Kapitel 96

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Ina griff nach dem Tagebuch und blätterte bis sie die Seite gefunden hatte, bei der sie das letzte Mal mit dem Lesen aufgehört hatte. Es war der Tag, an dem ihre Mutter scheinbar den Vertrag gefunden hatte, den ihr Vater mit ihrer Großmutter geschlossen hatte.
Ich kann es nicht glauben. Ich habe Constantin auf den Vertrag angesprochen und er hat es nicht einmal versucht mir zu erklären. Er hat nur gesagt, dass mich das nichts anginge und außerdem solle ich mich nicht so aufspielen, schließlich sei das Geld in der maroden Firma meines Vaters gelandet und ich würde ja wohl gut davon leben. Das war doch aber nicht richtig so. Das Geld sollte für das Kind sein. Außerdem war die Firma meines Vaters überhaupt nicht marode. Er hat sie immer solide geführt bis er sie an mich und Constantin übergeben hatte. Ja, die Firma gehört uns beiden, auch wenn er nur immer von seiner Firma spricht.
Ina blätterte zum nächsten Eintrag.
Ich habe mir einmal die letzten Bilanzen der Firma angeschaut. Vor zwei Jahren war die Firma fast insolvent. Das hat mir Constantin verschwiegen. Wahrscheinlich wollte er mich nicht beunruhigen. Aber so langsam frage ich mich, was hat er noch für Geheimnisse vor mir? Es vergeht auch kein Tag, an dem wir uns nicht streiten. Er kann und will einfach nicht akzeptieren, dass ich ihm Fragen zur Firma stelle und zur Adoption damals. Ich würde so gerne wissen, wer die Person war, die meine kleine Ina zur Welt gebracht hat. Ich verstehe nicht, wie jemand scheinbar so viel Geld zahlen kann, nur um dieses süße Kind aus dem Weg zu haben. Also aus Geldnot war das jedenfalls nicht der Fall.
Genia schnaubte „Nee, mit dem Geld hätten wir beide ein traumhaftes und glückliches Leben haben können. Aber wir beide hätten das Geld auch nicht gebraucht, um glücklich zu sein."
Constantin und ich haben uns heute wieder einmal gestritten. Es vergeht kein Tag ohne Streit. Er erwartet von mir, dass ich das Thema um Inas Geburt einfach ruhen lasse. Das kann ich aber nicht. Schließlich wird Ina bald 16 und dann soll sie doch die ganze Wahrheit erfahren. Ich habe schon überlegt, ob ich selbst einmal Kontakt zu der Familie aus dem Vertrag aufnehme, damit sie auch ihre leibliche Mutter kennenlernen kann.
„Sie wollte, dass du mich kennenlernst!" Genia schaute sie mit glasigen Augen an. „Sie muss ein toller Mensch gewesen sein. Schade, dass ich sie nicht kennengelernt habe." Ina nickte. Ja, ihre beiden Mütter waren zwar vom Temperament total unterschiedlich, aber beide waren liebevolle Familienmenschen. Sie hätten sich bestimmt gut verstanden. Vielleicht wäre Genia genau die Freundin, die ihre Mutter gebraucht hätte, anstelle des Tagebuchs.
Ich habe heute Firmenunterlagen gefunden, mit denen ich nicht wirklich etwas anfangen kann. Sieht irgendwie wie ein Vertrag aus. Deshalb habe ich morgen einen Termin bei Robert. Er wird mir das schon erklären können. Schließlich ist er ja Jurist. Trotzdem frage ich mich, warum der Vertrag von einem anderen Notar unterschrieben ist, schließlich macht Robert doch alles für unsere Firma, seit er sein Studium abgeschlossen hat.
„Wer ist Robert?" Genia schaute Ina fragend an. „Robert ist Doktor Schreiber. Er ist mit Mama schon zusammen zur Grundschule gegangen und sie waren befreundet."
Ich kann es absolut nicht glauben, was Robert mir da erklärt hat. Constantin hat mich ganz hinterhältig aus der Firma gewürfelt. Er hat einfach eine neue GmbH gegründet und die alte KG vermietet ihm nur gegen geringfügige Miete die Firmenräumlichkeiten und das Inventar. Ich könnte nicht einmal mehr Einfluß auf die Firma nehmen, selbst, wenn ich es wollte.
„Das glaube ich auch nicht." Ina schüttelte ihren Kopf. „Das kann Papa doch nicht wirklich gemacht haben." Sie griff zu dem Ordner auf dem Tisch und überflog die Unterlagen. „Ich fasse es nicht. Er hat das wirklich gemacht. Das ....das ist..." Ina brach ab. Ihr fielen keine Worte ein, die für ihre Empörung ausreichend wären.
Ich habe Constantin auf die GmbH angesprochen. Er hat nur drum herum geredet und mir keine klaren Antworten gegeben. Scheinbar hält er mich wohl für so dumm, dass ich das nicht bemerke. Da liegt er aber falsch. Ich werde mir die Firmenunterlagen noch einmal ganz genau anschauen. Das kann er mir nicht verwehren. Außerdem prüft Robert für mich, was wir dagegen unternehmen können.
„Den Eindruck habe ich auch", grinste Genia. „Das ist immer die Gefahr bei diesen Egomanen. Sie unterschätzen ihren gegenüber."
Robert hat mir keine Hoffnung gemacht. Ich habe blöderweise wohl den Mietvertrag unterschrieben. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern. Aber vielleicht hat er ihn mir auch untergeschoben. Ich musste ja manchmal Unterlagen für die Firma unterschreiben und ich habe sie mir nur selten angeschaut, weil ich ihm vertraut habe."
„Vielleicht war das auch jemand anderes, der unterschrieben hat, so wie bei mir und dem Adoptionsvertrag. Bei den beiden Teufeln, die da am Werk waren." Da könnte Genia recht haben.
Ich habe noch weitere Unterlagen gefunden. Constantin hat einen stillen Teilhaber in die Firma genommen. Als ich ihn deshalb zur Rede gestellt habe, hat er mir noch einmal deutlich gemacht, dass ich in der Firma nichts zu melden habe. Mein Job ist die Kindererziehung und soziale Außendarstellung unserer Familie. Welcher Familie bitte? So redet man vielleicht mit seinen Angestellten. Und nicht einmal das, wenn ich ehrlich bin. Ich erkenne Constantin kaum noch wieder. Und ich bin auch nicht bereit das weiter so hinzunehmen. Das war jetzt der Schlusspunkt für mich. Ich kann mit so einem Mann nicht weiter zusammenleben. Ich werde die Scheidung einreichen. Und da die Kindererziehung ja mein Job ist, werde ich auch das alleinige Sorgerecht für meine beiden Mäuse beantragen. Sollte Constantin da querschießen, werde ich wohl mit den gleichen Bandagen wie er kämpfen müssen. Auch wenn mir das nicht liegt. Aber ich werde dafür sorgen, dass die beiden Mädchen bei mir bleiben. Glücklicherweise gehört die Villa mir alleine, weil ich sie von meiner Mutter geerbt habe.
„Wow, das....das hätte ich nicht erwartet. Ich dachte Papa und Mama wären...." Ina brach ab. Sie hatte die Ehe ihrer Eltern wirklich für eine Traumehe gehalten, die sie später auch einmal führen wollte. Nie im Traum hätte sie erwartet, dass ihre Mutter sich scheiden lassen wollte.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt