Kapitel 39

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Heute war ich mit Constantin am Rhein spazieren. Wir sind Hand in Hand gelaufen und haben den Schiffen dabei zugesehen wie sie gegen die Strömung gekämpft haben. Es war ein traumhafter Tag. Vater ist auch total begeistert von Constantin. Er meint, er passt gut in die Firma und ist der motivierteste Angestellte, den er je hatte. Er hat gesagt, dass er zufrieden ist, dass er ihn unter allen Bewerbern herausgefischt hat. Da ist er nicht der einzige. Hinter dem letzten Satz waren ein paar Herzen gemalt. Ina blätterte zur nächsten Seite. Okay, dann hatte ihr Vater also in der Firma ihres Großvaters gearbeitet und ihre Eltern hatten sich dort kennengelernt. War ihr Großvater überhaupt noch ihr Großvater? Und die Firma der großgerühmte Familienbetrieb, wenn sie ihn jetzt führte? Das war auch so eine Frage, die sie auf ihren Notizblock schrieb. Ina kratzte sich am Hals. Eigentlich komisch, dass sie damals nie mit ihrer Mutter darüber gesprochen hatte, wie sie ihren Vater kennengelernt hatte. Das war nie einThema gewesen. Wahrscheinlich lag es aber daran, dass sie gestorben war, bevor Ina überhaupt begonnen hatte sich für Jungs zu interessieren. Auf den nächsten Seiten stand nichts wirklich Interessantes. Da ging es nur um irgendwelche Freundinnen mit den sich ihre Mutter gezofft hatte. Wahrscheinlich kannte sie sie deshalb auch nicht. Ina blätterte weiter. Heute hat mich Constantin ziemlich überrascht. Er hat mir gestanden, dass er alleinerziehender Vater eines kleinen Mädchens ist. Ina straffte ihre Schultern und las weiter. Jetzt wurde es spannend. Ganz stolz hat er mir ein Foto von der Kleinen gezeigt und er hat mich gefragt, ob ich sie kennenlernen möchte. Was für eine Frage. Natürlich möchte ich das, schließlich gehört sie doch zu ihm. Außerdem liebe ich Kinder. Ja, das klang ausgesprochen nach ihrer Mutter. Sie hatte ihren Vater abgöttisch geliebt und sie hatte Kinder geliebt. Ina wusste, dass ihre Mutter sich eigentlich noch mehr Kinder gewünscht hätte. Sofort tauchte in ihrem Kopf ein Wort auf, dass in dem Satz fehlte. Ihre Mutter hätte sich noch mehr leibliche Kinder gewünscht, verbesserte sie ihn also. Obwohl das nicht fair war, denn ihre Mutter hatte sie nie anders als Natascha behandelt. Die nächsten Zeilen betrafen nur irgendwelche allgemeinen Ereignisse. Ina blätterte wieder weiter und überflog die nächsten Seiten. Ein lautes Schnarchen riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Blick ging zur Seite, wo Linus neben ihr auf dem Sofa saß. Sein Kopf war in den Nacken gefallen und das Schnarchen wurde von einem Schmatzgeräusch abgelöst. Sie musste schmunzeln und ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Obwohl er so müde war, hatte er sich zu ihr gesetzt. Auf ihn war immer Verlass. Ina legte das Tagebuch kurz beiseite und schnappte sich die Decke, die auf dem Sofa lag und breitete sie über ihm aus, schließlich saß er nur in seinen Boxershorts hier. Er sollte ja nicht frieren und sich erkälten. Ina ließ noch einmal einen Blick über das entspannte Gesicht ihres schlafenden Freundes gleiten. Wieder einmal hatte er ihr heute zur Seite gestanden, als sie zu ihrem Vater ins Pflegeheim gefahren war. Genau wie damals als der Anruf wegen des Herzinfarktes gekommen war. Und genau wie damals hatte ihr alleine schon das Wissen seiner Anwesenheit Kraft gegeben. Ina war sich nicht sicher, ob sie auch ohne ihn im Rücken ihrem Vater so klar gegenüber aufgetreten wäre. Linus gab ihr einfach das Vertrauen in sich selbst und das Wissen, dass er da war, egal was passierte und sie auffing. Er war ihr ganz persönlicher Felsen in der Brandung. Dafür war sie ihm auch sehr dankbar, denn oft genug hätte sie ohne ihn schon nicht weiter gewusst. Sie hoffte, dass sie Linus das gleiche Gefühl vermitteln konnte und er wusste, dass sie auch immer für ihn da war. Sie konnte sich ihr Leben ohne Linus überhaupt nicht mehr vorstellen. Ob ihre Mutter bei ihrem Vater wohl genauso gefühlt hatte? Ina griff wieder zu dem Tagebuch. Auf der nächsten Seite war ein Foto eingeklebt. Es zeigte ihre Mutter, die in die Kamera lächelte und ein Baby auf dem Arm hatte. Das musste ja dann wohl sie sein. Ein total komisches Gefühl überkam sie. War das der Moment, in dem ihre Mutter sie kennengelernt hatte? Inas Puls beschleunigte sich, als sie begann die nächsten Zeilen zu lesen. Heute hat mir Constantin seine kleine Tochter Ina vorgestellt. Ich war sofort schockverliebt in das kleine Mäuschen. Ich habe noch nie ein so hübsches und liebes kleines Babymädchen gesehen. Es war so ein unglaubliches Gefühl als sie sich an mich geschmiegt hat. Ich bin mir ganz sicher, ich habe mein Herz nicht nur an Constantin verloren, nein diese kleine Maus hat mir mein Herz gestohlen. Ich freue mich so, sie morgen wieder zu sehen. Ab sofort wird sie immer dabei sein, wenn ich Constantin treffe. Sie gehört zu uns.
Ina musste schlucken. Es war also wahr, was Doktor Spengler gesagt hatte. Ihre Mutter hatte sie vom ersten Moment an geliebt, in dem sie sie gesehen hatte. Es gab keinen Zwang von ihrem Vater. Nicht einmal Überzeugungsarbeit von ihm war nötig. Ihre Mutter hatte die Entscheidung sie zu lieben ganz alleine und freiwillig getroffen. Ina las die Zeilen noch einmal und sie spürte eine unglaubliche Erleichterung in sich. Wenn auch gerade alles in ihrem Leben auf dem Kopf stand, konnte sie wenigstens sicher sein, dass ihre Mutter sie wirklich geliebt hatte. Ina las die nächsten Seiten begierig weiter. Immer wieder standen dort Liebesbekundungen für das kleine Babymädchen, das ihre Mutter dort schon meine kleine Maus nannte. Ja, so hatte sie sie auch später immer genannt.
Ich verstehe nicht, wie eine Mutter so ein süßes kleines Mädchen nicht aufziehen möchte, stand ein Eintrag einige Wochen später. Ich würde meine kleine Maus niemals wieder hergeben. Ja, da hatte ihre Mutter Wort gehalten. In Ina tauchte aber eine Frage auf. Wer war diese Frau, die sie nicht gewollt hatte?

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt