Kapitel 53

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„Du siehst noch ganz schön müde aus." Linus hatte seinen besorgten Blick auf Ina gerichtet. „Hast du nicht gut geschlafen?" Was sollte sie darauf antworten? Ehrlich gesagt hatte sie fast überhaupt nicht geschlafen. Wie hätte sie das auch können sollen? Nach allem was Paula ihr gestern Abend noch erzählt hatte. Ihr war soviel durch den Kopf gegangen und sie hatte ihre Gedanken einfach nicht abschalten können, auch wenn sie immer noch zu keinem wirklichen Ergebnis gekommen war. Sie könnte Linus ja einfach antworten, dass sie bei Vollmond immer schlecht schlief. Aber zum einen wusste sie weder, ob gerade Vollmond war und zum anderen hatte Linus mit Sicherheit keine Lüge verdient. Vielleicht konnte er ihr ja sogar helfen, etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bekommen.  „Ich konnte nicht so gut schlafen, weil...." Sie brach ab und kuschelte sich noch etwas mehr in seinen Arm. Vielleicht half das ja. „...weil....", versuchte sie es erneut. „Weil Paula sich mit dir über Genia und die Adoption unterhalten hat und du jetzt nicht weißt, wie du damit umgehen sollst", unterbrach er sie einfach. Ina nickte nur, denn es traf es so ziemlich genau. Sie hatte absolut keinen Plan, wie sie ihre ganzen neuen Informationen bewerten sollte. „Also ich finde es echt heftig, was ihre Mutter da gemacht hat. Minderjährig hin oder her, aber du kannst ihr doch nicht einfach das Kind wegnehmen und einfach verschwinden lassen. Schon alleine sie nach Belgien zu verfrachten wegen einer Schwangerschaft. Das ist ohne Worte." Ina hob erstaunt ihren Kopf. „Woher weißt du davon?" „Genia hat es mir gestern erzählt, als die Kiddies da in dem Spieleding rumgetobt haben. Sie wollte einfach, dass ich weiß, dass sie dich nichtfreiwillig weggegeben hat." Ina begann auf ihrer Unterlippe zu knabbern. Also entweder Paula und Genia hatten sich zusammen eine Geschichte ausgedacht, die sie als Mutter besser dastehen ließ oder aber sie sagten die Wahrheit. „Meinst du die Geschichte stimmt, die sie uns erzählt haben?" Mittlerweile war Ina sich nämlich nicht mehr sicher, wem sie überhaupt noch glauben konnte. Sie hatte in den letzten Wochen einfach zu viele Enttäuschungen einstecken müssen. Ihrem Vater zum Beispiel vertraute sie nicht mehr und ihrer Mutter.....auch da war sie enttäuscht, dass sie ihr nie zu Lebzeiten die Wahrheit gesagt hatte. Linus zuckte mit den Schultern. „Welchen Grund sollte Paula haben, da ein Lügenkonstrukt mitzustricken?" Da hatte er irgendwie recht. Paula hatte ihr ja erzählt, dass sie selbst eine Zeit lang keinen Kontakt zu ihrer Freundin gehabt hatte, weil sie bei ihr Drogen versteckt hatte. Das hätte sie doch nicht gemacht, wenn sie ihre Freundin in einem guten Bild hätte erscheinen lassen wollen. Trotzdem blieb Ina misstrauisch. „Denkst du wirklich, dass diese Fra....ähm Genia mich die ganze Zeit gesucht hat?" Sie zweifelte nämlich extrem daran. Wenn man jemanden wirklich suchte, dann fand man ihn auch. „Sie hat es mir gegenüber jedenfalls auch behauptet. Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich keine Zweifel an ihrer Aussage. Vielleicht solltest du dir einmal persönlich anhören, was sie dir zu erzählen hat. Du hast doch nichts zu verlieren. Wenn du ihr am Ende nicht glaubst, hakst du es einfach ab und fertig." Ina bezweifelte, dass es so einfach war das einfach alles dann abzuhaken. Aber andererseits es wie bisher zu ignorieren würde auch nicht funktionieren. Das verhinderten Paulas Worte, die in ihrem Kopf durcheinander tanzten. „Du hast recht." Ina löste sich aus Linus Umarmung und sprang aus dem Bett. „Wo willst du hin?" Ihr Freund schaute sie irritiert an. Was dachte er denn? Zum Bäcker, oder was?„Na zu dieser....ähm Genia." Ina schnappte sich ihre Businessklamotten von gestern, die noch auf dem Stuhl lagen. Sie hatte keine Zeit sich noch andere herauszusuchen. Außerdem gaben die ihr immer eine gewisse Selbstsicherheit. „Hast du mal auf die Uhr geschaut? Heute ist Samstag und gerade einmal 6:30 Uhr." „Ja, und. Ich muss ja auch noch nach Dortmund fahren." Linus schüttelte seinen Kopf und stand auch aus dem Bett auf. „Ja, dann ist es 7:30 Uhr. Am Wochenende auch nicht viel besser. Willst du nicht lieber erst anrufen? Außerdem könnte uns eine Dusche und ein Frühstück vorher auch nicht schaden." Klar, fand er es super, dass sich Ina dem Ganzen endlich stellen wollte, trotzdem sollte man so etwas nicht überstürzt angehen. Es gab auch so mit Sicherheit schon genug Emotionen, die da hochkochten. Da musste nicht auch noch ein leerer Magen dazukommen. Ina schüttelte entschieden ihren Kopf. „Nein, sie soll keine Vorwarnzeit haben. Wenn ich sie überrasche, dann hat sie keine Zeit sich eventuell noch Lügen zu recht zu legen." Okay, Linus kannte diesen sogenannten Überrumpelungseffekt. Aber er bezweifelte, dass der hier wirklich zum Tragen kam, denn ein paar der Sachen, die ihm Genia gestern anvertraut hatte, waren mit Sicherheit nicht erfunden. Kein Mensch würde sich ausdenken, dass er als Prostituierte gearbeitet hatte und in die Obdachlosigkeit abgerutscht war. Das waren ja nicht gerade schmeichelhafte Dinge. Er fragte sich schon die ganze Zeit, wie Ina wohl darauf reagieren würde, wenn sie davon erfuhr. „Okay, kein Frühstück, aber wenigstens noch eine Dusche, Pepincito." Linus schaute seine Freundin mit seinem Welpenblick an, dem Ina nie widerstehen konnte. Und auch heute hatte er Glück, denn sie ließ die Klamotten, die sie in der Hand hatte wieder fallen und lief in Richtung Bad los. Ja, vielleicht hatte Linus recht. Eine Dusche würde bei ihr für einen klaren Kopf sorgen. Und den brauchte sie ganz dringend, damit ihr in dem Gespräch auch nichts entging. Nur wenn sie richtig bei der Sache war, würden ihr Ungereimtheiten in der Geschichte auffallen und sie würde die....Genia als Lügnerin überführen. Aber auch wenn sie immer noch Wut tief in sich spürte, war sie gar nicht mehr sicher, ob sie das überhaupt wollte. Denn so ungern sie es auch zugab. Irgendwie hatte es sich auch gestern Abend gut angefühlte, als Paula ihr mehrfach versichert hatte, dass ihre Mutter sie eigentlich nie hatte hergeben wollen und sie von ganzem Herzen geliebt hatte. Es waren die ersten Momente seit ein paar Wochen gewesen, in denen sie sich nicht total ungewollt gefühlt hatte. Trotzdem traute sie dem Ganzen nicht. Die Enttäuschung saß einfach zu tief.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt