Kapitel 38

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„Pepincito! Was machst du denn hier mitten in der Nacht?" Linus war aufgewacht und hatte festgestellt, dass das Bett neben ihm leer war. Er war aus dem Bett gesprungen und hatte sich auf die Suche nach Ina gemacht. Erleichtert atmete er auf, als er sie im Wohnzimmer auf dem Fußboden sitzend vorfand. In ihm hatte sich schon die Befürchtung breit gemacht, dass sie irgendeine Dummheit anstellte. Gestern Abend war sie völlig aufgelöst gewesen. Das war ja auch kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie gerade herausgefunden hatte, dass sie von ihrer Mutter adoptiert worden war. Linus konnte sich nur ansatzweise vorstellen, wie es war, wenn man so etwas erfuhr, was alles auf den Kopf stellte, dessen man sich so sicher war. Er ließ sich neben Ina auf dem Boden nieder und fuhr sich durch seine Haare. „Ich habe mir die ganzen Unterlagen einmal angeschaut. Schau mal. In meiner Geburtsurkunde steht aber Mama als meine Mutter. Das ist doch aber totaler Blödsinn, wenn ich wirklich adoptiert bin. Andererseits gibt es ja diesen Adoptionsantrag und das, was mir Doktor Spengler erzählt hat." Ina schien hellwach zu sein. Im Gegensatz zu Linus, der sich die Augen rieb. „Und wo ist jetzt das Problem?" Um drei Uhr nachts war sein Denkvermögen wie bei den meisten Menschen ziemlich eingeschränkt, insbesondere wenn sie gerade noch geschlafen hatten. „Das Problem ist, dass dort eigentlich ein anderer Name stehen müsste." Ina schaute ihn an als wäre er schwer von Begriff. „Wenn meine Mama mich adoptiert hat, müsste es ja noch eine Frau geben, die mich auf die Welt gebracht hat. Und die müsste hier in der Geburtsurkunde stehen." Okay, das klang sogar um diese Uhrzeit logisch in seinen Ohren. „Bestimmt gibt es eine Erklärung dafür." Er war sich sicher, dass sie die aber nicht jetzt finden würden. „Das will ich ja wohl hoffen!" Okay, das war wieder die alte Ina, die er kannte. „Können wir die aber morgen....ähm nachher suchen und jetzt erst einmal wieder ins Bett gehen?" „Ich kann doch jetzt nicht schlafen!" Ina schaute ihn empört an. Er schnaufte einmal tief durch. Das hatte er fast befürchtet. Einen Versuch war es aber wert gewesen. Er dachte an die Termine, die er in ein paar Stunden hatte. Zum Glück waren es keine wirklich wichtigen bei denen sich der Schlafmangel nachteilig auswirken konnte. „Alles klar. Ich mache uns einen Kaffee und dann schauen wir zusammen." Linus erhob sich und lief oder sollte man sagen schlafwandelte in Richtung Küche.
Ina schnappte sich noch einmal den Adoptionsantrag. Er war beim Familiennotar gestellt worden. Sie griff sich ihren Notizblock und den Stift um ihre Liste um eine Notiz zu erweitern. Sie musste bei Onkel Robert nachfragen. Er war der Familiennotar. Bestimmt konnte er ihr erklären, wie das Ganze damals abgelaufen war. Sie machte sich eine weitere Notiz. Bei der Gelegenheit konnte sie ihn auch gleich fragen, ob die Adoption irgendwelche Auswirkungen auf ihr Familienverhältnis zu Natascha hatte. Galten sie vor dem Gesetz auch als Geschwister mit allen Rechten und Pflichten? Das war immens wichtig das zu klären. Nicht, dass sie plötzlich dastand und keine Befugnisse mehr hatte Entscheidungen für Natascha zu treffen bis sie selbst volljährig war. „Hier dein Kaffee." Linus reichte ihr eine Tasse aus der kleine Dampfwölkchen aufstiegen. Er schielte auf ihren Notizblock und atmete erleichtert auf. Wenn Ina schon ihre geliebten To-Do-Listen anfertigte, war das erst einmal ein gutes Zeichen. Gestern Abend der paralysierte Zustand hatte ihm mehr Sorgen gemacht. „Hast du da schon einmal reingeschaut?" Linus deutete mit seinem Finger auf die Tagebücher, die sie gestern aus der Kiste herausgenommen hatten. Ina schüttelte den Kopf. Nein, sie hatte dort noch nicht hineingeschaut. Irgendetwas hatte sie davon abgehalten auch wenn Doktor Spengler ihr ausdrücklich versichert hatte, dass ihre Mutter mit Sicherheit damit einverstanden gewesen wäre. Trotzdem hielt sie etwas davon ab. Sie konnte es nicht genau benennen. Vielleicht war es der anerzogene Respekt vor der Privatsphäre eines anderen Menschen, denn Tagebücher fielen definitiv in diesen Bereich. Schließlich handelte es sich um die ganz persönlichen Gedanken der Person, die sie niedergeschrieben hatte. Vielleicht war es aber auch ihre untergründige Angst dort etwas zu lesen, dass das Verhältnis zu ihrer Mutter noch mehr ins Schwanken brachte oder total in Frage stellte. Was, wenn sie dort einen Eintrag fand, in dem ihre Mutter schrieb, dass sie sie nie wirklich hatte adoptieren wollen und es nur ihrem Vater zu liebe getan hatte. Oder einen Eintrag, in dem sie las, dass ihre Mutter die Adoption bereute, weil es ja Natascha gab. Bei dem Gedanken zog sich Inas Magen zusammen. Natürlich würde es diesen Eintrag geben, auch wenn ihre Mutter es sich nie hatte anmerken lassen. Aber es war doch total klar, dass sie Natascha viel lieber haben musste, schließlich hatte sie sie selbst geboren. Sie war ihr eigenes Fleisch und Blut.....und Ina war das Kind einer anderen. Andererseits fand sie dort in den Büchern vielleicht auch ein paar Antworten auf die vielen Fragen, die ihr im Kopf herumschwirrten. Es war nur die Frage, was schwerer wog. Entschlossen griff sie nach dem Buch auf  dem ihr Geburtsjahr eingepresst war. Das musste ja eigentlich das Jahr sein, in dem sich ihre Eltern kennengelernt hatten. Sie war im Januar geboren und Doktor Spengler hatte gesagt, dass ihre Mutter sie kannte seit sie zehn Monate alt war. Schnell blätterte sie durch die Seiten. Sie hatte am 7. Januar Geburtstag. Zehn Monate. Wahrscheinlich hatte ihre Mutter ja erst ihren Vater und dann sie kennengelernt. Also blätterte sie bis September und begann zu lesen.....

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt