Kapitel 82

193 36 14
                                    


Linus Atem ging stoßweise. Diesmal aber nicht, weil ihn einer dieser dämlichen Albträume gequält hatte. Also nicht, dass es den heute Nacht nicht auch wieder gegeben hätte. Nein, jetzt war er etwas außer Atem wegen einer der schönsten Sachen der Welt, wenn nicht sogar der schönsten. Er rollte sich neben Ina und zog sie an sich. Seine Freundin schmiegte sich mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht an ihn. Dann war es ihm wohl gelungen, sie etwas von den Gedanken an ihren Vater abzulenken. Er musste an den gestrigen Tag im Krankenhaus denken. Man, war ihm das an die Nieren gegangen. Gestern Abend hatte er sich gar nicht getraut seine Augen zuzumachen, weil er wusste, was ihn nachts garantiert erwarten würde. Als ihm dann die Augen doch zugefallen waren, hatten die alten Geister natürlich nicht lange auf sich warten lassen. Diesmal hatte ihn nur das leblose Gesicht von Inas Vater anstelle seines Kollegen angestarrt. Trotzdem war er dann doch wieder irgendwie eingeschlafen und beim Aufwachen hatte sich Ina an ihn gekuschelt gehabt. Na ja, und dann war halt eins zum anderen gekommen.....und das war wirklich nicht die schlechteste Idee gewesen.
Linus strich sanft mit seinem Zeigefinger über Inas Oberarm, den sie um seine Taille geschlungen hatte. Sofort kuschelte sie sich noch enger an ihn. Das fühlte sich gut an und füllte diese grässliche Leere in ihm auf, die er jeden Morgen nach einem dieser dämlichen Albträume empfand. Vielleicht sollte er das sozusagen als täglichen Morgensport einbauen. Dann fiel es ihm vielleicht auch wieder leichter seine Balance zu finden.....und vielleicht hörten dann auch diese Träume auf. Einen Versuch wäre es jedenfalls wert. Und so zufrieden und glücklich wie Ina aussah, würde es ihr vielleicht auch ganz gut tun. Ja, in der letzten Zeit hatten sie wegen der Aufregung mit der Adoption und seines mentalen Rückschlags wirklich zu wenig Zeit füreinander gefunden. Das musste sich dingend ändern. Und seinen Plan für die nächste Stufe musste er auch baldmöglichst umsetzen. Nachher würde er gleich einen Termin mit Luca ausmachen und in die finale Planungsphase übergehen. „Hoffentlich bekommen sie Papa wieder schnell aufgepäpplt, damit sie ihm möglichst schnell die Bypässe legen können." Okay, vielleicht hatte das mit der Ablenkung doch nicht ganz so komplett geklappt. „Bestimmt kann man dann ganz viel mit der Reha hinterher erreichen." Ina war richtig hibbelig und in ihrem Gesicht konnte man die Hoffnung deutlich leuchten sehen, die sie in die OP setzte. „Wenn er wenigstens wieder richtig sprechen und vielleicht sogar etwas laufen kann." Sie winkte mit der Hand ab, die auf seinem Bauch lag. „Das Laufen ist ja gar nicht so wichtig. Vielleicht können wir ja hier alles rollstuhlgerecht umbauen, wenn wir sowieso sanieren. Dann ist das doch ein Abwasch. Und dann kann er nach Hause kommen und muss nicht mehr ins Pflegeheim. Vielleicht kann er dann ja sogar irgendwann wieder kleine Aufgaben in der Firma übernehmen." Linus war sich da nicht ganz so sicher, dass eine OP solche Auswirkungen hatte. Sonst stellte sich ja die Frage, warum man sie nicht schon früher gemacht hatte. Er wollte Inas Enthusiasmus auch nicht bremsen, denn so gefiel sie ihm weitaus besser als gestern im Krankenhaus, wo sie nur abwesend gewesen war. Scheinbar hatte es ihr gut getan ihren Vater zu sehen. Trotzdem stellte er sich die Frage, was sie sich wirklich von der OP erwartete? So eine Bypassoperation war ja keine Generalüberholung bei der du hinterher wieder wie neu warst. Seines Wissens nach wurden da nur die alten Schwachstellen überbrückt. Das war doch ein bisschen so wie bei einem Auto, wenn du da die Batterie überbrückst und Starthilfe gibst, wird aus dem Auto auch kein Neuwagen mehr. Außerdem fragte er sich, wie Ina sich das vorstellte, wenn ihr Vater hier in der Villa wieder einzog. Mit Sicherheit würde er nicht alles selbstständig machen können. Wollte sie dann eine Krankenschwester für ihn einstellen? Das war mit Sicherheit ein gangbarer Weg. Geld und auch Raum wäre ja genug vorhanden. Frau Senger konnten sie das jedenfalls nicht auch noch aufbürden. Es war schon mehr als nett von ihr, dass sie sich neben dem Haushalt auch noch um Natascha kümmerte, wenn sie in der Firma waren. Und die Jüngste war sie ja auch nicht mehr. Auf alle Fälle würde er darauf drängen, dass jemand eingestellt wurde, denn das Ina sich auch noch um die Pflege ihres Vaters kümmern würde, das würde er mit Sicherheit verhindern. Die Firma war ja eigentlich schon zu viel für sie beide. In ihm keimte auch die Frage auf, wie Natascha wohl damit umgehen würde, wenn ihr Vater wieder hier wohnte. Bis jetzt hatte die Kleine entweder aus Instinkt oder aus reinem Selbstschutz die Besuche bei ihrem Vater eher gemieden. Und auch gestern ihre Reaktion auf die Info, dass er wieder im Krankenhaus war, hatte sie fast übergangen. Linus war sich nicht sicher, ob sie damit so gut umgehen konnte, wenn er hier im Rollstuhl jeden Tag vor ihr herumkurven würde. Er konnte das echt nicht einschätzen. Auch nicht, was das dann für Auswirkungen auf ihre Beziehung hatte. Er wusste aus Barcelona noch ziemlich genau, was ihr Vater von ihm hielt. Er hatte in ihm einen Taugenichts gesehen, der zu faul zum ernsthaften Arbeiten war und dem jeglicher Ehrgeiz fehlte. Ja, da hatten ihm damals die paar Minuten für gereicht, die sie sich über den Weg gelaufen waren. Aber so glücklich wie Ina bei ihren Plänen strahlte, verdrängte er die leicht egoistischen Gedanken, dass ihr Vater in einem Heim viel besser aufgehoben war wieder. „Das wird bald alles wieder gut!", strahlte sie ihn breit an. „Und jetzt lass uns aufstehen und ordentlich frühstücken. Danach fahre ich dann ins Krankenhaus." Sie schüttelte schnell den Kopf. „Nein, vorher fahre ich noch schnell in der Seniorenresidenz vorbei und hole ein paar von seinen Sachen. Diese schrecklichen Krankenhaus Nachthemden hasst er garantiert." Ehe er sich versah, war sie auch schon aus seinen Armen und dem Batt geflüchtet. Na dann hieß es jetzt wohl aufstehen. Linus streckte sich einmal kurz und sprang dann auch aus dem Bett, um Ina zu folgen. Vielleicht war ja noch eine gemeinsame Dusche drin. Ja, das würde den Start in den Tag mit Sicherheit noch besser machen.....

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt