Kapitel 120

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„Ich wollte eigentlich schon immer Modedesign oder Architektur studieren", platzte es aus Ina heraus. Da musste sie nicht lange überlegen. „Ja, und warum tust du es dann nicht? Was hält dich davon ab?" War das echt eine Frage? Die Antwort lag doch auf der Hand. „Die Firma!", presste sie also heraus und spürte sofort wieder dieses Hassgefühl in sich. Diese Firma hatte einfach schon viel zu viel in ihrem Leben zerstört. Das wurde ihr immer mehr klar....und trotzdem hatte sie sie fest in ihren Klauen. „Das lässt sich ja ändern, wenn du es wirklich willst. Warum versuchst du nicht erst einmal mit einem Praktikum für dich herauszufinden, was von den beiden Sachen du wirklich machen willst. Und wenn du dich dann entschieden hast, suchen wir einen Studienplatz für dich." Das hörte sich zu gut an, um wahr zu sein. „Aber wer sollte mich da schon nehmen? Und was passiert mit der Firma?" Genia grinste breit. „Also was das Modedesign angeht, da habe ich schon eine Idee. Ich bin mir sicher, dass dir Leokardia da weiterhelfen kann. Erstens kann sie dir über den Studiengang Design schon eine Menge erzählen und zweitens bekommen wir bei Pursuit garantiert auch einen Praktikumsplatz, damit du da mal hinein schnuppern kannst. Weißt du, deine Mutter kennt nämlich auch ein paar wichtige Leute", zwinkerte Genia Ina zu. „Und wegen der Architektur, da solltest du doch vielleicht durch die Firma auch ein paar Architekten kennen, von denen du so einen klitzekleinen Gefallen einfordern kannst." Da hatte sie Recht. Ina fiel sofort ein Architekturbüro ein, wo man sie bestimmt mit Kusshand nahm, wenn sie fragte. Warum war sie eigentlich nicht selbst auf die Idee gekommen? Wegen der Firma, schoss ihr die Antwort direkt durch den Kopf. „Aber was passiert mit der Firma? Jetzt wo Linus auch nicht mehr da ist." Bei allem Hass meldete sich doch noch ihr Verantwortungsbewusstsein zu Wort. „Hast du schon einmal etwas von Geschäftsführern gehört? Die Firma, die ich von deiner Großmutter geerbt habe, läuft damit sehr gut." In ihrem Kopf hörte Ina den Aufschrei ihres Vaters. „Die Firma ist ein Familienbetrieb und wird immer von der Familie geleitet." Pah, das war ihr gerade so etwas von egal. „Hilfst du mir bei der Suche?" Ja, diese Frage erfüllte sie gerade mit Genugtuung. Ihre kleine Rache an ihrem Vater.  Genia nickte sofort. „Klar, da kümmern wir uns nach Weihnachten drum. Und jetzt wird erst einmal geschlafen." Ina spürte die Hände ihrer Mutter, die noch einmal die Decke um sie fest stopften. Wahrscheinlich sah sie wie ein Borrito aus. Genia drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut und träum was Süßes. Und wenn du mich brauchst, bin ich nur ein paar Türen weiter." Das fühlte sich gerade unwahrscheinlich gut an. Fast so wie früher bei ihrer anderen Mutter. Ja, Ina wusste, dass Genia für sie da war. Nachdem Genia das Zimmer verlassen hatte, schloss Ina ihre Augen. Ja, sie würde einfach versuchen einen neuen Weg zu gehen. Was hatte ihre Mut....ähm Mona früher immer gesagt? Manchmal muss man vom Weg abkommen, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Ja, sie war auf der Strecke geblieben, weil sie der Wegbeschreibung ihres Vaters gefolgt war. Diese Wegbeschreibung war aber nicht ihre. Und es war höchste Zeit, dass sie von diesem Weg abkam und ihren eigenen Weg nahm. Was wohl Linus zu dieser Entscheidung sagen würde? Würde sie ihn überhaupt interessieren? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich dachte er nicht einmal mehr an sie. Warum sollte er auch, verhöhnte sie diese kleine Stimme in ihrem Kopf. Weil er mich geliebt hat, schoss es Ina durch den Kopf. „Hat er das wirklich?" Da war sie wieder diese fiese kleine Stimme. „Wenn er das hätte, dann wäre er ja noch hier." Da konnte sie schlecht widersprechen. Scheinbar hatte sie sich Linus Liebe wirklich nur eingebildet. Aber es hatte sich alles so echt angefühlt. Wieso war ihr nie aufgefallen, dass da irgendwo der Wurm drin war? Vielleicht weil sie viel zu sehr mit anderen Sachen beschäftigt gewesen war. War sie einfach nur mit allem zufrieden gewesen und hatte deshalb nie etwas hinterfragt? Es hatte ja alles super gepasst. Warum hätte sie also etwas hinterfragen sollen. Sie hatte sich blind auf Linus verlassen. Ja blind! Das war wohl auch das richtige Wort für ihr Verhalten. Sie hatte angenommen, dass er sie genauso liebte wie sie ihn. Wäre sie nicht so blind gewesen, wäre ihr das wahrscheinlich schon viel länger aufgefallen. Wie oft war sie in der letzten Zeit nachts wach geworden und Linus war nicht im Bett gewesen. Ein paarmal war sie aufgestanden und hatte ihn gesucht. Jedesmal hatte er im Wohnzimmer auf dem Sofa gesessen und vor sich hingestarrt. Wahrscheinlich hatte er es damals schon nicht mehr neben ihr im Bett ertragen. Wahrscheinlich war sie ihm da schon zu viel gewesen und er hatte dort seinen Entschluss gefasst, dass er das Ganze nicht mehr konnte und wollte. Wieso hatte er nicht einfach mit ihr gesprochen? Weil er ein Feigling war. Er hatte nicht den Mut aufgebracht ihr ins Gesicht zu sehen und Schluss zu machen. Das war nicht nur feige. Das war unfair, denn er hatte ihr damit jede Chance genommen über die Gründe zu sprechen. Er hatte ihnen damit die Möglichkeit genommen vielleicht doch noch eine tragbare Lösung für sie beide zu finden. „Weil er das vielleicht nicht wollte. Er hatte einfach die Nase voll von dir. Ist das denn so schwer zu verstehen?", höhnte wieder diese keine miese Stimme. Nein, das war es nicht. Aber es tat weh sich das einzugestehen. Und trotz dieses Eingeständnis kochte in Ina eine unglaubliche Wut hoch. Linus war ein erbärmlicher Feigling und Versager, der sich nicht einmal traute ihr das persönlich zu sagen. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wuchs und glücklich mit seinem neuen Leben werden. Bei ihr brauchte er sich jedenfalls nie wieder sehen lassen. Nein, sie würde jetzt ihr eigenes Leben in die Hände nehmen und zum ersten Mal in ihrem Leben das machen, was sie wollte.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt