Kapitel 74

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Ina schaute auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Mist, es war schon nach 23 Uhr. Eigentlich sollte sie schon längst wieder im Bett liegen. Morgen musste sie früh in der Firma sein, weil sie einen wichtigen Termin hatte, bei dem es garantiert nicht schaden konnte, wenn sie ausgeschlafen wäre. Ihr Blick wanderte wieder zu dem Tagebuch ihrer Mutter. Es war das letzte, das sie geschrieben hatte, bevor sie gestorben war. Ina war hin- und hergerissen. Natürlich musste sie morgen in der Firma fit sein....aber.....dieses aber wog ziemlich schwer und beschrieb ihre Neugier. Entschlossen griff sie nach dem Tagebuch. Sie würde nur ein oder zwei Seiten noch lesen und dann ins Bett gehen. Das war doch ein guter Kompromiss....
Ina schüttelte schockiert den Kopf. Das konnte doch nicht sein, was sie da las. Nein, das musste ein Irrtum sein. Sie blätterte die Seite noch einmal zurück und begann erneut zu lesen...
Ich kann nicht glauben, was ich bei der Durchsicht von Constantins Unterlagen entdeckt habe. Eigentlich wollte ich nur schon einmal die ganzen Adoptions- und Sorgerechtsunterlagen ordentlich sortieren, damit Ina sie dann zu ihrem sechzehnten Geburtstag einsehen kann, wenn sie das möchte. Ich will kein Geheimnis daraus machen, dass ich sie adoptiert habe. Ich möchte ihr erklären, dass sie immer das Kind war, das ich vom ersten Tag an geliebt habe und dass ich stolz darauf bin ihre Mutter zu sein.
Ina musste schlucken. Ja, ihre Mutter hatte also wirklich vorgehabt ihr von der Adoption zu erzählen. Sie wollte das nie geheim halten. Ja, ihre Mutter hatte sie wirklich geliebt. Da war sich Ina sicher.
Ich kann nur hoffen, dass Ina mir das auch glaubt, wenn sie erfährt, was damals passiert ist. Ich kann es immer noch nicht fassen, aber die Unterlagen, die ich gefunden habe, ändern einfach alles. Ich habe immer gedacht, dass Inas Mutter sie nie wirklich wollte und dass Constantin zuverlässig wie er ist, seine Vaterpflichten übernommen hat. Aber....aber ich weiß wirklich nicht, wie ich das verstehen und begreifen soll....das Schreiben oder besser gesagt der Vertrag, den ich gefunden habe, stellt mein ganzes Bild von ihm auf den Kopf. Wie soll ich ihm jemals wieder vertrauen können?
Was ist das für ein Mann, der sich mit Geld bezahlen lässt, damit er sich um das Kind kümmert, das er gezeugt hat?
Ina schaute auf den letzten Satz. Was sollte das heißen? Hieß das, dass ihr Vater sie nur zu sich genommen hatte, weil er Geld dafür bekommen hatte? Ina spürte, wie die Schrift vor ihren Augen verschwamm und ihr Tränen über die Wangen liefen. Sie war sich immer so sicher gewesen, dass ihr Vater sie liebte, aber.....sie musste schlucken. Wenn sie die Zeilen vor sich in Kontext mit dem brachte, was Genia ihr erzählt hatte. Dann musste sie nur eins und eins zusammenzählen. Wahrscheinlich hatte der Drachen, der sich ihre Großmutter nannte, dabei ihre Finger im Spiel gehabt. Sie musste ihrem Vater Geld geboten haben, damit er sie aus Genias Leben verschwinden ließ.   Was sagte das aber über ihren Vater? Auf alle Fälle, dass er geldgeil war. Okay, das war etwas, was für sie nicht wirklich neu war. Natürlich war ihr klar, dass er es nie mit der Firma soweit gebracht hätte, wenn er nicht sehr an Geld und Erfolg interessiert gewesen wäre. In diesem Moment hasste sie aber das erste Mal diese Charaktereigenschaft, denn sie bedeutete gleichzeitig, dass sie sich nicht mehr sicher sein konnte, ob ihr Vater sie wirklich jemals gewollt hatte oder ob er sich nur wegen des Geldes ihrer angenommen hatte. Vielleicht mochte er sie ja nicht einmal wirklich. Nein, Ina schüttelte entschlossen den Kopf. Das konnte nicht sein. Wenn er sie nicht gemocht hätte, dann hätte er sich nicht so gut um sie gekümmert und dafür gesorgt, dass sie die beste Ausbildung bekommt und auch so ein luxuriöses Leben führen konnte. Er hatte nie einen Unterschied zu Natascha gemacht und da wusste sie, dass er sich über sie gefreut hatte als sie geboren worden war. Vielleicht aber auch nur, weil Kinder eine Art Statussymbol waren, höhnte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Ja okay, ihr Vater hatte immer seine Familie schon mit in den Vordergrund geschoben, weil er der Meinung war, dass das Zuverlässigkeit und Loyalität zeigte. Loyalität! Ina musste lachen. Jedenfalls nicht gegenüber der eigenen Familie. So viel war klar. Wenn das alles so stimmte, dann hatte er sie nicht nur wegen der Adoption im Dunklen stehen lassen, sondern auch ..... Nein, daran wollte sie eigentlich nicht denken....aber was sollte sie dann denken. Das Bild von dem liebevollen Vater war ja schon, seitdem die Adoption aufgeflogen war, angekratzt....und wenn das stimmte, dann war sein Bild nicht nur angekratzt, sondern irreparabel zerstört. Was sollte sie jetzt aber machen? Weiterlesen oder.....oder nach dem Ordner suchen, den ihre Mutter erwähnt hatte. Eins war klar, schlafen gehen konnte sie jetzt jedenfalls nicht. Nein, sie würde niemals ein Auge zu bekommen. Dazu tobten viel zu viele Fragen und Gedanken durch ihren Kopf. Ob es diesen Ordner überhaupt noch gab? Vielleicht hatte ihr Vater ihn ja auch schon verschwinden lassen. Mittlerweile traute sie ihm ja alles zu. Der Ordner wäre doch bestimmt auch in dem Karton gewesen, den sie gefunden hatte. Aber vielleicht waren da ja auf dem Dachboden noch andere Kartons. Ina klappte das Tagebuch zusammen und sprang auf. Als sie ihren ersten Fuß auf die unterste Stufe der Treppe gesetzt hatte, ertönte ein Räuspern hinter ihr und sie zuckte erschrocken zusammen. „Du bist auch noch wach." Ina drehte sich um und schaute in Linus müdes Gesicht. Er nickte „Ja, die Kalkulation für den Bau in Oberkassel musste noch fertig werden." Er hielt sich seine Hand vor den Mund. Trotzdem war sein Gähnen nicht zu verstecken. „Komm, lass uns ins Bett gehen." Er legte seinen Hände an ihre Taille und schob sie die Treppe hoch. Manno, aus der Nummer kam sie doch jetzt nicht raus. Sie konnte doch nicht einfach auf den Dachboden verschwinden. Klar könnte sie Linus einweihen, aber das würde bedeuten, dass er garantiert mitkommen würde. Und wollte sie das? Nein, er sah schon viel zu müde aus. Sie spürte das schlechte Gewissen in sich. Nein, Linus nahm schon viel zu viel Rücksicht auf sie. Und etwas Schlaf würde ihr auch mit Sicherheit nicht schaden. Der Ordner würde über Nacht schon nicht weglaufen.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt