sie ihre Schwester verletzt hätte. Wahrscheinlich hätte es dann sogar polizeiliche Ermittlungen gegeben. Alleine bei dem Gedanken bildete sich ein dicker Stein in Inas Magen. Wahrscheinlich hätte man ihr die Vormundschaft entzogen. Ihre Gedanken wanderten zu der Behandlung. Man hätte Natascha vielleicht operieren müssen, wenn Sehnen verletzt gewesen wären. Und vielleicht hätte sie sogar eine Bluttransfusion benötigt. Oh mein Gott, sie hätte nicht einmal Nataschas Blutgruppe gewusst. Klar wusste sie ihre eigene, schließlich hatte sie schon ein paarmal Blut gespendet, aber dafür war Natascha ja noch viel zu jung. Ina hatte einen Notfallpass mit den wichtigsten Daten, aber Natascha..... „Was schaust du so nachdenklich, Pepincito?" Linus beobachtete sie vom Bett aus. „Der Geburtstag ist doch gut über die Bühne gegangen. Eure Limbostange und der Sand waren eindeutig der Hit bei den Kids." Ja, das hatte Ina wirklich gefreut und sie hatte genauso einen Stolz empfunden wie bei einem guten Geschäftsabschluss, als ihre Schwester und ihre Gäste beim Tanzen im Sand ihren Spaß hatten. Wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie sogar noch mehr Stolz empfunden, denn die Begeisterung war nicht zu übersehen gewesen, während man bei einem Geschäftsabschluss ja nichts weiter als ein Stück Papier in der Hand hat. „Trotzdem hätte das mit dem Messer ganz schön ins Auge gehen können." Linus fing breit an zu grinsen. „Nein, ins Auge wäre schwer gewesen, dann hättest du es viel höher halten müssen." Ina schüttelte ihren Kopf und boxte ihn gegen die Schulter. „Idiot, du weißt genau, was ich meine." „Vielleicht", zwinkerte er ihr in seiner typischen Linus-Art zu und zog sie auf das Bett. „Man, was soll denn der Quatsch, ich bin noch gar nicht umgezogen." Ihr Duschhandtuch begann bereits sich von ihrem Körper abzuwickeln. „Na das ist ja auch nicht nötig, bei dem, was ich mit dir geplant habe." Linus zog sie zu sich und begann auch den Rest des Handtuchs von Inas Körper zu ziehen, ehe er es auf den Boden vor dem Bett warf. Ja, er braucht ihre körperliche Nähe jetzt ganz dringend. Dieser blöde Unfall mit dem Messer heute Nachmittag hatte einfach wieder zu viele Erinnerungen in seinem Kopf geweckt, die er unbedingt wieder vertreiben musste und was gab es da besseres als seine Freundin in seinen Armen....

„Linus!" Inas Stimme hörte sich total verzweifelt an. Sie kniete vor seinem Körper, der auf dem Boden lag und rüttelte an ihm, so wie er es damals bei seinem Kollegen getan hatte. Er selbst sah auf sich hinab, so wie es immer in den Filmen zu sehen war, wenn der Sterbende bereits seinen Körper verlassen hatte. „Ina ich bin hier", hörte er sich rufen, aber seine Freundin reagierte überhaupt nicht. Wieso konnte sie ihn nicht hören? Das nächste, was er sah, war Ina komplett in schwarz gekleidet. Neben ihr Natascha. Beide liefen hinter einem Sarg her und weinten. „Linus!" Wieder drang Inas Stimme an sein Ohr und er spürte ein Rütteln an seinem Arm. Schlagartig öffnete er seine Augen und starrte in Inas besorgtes Gesicht. „Endlich." Er sah die Erleichterung bei seiner Freundin. „Du musst einen totalen Albtraum gehabt haben. Du hast die ganze Zeit dich unruhig hin und her gewälzt und gestöhnt. „Das lag wohl mehr an etwas anderem. Ich habe im Geiste noch einmal alles von vorhin wiederholt", zwinkerte er ihr zu. „Du bist unmöglich und total versaut", kicherte Ina beruhigt und legte sich wieder zurück in ihr Kissen. Linus schlang seine Hand um ihre Taille und kuschelte sich an sie. Nein, sie musste nicht wissen, dass er wirklich einen Albtraum der übelsten Sorte gehabt hatte und deshalb schweißgebadet war. Sonst machte sie sich nur Sorgen. Trotzdem war ihm klar, dass dieser Traum nicht von irgendwo her kam. Sein Unterbewusstsein wollte ihm damit etwas sagen. Besonders auch mit der weinenden Ina und Natascha. Er war für die beiden verantwortlich. Es ging nicht mehr nur um ihn. Das war vorbei. Die beiden waren seine Familie. Und er wollte auf keinen Fall, dass es den beiden so ging wie der Frau und der Tochter seines Kollegen, die plötzlich alleine und mittellos dastanden. Okay, mittellos wäre nicht das Problem von Ina und Natascha, aber alleine schon. Er wusste zwar, dass seine Pepincito eine starke Frau war, aber......nichts aber. Dazu würde es nicht kommen, dafür würde er schon sorgen. Er hatte damals eine Entscheidung getroffen, die er viel zu sehr aus den Augen verloren hatte. Nie wieder Stress, hatte er sich gesagt. Und dann war er Ina zur Hilfe geeilt und voll in die Firma ihres Vaters mit eingestiegen. Ja, er war ins Hamsterrad zurückgekehrt und rannte dort mit Ina zusammen. Das musste sich ändern. Sie lebten ja nur noch für die Firma. Die zwei Wochen Urlaub waren eine echte Ausnahme gewesen und eigentlich auch außerplanmäßig wegen der Hochzeit. Dort hatte er nach langer Zeit mal wieder richtig aufgeatmet und sich frei gefühlt. Okay, ganz auf Stress zu verzichten, war nicht möglich, wenn man eine Firma führte. Aber es musste doch einen gesunden Mittelweg geben, der einem auch ermöglichte einfach mal auszuspannen und etwas von der Welt zu sehen. Ja, den musste es geben und er würde ihn für Ina und sich finden, bevor es zu spät war.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt