Kapitel 40

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Linus öffnete langsam seine Augen und richtete sich auf. Er rieb sich sein Nacken. Verflucht, schmerzte der. Scheinbar war er wohl aus dem Alter raus, in dem man unbeschadet eine Nacht im Sitzen auf dem Sofa verbringen konnte. Dabei war er noch nicht einmal dreißig. Vor drei Jahren wäre ihm das noch nicht passiert. Da wäre er nicht einmal auf dem Sofa eingeschlafen, sondern hätte die Nacht unbeschadet durchgemacht. Er spürte Frust in sich aufkommen. Ja, damals hatte er sein Leben genossen und jede Menge Sport getrieben. Wann war er bitte das letzte Mal eine ausgiebige Runde laufen? Seine Kondition würde wahrscheinlich gerade einmal bis zur nächsten Ecke reichen. Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal auf einem Surfboard gestanden hatte. Es war definitiv viel zu lange her. Er musste Ina davon überzeugen......Verflucht Ina! In seinem Kopf tauchte der letzte Tag wieder auf. Hier ging es ja um viel mehr als um seine persönliche Unzufriedenheit. Er schaute sich suchend um und entdeckte sie an dem alten Sekretär, der unter dem einen Fenster im Wohnzimmer stand. Linus stand auf und lief zu ihr. Er beugte sich herunter und drückte ihr einen Kuss auf das Haar. „Guten Morgen!" Ina zuckte erschrocken zusammen und unterbrach das wilde Tippen auf ihrem Laptop. „Guten Morgen, hast du ausgeschlafen?", erwiderte sie, drückte ihm einen Kuss auf die Lippen und setzte das Tippen wieder fort. Er brummte nur als Antwort. Ausgeschlafen war etwas anderes, daran erinnerte ihn auch wieder sein Nacken. „Hast du denn überhaupt geschlafen?" Er war sich fast sicher, die Antwort bereits zu kennen. „Ich habe keine Zeit zu schlafen. Es ist so viel zu recherchieren und zu erledigen." So aufgedreht wie Ina sich anhörte, hatte sie mit Sicherheit mindestens einen Liter Kaffee intus. Kaffee könnte ihm auch nicht schaden. Am besten intravenös gespritzt. Sein Blick fiel zum Schreibtisch. Dort standen keine Kaffeetassen sondern eine Reihe von Dosen eines Energydrinks. Okay, das war Ina dann wohl noch effizienter als Kaffee erschienen. Klar, es ersparte den Weg zur Kaffeemaschine. Trotzdem war er irritiert, denn Ina verachtete das Zeug eigentlich, weil es ihrer Meinung nach viel zu viel Zucker enthielt und total ungesund war. Jedenfalls hielt sie ihm jedes Mal einen Vortrag, wenn er die Dosen kaufte. Noch nie hatte sie seinen stillen Vorrat geplündert. Neue Zeiten erforderten aber scheinbar neue Maßnahmen. Er war sich noch nicht sicher, ob er das gut finden oder sich Sorgen machen sollte. Linus griff sich die letzte augenscheinlich noch volle Dose. Vielleicht verlieh sie ihm ja Flügel. So k.o. wie er sich fühlte, wäre das nicht schlecht. „Was recherchierst du denn?" „Erst einmal muss ich ja wissen, wie so eine Adoption abläuft. Also ich weiß schon einmal, dass das  Adoption von Stiefkindern heißt und etwas anders funktioniert als eine normale Adoption. Ich bin auch in drei Stunden mit Onkel Robert verabredet. Er hat die Adoption damals beantragt hat." Linus schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. Wie lange hatte er geschlafen? „Es ist gerade sieben Uhr. Wann hast du bitte den Termin gemacht?" „Ich habe ihn um sechs Uhr angerufen, schließlich weiß ich, dass er Frühaufsteher ist. Und er hat immer gesagt, in dringende Fällen kann ich jederzeit bei ihm anrufen. Und wenn das kein dringender Fall ist, was dann?" Linus tat der Notar leid, auch wenn er die Familie schon ewig kannte und durch die Firma gutverdiente. Ob etwas, was bereits achtzehn Jahre zurück lag, wirklich als dringend einzustufen war, lag ja auch im Auge des Betrachters. Er vermutete aber eher, dass der Notar da an irgendwelche Betreuungsvollmachten für Natascha oder ihren Vater gedacht hatte, als er Ina angeboten hatte, ihn jederzeit zu kontaktieren, und nicht an Erklärungen zu dem Adoptionsantrag. „Onkel Robert kann mir bestimmt noch ein paar Puzzleteile an die richtige Stelle rücken. Schließlich kennt er Mama schon ewig." So euphorisch hatte Linus Ina schon lange nicht erlebt. Wenn er ehrlich war eigentlich noch nie. Ob das an den Energydrinks lag? Oder war das eine totale Überreaktion? Er befürchtete letzteres. Und das macht ihm Angst, denn es bedeutete, dass das ganze auch ganz schnell in das genaue Gegenteil umschlagen konnte. Außerdem gefiel es ihm auch nicht, dass Ina nicht eine Minute geschlafen hatte. Das führte unweigerlich in eine Katastrophe namens Zusammenbruch. Schnell ging er noch einmal seine Termine durch. Es würde keine Probleme geben, wenn er sie verschob. Alleine lassen würde er Ina heute jedenfalls nicht. Er drängelte sich neben sie auf den Stuhl und Ina rutschte ohne zu murren ein Stück. „Also, was wissen wir schon? Und was müssen wir noch recherchieren?" Ina schaute ihn erstaunt an. „Was heißt wir?" „Weil wir beide das jetzt zusammen angehen." Sie nickte und ein kleines Lächeln hatte sich in ihr Gesicht geschlichen, ehe es sich wieder verfinsterte. „Das geht doch aber nicht. Du musst doch in die Firma. Es geht doch nicht, dass keiner von uns beiden da ist." Da war er ganz anderer Meinung, wozu hatten sie fähige Angestellte? Ina war ihm viel wichtiger als diese dämliche Firma. Und er war sich sicher, dass Ina seine Unterstützung brauchen konnte. Das hatte ihm schon alleine ihre erste Reaktion gezeigt. „Doch das wird heute funktionieren", widersprach er ihr. Ina nickte. „Aber nur heute. Morgen müssen wir beide wieder da hin." Es war das erste Mal, dass Ina sich anhörte, als spräche sie ihr eigenes Todesurteil aus. „Ihr seid ja schon wach." Frau Senger hielt sich ihre Hand vor die Brust. Scheinbar hatte sie wohl nicht mit ihnen beiden im Wohnzimmer gerechnet. Ihr besorgter Blick ging zu Ina. Linus zwinkerte ihr zu. Das schien sie zu beruhigen, denn sie wirkte sofort erleichtert. „Dann mache ich euch mal schnell ein ordentliches Frühstück." „Au ja, Frau Senger. Können Sie uns auch ein paar Pancakes machen? Ich komme fast um vor Hunger." Inas Antwort schien nicht nur Linus zu überraschen. Auch die Haushälterin schaute verwundert, da Ina normalerweise nur etwas Müsli mit frischem Obst as. Sie lächelte aber sofort begeistert und machte sich in die Küche auf.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt