Kapitel 122

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Ina saß auf dem Sofa ihres Opas in Bochum und starrte zu dem bunt geschmückten Weihnachtsbaum. Dort lag kein einziges Geschenk. Bei ihnen zu Hause hatten sie immer unter dem Weihnachtsbaum gelegen, weil ihr Vater den Glauben an den Weihnachtsmann sinnlos fand. Er war der Meinung, man sollte Kinder nicht verblöden. Sie sollten von Anfang an lernen, dass nur der Geschenke bekam, der sie auch verdiente. Und sie sollten auch wissen, wer das Geld locker gemacht hatte und es nicht einer Fantasiefigur zurechnen. Hier waren die Geschenke alle in einem Jutesack im Keller gesammelt worden, damit ihre kleine Schwester Espie sie nicht vor der Bescherung zu Gesicht bekam. Ja, dort in dem Sack lagen auch einige Geschenke von ihr, die sie heute Vormittag noch schnell besorgt hatte. Obwohl schnell stimmte nicht ganz, denn sie hatte sich die Zeit genommen, die sie brauchte, um für jeden ein Geschenk auszusuchen. Okay, der Zeitrahmen war durch die Schließzeiten der Geschäfte vorgegeben und sie hatte ihn auch voll ausgeschöpft. Trotz des Nieselregens und der kühlen Temperaturen gab es wahrscheinlich nicht einen Laden in der Fußgängerzone von Düsseldorf, in dem sie nicht war. Sie hatte die Kö diesmal einfach links liegen gelassen und sich in den Läden umgeschaut, die für sie Neuland darstellten. Erstaunt hatte sie festgestellt, dass es wohl auch ziemlich vielen anderen so gegangen war wie ihr, denn die Geschäfte waren ziemlich voll. Scheinbar gab es eine Menge Leute, die erst auf den letzten Drücker Geschenke kaufen gingen. Vorzugsweise wohl Männer. Jedenfalls war es ihr so erschienen als wäre sie die einzige Frau, die an Heiligabend durch die Geschäfte tobte. Klar, die anderen Frauen waren wahrscheinlich mit den Vorbereitungen für den Abend beschäftigt gewesen. Auf alle Fälle hatte Ina sich bei jedem Geschenk etwas gedacht und nicht nur irgendetwas gegriffen und gekauft. Wenn sie ehrlich war, hatte es ihr sogar jede Menge Spaß gemacht. Viel mehr Spaß als sonst. In den letzten Jahren hatte sie einfach immer bei irgendeinem Designer für Natascha etwas zum Anziehen gekauft, was der Kleinen nicht einmal wirklich gefallen hatte. Das musste sie sich mittlerweile eingestehen. Sie war gespannt, ob ihr die Sachen gefielen, die sie in dem Laden ausgesucht hatte, in dem sie mit Linus shoppen gewesen war. Sicherheitshalber hatte sie aber noch einen Gutschein für den Laden mit dazu gelegt. Ihr Gedanke wanderte zu ihrem Vater und den Weihnachtsfesten mit ihm. Er hatte immer eine teure Krawatte mit passendem Einstecktuch von ihr und Natascha bekommen. Sie selbst hatte dann einen Gutschein für einen Designer von ihrem Vater bekommen, damit sie angemessen gekleidet war. Sie drei hatten sich ein dreigängiges Festmenü von Frau Senger servieren lassen und dann noch kurz vor dem Weihnachtsbaum gesessen, den die Gärtnerei geschmückt angeliefert hatte. Dieses Jahr gab es in der Villa nicht einmal einen. Ina hatte vergessen ihn in der ganzen Aufregung zu bestellen. Der Weihnachtsbaum vor ihr war zwar nicht so perfekt abgestimmt wie der vom Gärtner, aber sah um ein Vielfaches schöner aus. Dort hingen sogar selbstgebastelte Anhänger. Überhaupt herrschte hier eine behagliche Stimmung. Im Hintergrund liefen leise Weihnachtslieder und im Raum waren Kerzen verteilt, die stimmungsvoll vor sich hin flackerten. Inas Blick wanderte zu ihrer Schwester, die auf dem gegenüberliegenden Sofa neben Astrid saß und sie heute noch keines Blickes gewürdigt hatte. „Maus, sie bekommt sich schon wieder ein. Und wenn nicht, dann werde ich dafür sorgen, dass sie es tut." Genia hatte ihren Arm um Inas Schulter gelegt. „Mama für Weihnatsmann" Espie war vor ihnen aufgetaucht und zeigte ihrer Mutter einen Teller mit Plätzchen, den sie in ihrer Hand hielt. Ja, die Kleine war heute schon die ganze Zeit wie ein kleiner Wirbelwind durch die Gegend gefegt. „Der kommt bestimmt bald. Und dann hat er Hunger und Durst." Luca war hinter der Kleinen aufgetaucht. In seiner Hand hatte er eine dampfende Tasse Kakao. „Espie wollte, dass der Weihnachtsmann hier gut versorgt ist." Er stellte die Tasse ab und setzte sich  auf die Sofalehne. Seine Hand landete um Genias Schulter. Die beiden wirkten so verliebt. Das freute Ina, denn sie gönnte ihrer Mutter jedes Glück der Welt. Hatte sie eigentlich jemals so verliebt mit Linus gewirkt? Ina könnte es nicht beantworten. Gefühlt hatte sie sich immer so. Aber scheinbar war das ja wohl eine einseitige Einschätzung, sonst würde sie ja jetzt nicht hier alleine auf dem Sofa sitzen und nicht einmal wissen, wohin sich der Scheißkerl verdrückt hatte. Ina spürte die Wut auf Linus in sich hochkochen. Die Türglocke riss sie aus ihren finsteren Gedanken. „Der Weihnatsmann!" Espies Augen begannen zu leuchten und sie rannte zur Haustür. „Na da werde ich mal mitgehen, damit der Weihnachtsmann nicht gleich wieder eingeschüchtert flüchtet." Alex war auch aufgesprungen und folgte ihrer Enkeltochter.  „Na hoffentlich geht das nicht schief." „Jo macht das schon." Luca strich Genia beruhigend über die Schulter. „Meinst du? Er war aufgeregter als Espie." Ina musste schmunzeln. Deshalb hatte ihr Opa sich also am Kuchentisch die halbe Tasse über das Hemd geschüttet. Okay, es war ja auch sein erstes Weihnachten mit seiner kleinen Enkeltochter. Klar, dass er da nichts versauen wollte. Es ist auch unser erstes Weihnachten, schoss es Ina durch den Kopf. Wie wäre es wohl gewesen, wenn sie Jo schon als kleines Kind kennengelernt hätte? Hätte er dann auch den Weihnachtsmann für sie gespielt? Ina spürte in ihrem Herzen ein leichtes wehmütiges Ziehen. Das hatte ihr Vater aber verhindert. Wie immer stieg Frust in ihr auf, wenn sie an ihren Vater dachte. „Ja, da sind ja noch mehr artige Kinder", ertönte Jos Stimme an der Zimmertür als er ins Wohnzimmer eintrat. Er trat zum Weihnachtsbaum und stellte mit einem Stöhnen den Geschenkesack neben sich auf die Erde.Es war schon witzig, wie er sich bemühte, seine Stimme zu verstellen. „Na, für wen haben wir denn da das erste Geschenk. Für Esperanza steht da." Jo fuhr mit den Fingern über seinen Bart. „Das bist doch du?" Inas kleine Schwester nickte sofort ganz aufgeregt und schnappte nach dem Geschenk in der Hand des Weihnachtsmanns......und dann passierte das, was auf keinen Fall passieren sollte. Sie erwischte die Spitze des Bartes und zog ihn mit sich. „Opa Jo!!!" Mit großen Kulleraugen starrte sie in das Gesicht ihres Großvaters. „Du bist  Weihnatsmann!" Die Kleine drehte sich ganz aufgeregt zu ihrer Mutter. „Opa is Weihnatsmann." Ina hörte das leise Stöhnen ihrer Mutter. „Ich wusste doch, dass das schief geht." „Mama, Opa is Weinatsmann." So aufgeregt wie die Kleine wirkte schien die Entdeckung sie nicht wirklich zu stören. „Opa is danz wistig. Weihnatsmann is mein Opa!" Erst jetzt wurde Ina klar, warum die Kleine nicht enttäuscht war. Sie glaubte der Weihnachtsmann war ihr Opa. Oh oh, das konnte noch schwierig werden, ihr das wieder auszureden. Ina mochte nicht in Genias Haut stecken. Okay, vielleicht war ein leibhaftiger Weihnachtsmann doch nicht die beste Idee.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt