„Hallo, meen Jung!" Linus Mutter umarmte ihn herzlich als er seine Eltern in der Bahnhofshalle begrüßte. „Wie war eure Fahrt?", wandte er sich an seinen Vater, der mit mürrischem Gesicht da stand und die Leute beobachtete. „War okay!", kam es dann aber doch noch norddeutsch geschwätzig. Ja, wer in Hamburg anstatt Moin Moinmoin sagte, war ein Schwätzer und sein Vater war der Norddeutsche par excellence. „Wir mussten nicht einmal umsteigen", lächelte seine Mutter begeistert. „Und wir hatten Sitzplätze. Endlich konnte ich mal in Ruhe lesen." Sein Vater gab ein Brummen von sich. „Vier Stunden den Hintern platt sitzen, braucht wirklich keiner." „Ich hatte euch doch angeboten, euch einen Flug zu buchen." Ja, Linus hatte sogar fast darauf bestanden, schließlich wollte er, dass seine Eltern es bequem hatten und er wusste ja auch, wie sehr es sein Vater hasste, einfach nur herumzusitzen. „Das wäre ja noch schöner. So ein Flug ist viel zu teuer und außerdem alleine der Kerosinverbrauch und die Umweltbelastung." Linus zog seine Augenbrauen hoch und schaute seinen Vater irritiert an. Seit wann war sein Vater Umweltaktivist? „Dein Vater hat da letztens so einen Bericht im Fernsehen gesehen und seit dem hat er noch eine Ausrede mehr parat, warum wir nicht wie meine Kollegin nach Mallorca fliegen können." Linus Mutter zuckte mit den Schultern und verzog ihr Gesicht. Ja, sie wäre mit Sicherheit reiselustig. Von ihr hatte Linus wohl seinen Reisedrang und seine Abenteuerlust geerbt. Immer, wenn er unterwegs war, musste er ihr jede Menge Fotos schicken. Für sie war es dann so, als ob sie auch verreist wäre. Linus fragte sich, ob es für einen Menschen wirklich gesund war, sich für einen anderen Menschen so zurückzunehmen, dass man seine eigenen Wünsche hinten anstellte. Für seine Mutter schien es ja zu funktionieren und sie schien damit glücklich zu sein. Könnte er das genauso? Da war er sich nicht so sicher. Seit Ibiza war ihm eindeutig klar geworden, dass ihm in seinem Leben etwas fehlte. Oder anders gesagt, das Fernweh hatte ihn wieder voll erwischt. Andererseits war er aber mittlerweile so erwachsen geworden, dass ihm klar war, dass er das, was er hier in Düsseldorf hatte auch nicht dafür aufgeben wollte. Nein, Ina war ihm viel zu wichtig. Aber vielleicht schaffte er es ja einen gemeinsamen Zwischenweg für sie beide zu finden. Ina würde ab und zu eine Auszeit auch gut tun. Ja, definitiv. In den Wochen seit dem Urlaub hatte sie schon wieder viel zu viel gearbeitet und er machte sich wirklich Sorgen, dass sie dem ganzen Streß irgendwann nicht mehr stand hielt. Und wenn er beziehungsweise seine Mutter es sogar geschafft hatten seinen Vater aus der Hansestadt herauszubekommen, dann sollte es ihm doch wohl auch gelingen, Ina ab und zu zu entführen. Ja, sie war mit Sicherheit nicht so ein schwerer Brocken, wie sein Vater. „Meen Jung, wann gehen wir denn auf die Baustelle?" Sein Vater schaute ihn ungeduldig an, kaum dass sie in seinem Auto Platz genommen hatten. „Fahren wir da gleich vorbei?" Ja, Linus hatte vielleicht mit einem faulen Trick gearbeitet, um seinen Vater von der Notwendigkeit zu überzeugen, nach Düsseldorf zu kommen. Ein Kindergeburtstag, der ausgerichtet werden musste, hätte dafür nicht ausgereicht. „Nein, heute nicht mehr. Die haben da jetzt schon Feierabend." Ja, er hatte seinem Vater vorgeschwindelt, dass auf einer Baustelle etwas völlig schief lief und er unbedingt seine fachliche Unterstützung brauchte. Es war klar gewesen, dass ein Thomas Hansen da nicht ablehnen konnte, seinem Sohn unter die Arme zu greifen. Sein Vater schaute auf seine Armbanduhr und schüttelte den Kopf. „Dann ist das man auch kein Wunder, dass es da Probleme gibt. Um halb Vier schon Feierabend. Das gibt es bei uns nicht. Da fällt vor vier nicht der Hammer." Das tat er ehrlich gesagt in Düsseldorf auch nicht. Hier fiel er sogar erst um halb fünf, aber Linus musste erst noch das Problem suchen, dass er seinen Vater lösen lassen wollte. Das war halt so der Fehler an seinem Trick. Er hatte noch keine Zeit gehabt sich darum zu kümmern. Eigentlich hatten sie nämlich ziemlich fähige Bauleiter, die sehr gut im Stande waren alle Termine und Abnahmen zu halten. Trotzdem gab es bestimmt irgendwo eine Kleinigkeit, mit der er seinen Vater beschäftigen konnte. Auf jeder Baustelle gab es schließlich immer ein Problem, das es zu fixen galt, egal wie fähig die Leute waren. „Mensch schau mal, Thomas!" Seine Mutter klopfte aufgeregt mit ihrem Finger gegen die Scheibe. „Da das ist doch der Rhein, nicht wahr?" Linus nickte ihr nur über den Innenspiegel zu und musste schmunzeln, denn seine Mutter hatte kullerrunde Augen wie ein kleines Kind, das den Weihnachtsmann zum ersten Mal sah. „Mmh, Astrid", brummte sein Vater. „Man könnte ja denken, das ist der erste Fluß, den du siehst. Also ich finde, die Elbe und die Alster sehen sauberer aus. Das ist ja nur so olle braune Brühe." Manche Dinge änderten sich nie. Sein Vater war einfach durch und durch Hamburger.
Eine Viertelstunde später parkte Linus sein Auto in der goßen Auffahrt neben Inas Auto ein. Dann hatte sie heute also extra früher Feierabend gemacht, um zu Hause zu sein, wenn seine Eltern ankamen. Dieser Gedanke freute ihn. Dann stand die Familie bei ihr also doch noch über der Firma. „Wohnt ihr hier?" Seine Mutter war aus dem Auto ausgestiegen und musterte die große Villa vor ihnen mit offenem Mund. „Ja, das Haus gehört Inas Vater." „Das hat doch mindestens 400 Quadratmeter", kam es gleich von seinem Vater. „Bei den momentanen Energiepreisen solltet ihr über eine Photovoltaikanlage auf dem Dach nachdenken. Die könnte sich bei der Größe rentieren. Und eine Regenwassergewinnungsanlage für das Brauchwasser auch." Na da wusste Linus doch gleich, womit er seinen alten Herren den Rest der Woche beschäftigen konnte. Obwohl er sich nicht sicher war, was der Denkmalschutz bei dem alten Gemäuer dazu sagen würde. „Und die vielen Fenster." Seine Mutter schüttelte schockiert den Kopf. „Da hat die Ina aber zu tun, die alle zu putzen." Linus musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Es gab bestimmt vieles, was Ina machte. Zum Beispiel mit einem Helm auf dem Kopf auf einem Baugerüst herumklettern und Bauarbeitern den Marsch blasen, aber mit einem Putzlappen in der Hand hatte er sie noch nie gesehen, genauso wenig wie mit einem Kochlöffel. „Hallo, herzlich willkommen." Ina hatte sie wohl kommen hören und hatte die Eingangstür geöffnet. „Ja Hallo Ina." Seine Mutter verteilte sofort eine ihrer weit gefürchteten Klammerumarmungen und seine Freundin schaute ihn fast hilflos an, überwältigt von so viel erdrückender Zuneigung. Scheinbar hatte das auch sein Vater bemerkt. „Astrid, nun lass doch mal die Deern los." „Moin" Er hielt Ina seine Hand hin und erntete ein irritiertes, aber erleichtertes „Guten Tag." Da musste Linus wohl noch einiges an Arbeit zur Völkerverständigung in der eigenen Familie leisten.
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomanceLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...