Kapitel 73

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„Wann passt es dir denn am besten?" Ina spielte mit dem Kugelschreiber, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag herum, während sie auf die Antwort ihrer Mutter wartete. „Was heißt hier, wann es mir am besten passt? Wir richten uns da nach eurem Statiker, wann er kommen kann. Natürlich wäre es schon cool, wenn Luca dabei sein könnte. Ich will ihn ja da nicht irgendwie übergehen. Aber er ist da mit der Uni ja auch relativ flexibel." „Alles klar, dann schicke ich ihn euch morgen so um 10 vorbei." Dann konnte Genia noch in Ruhe Espie in die Kita bringen und nach Bochum fahren. Ja, das müsste doch gut für ihre Mutter passen. „Du hörst dich gerade total wie die entschlossene Geschäftsfrau an, die sagt, wo es langgeht und alles im Griff hat", kicherte Genia. Ina spürte einen gewissen Stolz in sich aufglimmen. Ihre Mutter hielt sie für entschlossen und dachte, dass sie alles im Griff hatte. Dieses Gefühl hatte ihr ihr Vater nie gegeben. Er hatte ihr eher immer versucht deutlich zu machen, dass Frauen einfach nicht durchsetzungsfähig genug im Geschäftsleben waren und deshalb nur die repräsentativen Aufgaben zu erfüllen hatten. Manno, wie hatte sie das gehasst, dass er sie nie wirklich richtig ernst genommen hatte. Immer waren ihre Leistungen irgendwo im Schatten geblieben......und jetzt, wo sie hier alles alleine wuppen musste, bekam er es auch nicht wirklich mit. Obwohl, alleine wuppen stimmte ja nicht. Glücklicherweise hatte sie ja Linus an ihrer Seite und sie trafen die Entscheidungen gemeinsam. Ja, mit ihnen beiden in der Geschäftsführung lief es perfekt. „Hoffentlich gibt der Statiker morgen grünes Licht für den Umbau." Der Stimme ihrer Mutter war eine gewisse positive Aufregung anzuhören. „Und wenn das dann in dem Obergeschoss auch noch klappt", wieder kicherte sie. „Dann sieht das Haus bald wie ein moderner Neubau aus." Ja, Ina und Genia hatten auch im Obergeschoss ein paar Wände gefunden, die sie gerne verschwinden lassen würden. „Dann brauchen wir nur noch die Handwerker, aber da verlass ich mich auch ganz auf meine entschlossene Tochter." Wieder spürte Ina den Stolz in sich. Ihr Vater hatte sie nie für entschlossen sondern nur für beeinflussbar gehalten. Seiner Meinung nach waren alle Frauen beeinflussbar und konnten Männern mit ihren Entscheidungen nicht dauerhaft standhalten. Erst so langsam wurde ihr richtig klar, was für eine antiquierte Einstellung ihr Vater eigentlich hatte. Wäre er nicht ein Pflegefall, hätte er ihr die Firma nie übergeben....nur in Zusammenhang mit einem für die Firma brauchbaren Ehemann, der die Leitung übernahm. Deshalb war sie auch damals mit Luca zusammen gewesen, weil er alle Anforderungen erfüllt hatte. Klar, hatte sie ihn nett gefunden. Mehr aber auch nicht. Trotzdem war sie die Beziehung eingegangen, um die Wünsche ihres Vaters zu erfüllen. Manno, wie krank war das eigentlich? Man sollte mit einem Menschen zusammen sein, weil man ihn liebte und nicht, weil er gut für das Geschäft war. In Ina keimte eine Frage auf. Hatte ihr Vater ihre Mutter auch nur aus dem Grund geheiratet, weil sie die Tochter eines Firmeninhabers war? Der Gedanke ließ sie schlucken. Eigentlich hatte sie immer gedacht, dass die beiden sich geliebt hatten, aber wenn sie recht überlegte, wäre ja auch möglich, dass ihr Großvater es damals genauso wie ihr Vater noch heute gesehen hatte. Ina schüttelte sich bei dem Gedanken und legte das Telefon zur Seite. Nein, das wollte sie nicht glauben, denn das würde ihr ganzes Weltbild nur noch mehr auf den Kopf stellen. Sie sollte heute Abend auf alle Fälle noch etwas in den Tagebüchern ihrer Mutter weiterlesen, um den Gedanken wieder zu vertreiben. Nein, aus jeder einzelnen Zeile, die ihre Mutter dort geschrieben hatte, sprach die Liebe, die sie für ihren Vater empfunden hatte. Trotzdem blieb eine gewisse Unsicherheit in ihr bestehen. „Das ist so ein gequirlter Mist!" Linus kam ins Büro gestürmt und wedelte mit einer Blattsammlung. Ina fragte sich, was es gab, dass er so aus der Haut fuhr? Normalerweise blieb Linus immer in jeder Situation der ruhige Pol, der alle Wogen besonnen wieder glättete. „Was ist denn?" Ina sprang beunruhigt von ihrem Stuhl auf und schnappte sich die Blattsammlung aus seiner Hand. „Die haben das total falsche Material geliefert", echauffierte er sich schon weiter, während Ina auf die Bestell- und Lieferscheine in ihrer Hand blickte. „Ja, und wo ist das Problem? Dann müssen sie das Zeug halt wieder zurücknehmen und neu liefern." So etwas kam ja nicht zum ersten Mal vor. Deshalb verstand sie auch nicht, warum Linus sich so aufregte. Klar, war es nicht schön, aber.... „Wo das Problem ist?" Linus schaute sie fassungslos an. „Das dauert bis das neue Material da ist und wir haben Termine, die wir halten müssen." Ja, das war Ina klar, aber normalerweise planten sie immer alles so, dass sie Verzögerungen mit einkalkulierten und immer noch genug Zeit hatten, um sogar vorfristig fertig zu werden. Ja, ihre Firma hatte den Ruf immer verlässlich zu sein. „Gib mal her, ich kümmere mich darum." Wenn alle Stränge rissen, dann mussten sie halt bei einem anderen Händler nachfragen und das Material bestellen. Auch das war nichts, was nicht schon mehr als einmal vorgekommen war. Linus verzog sein Lippen und fuhr sich mit seinen Händen durch das Gesicht. „Das wäre schön, wenn du mir das abnehmen könntest. Ich habe noch einen wichtigen Termin mit dem Denkmalschutzamt wegen der Umbauten an der Villa. Die machen da Probleme wegen der Photovoltaik, die wir geplant haben." Er wirkte schon etwas ruhiger. Ina überbrückte die paar Schritte zu ihm und schlang ihre Arme um ihn. Sie drückte sanft einen Kuss auf seine Lippen. „Wir schaffen das schon. Wir sind doch ein super Team." Ja, das sagte Ina aus vollster Überzeugung. Linus nickte abwesend als wäre er schon wieder in Gedanken bei etwas anderem. Ina fielen die dunklen Augenringe auf. Seit wann waren die denn dort? Linus war doch jemand, der immer auf eine gesunde Lebensführung achtete. Genau wie sie.....na ja meistens. Irgendwie sah er total gestresst und übermüdet aus. War vielleicht Vollmond, dass er schlecht geschlafen hatte? Das wäre ihr doch aber aufgefallen. Nein, sie war heute morgen in seinen Arm gekuschelt aufgewacht. Egal....vielleicht sollte sie mal wieder dafür sorgen, dass sie beide eine kleine Auszeit bekamen.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt