Kapitel 64

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Verflucht, warum stimmten die Zahlen denn immer noch nicht? Linus starrte auf den Bildschirm auf dem Schreibtisch vor sich. Diese Werbekampagne war so immens wichtig für ihn. Aber mit den Zahlen würde er garantiert nicht den Zuschlag bekommen. Nein, da musste er noch Einsparungspotential finden.....oder er musste die voraussichtliche Erfolgsbilanz noch etwas schönen, so dass das Verhältnis stimmte. Ja, das war ein gangbarer Weg....und wenn er das Ganze dann auch noch richtig gut präsentierte, würde er seinen potentiellen Auftraggeber in der Tasche haben......und um dir Präsentation machte er sich keine Sorgen. Nein, das war ja sozusagen sein Steckenpferd. Was behauptete sein Kollege immer? Er würde sogar Pinguinen in der Antarktis noch Tiefkühlschränke verkaufen. Ja, okay. Das war vielleicht etwas übertrieben, schließlich sprach er ja kein Pinguinisch. Er musste bei dem Gedanken, wie er vor einem Rudel Pinguinen stand und mit ihnen redete,  ein Lachen unterdrücken. Aber im Großen und Ganzen traf es das schon. Ja, seine umgängliche Art kam bei den Kunden gut an und genauso sein intensives Arbeitspensum und seine Kreativität. Wenn die Kunden einen neuen Ansatz wünschten, dann entwickelte er ihn ihnen in Kürze. Ja, wenn es mit dem Auftrag klappte, hatte er seine erste internationale Werbekampagne in der Tasche. Das würde ihn an den Werbefirmament ganz nach oben schießen. Dann konnte er sich die Agenturen aussuchen für die er arbeiten wollte.....oder er konnte sogar eine eigene Agentur auf die Beine stellen. Ob er dann in Hamburg blieb? Wer wusste das schon. New York war bestimmt auch faszinierend. Andererseits würde er in Hamburg immer seinen Ankerpunkt haben. Hier lebte seine Familie und hierher würde er immer zurückkehren. Von der Prämie, die er bekommen würde, konnte er auf alle Fälle die Anzahlung für die schöne Wohnung in Blankenese machen, die er sich letztens noch mit Nele angeschaut hatte. Nele.....okay, sie war weg. Aber mit Sicherheit würde es nicht lange dauern bis er jemand neues fand. Noch dazu wenn er den Sprung nach Blankenese geschafft hatte. Dann hatte er es wirklich geschafft. Von Wilhelmsburg über Othmarschen nach Blankenese. Ja, das war schon was für einen Hamburger Jung. Voll Enthusiasmus begann er auf seiner Tastatur zu tippen. Ein dumpfes Geräusch riss ihn aus seiner Arbeit und er schaute kurz auf. Was?Wieso? Linus sprang von seinem Schreibtischstuhl und rannte zu seinem Kollegen, der auf dem Fußboden neben seinem Schreibtischstuhl lag und keuchte und sich die Brust hielt. Scheiße, was sollte er denn jetzt machen? Um Hilfe rufen? Blödsinn, um die Zeit war niemand außer ihnen beiden mehr im Büro. Die Feuerwehr! Er griff nach dem Telefon auf dem Schreibtisch neben sich und wählte schnell die 110. „Polizei Hamburg", kam es vom anderen Ende. Mist, er hatte die falsche Notrufnummer gewählt. Egal! Er schilderte schnell, was passiert war und bekam versichert, dass ein Rettungswagen geschickt würde......aber was sollte er bis dahin machen? Erste-Hilfe! Aber wie? Er versuchte in seinem Kopf zu kramen, was er damals beim Führerschein gelernt hatte. Alles was vor seinem inneren Auge auftauchte waren Neles schokofarbene Augen. Scheiße! Damals hatte ihn der ganze Erste-Hilfe-Kram überhaupt nicht interessiert, nachdem er sie dort gleich zu Beginn kennengelernt hatte. Er schaute zu seinem Kollegen, der nicht mehr keuchte, sondern einfach nur ganz ruhig auf dem Rücken vor ihm lag. Das war doch gut, oder? Wahrscheinlich erholte er sich gerade. Oder er war.....nein, den Gedanken wollte er nicht einmal denken. Er ließ sich neben ihm nieder. Puls schoss es ihm durch den Kopf......und stabile Seitenlage. Okay, aber wie ging die? Mund-zu-Mund-Beatmung. Da war doch irgendetwas gewesen. Manno, was sollte er denn jetzt machen? Er hatte keine Ahnung und fühlte sich total hilflos. „Halte durch, der Rettungswagen kommt gleich", redete er auf den leblosen Mann vor sich ein und hielt seine Hand.......und dann ging plötzlich alles ganz schnell...Leute in Sanitäterkleidung schoben ihn beiseite. Er lief zurück zu seinem Schreibtisch und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen. Die Sanitäter bearbeiteten seinen Kollegen, aber nichts passierte....und dann stand plötzlich einer vor ihm. „Es tut uns leid. Wir konnten ihn nicht mehr retten." Die Worte flogen in seinem Kopf hin und her. Er krallte seine Hände über seine Ohren und schloss seine Augen....
„Linus!" Ein leichtes Rütteln an seiner Schulter sorgte dafür, dass er seine Augen öffnete. Ina! Sie schaute ihn besorgt an. „Du hast wild im Schlaf gestrampelt und verzweifelt herum gebrabbelt. Ist alles in Ordnung? Hast du schlecht geträumt?" Linus atmete einmal tief durch. Sein Herz raste immer noch und er war total durchgeschwitzt. Das Bettzeug klebte förmlich an ihm. Diesen Zustand kannte er noch gut aus der Zeit nach dem Vorfall. Ja, er hatte es Vorfall genannt, weil sich das weniger schlimm anhörte als der Tod eines Kollegen, der gestorben war, weil er nicht in der Lage gewesen war, ihm zu helfen. Damals hatte er fast jede Nacht diesen Albtraum gehabt. Es war immer der selbe gewesen. Der selbe wie heute. Eigentlich hatte er geglaubt, dass er das hinter sich hatte. „Scheint so." Linus zuckte gelassen mit den Schultern. „Das war wohl das schlechte Gewissen, dass ich noch kein besonderes Taufgeschenk für mein Patenkind habe." Er wollte nicht, dass Ina erfuhr, was ihn wirklich gequält hatte. Besonders mit der Geschichte ihres Vaters und seinem Herzinfarkt im Rücken, würde sie ihn dann wahrscheinlich verachten.....und das könnte Linus überhaupt nicht verkraften. Ina war sein Anker, genau wie er ihrer war. „Ich habe doch schon längst etwas besorgt", lächelte sie ihn an. „Aber wenn es dich beruhigt, dann können wir später auch noch eine Shopping Tour machen. Da habe ich und bestimmt auch Natascha nichts gegen einzuwenden." Ina beugte sich zu ihm und drückte zärtlich ihre Lippen auf seine. „Das machen wir. Aber jetzt schlafen wir erst einmal noch ein bisschen." Linus legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. Das fühlte sich gerade richtig gut an, nicht alleine im Bett zu liegen, wie früher nach den Albträumen. Trotzdem war er sich sicher, dass er kein Auge mehr zubekommen würde......aus Angst wieder zu träumen. Hamburg schien ihm nicht wirklich gut zu tun.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt