Kapitel 92

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„Also hier ist nichts." Ina schüttelte enttäuscht ihren Kopf. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie das Rätsel mit dem Schlüssel gelöst hatte. Andererseits wäre es auch fast ein Wunder gewesen, wenn ihr an dem Sekretär ein Geheimfach noch nicht aufgefallen wäre, schließlich benutzte sie ihn ja selbst oft und gerne. Okay, bis jetzt hatte sie nur daran gesessen. „Also ich finde schon, dass wir etwas gefunden habe." Genia deutete lächelnd auf das Einschulungsfoto von Ina, das in einem Rahmen in einem Schubfach gelegen hatte. Ina konnte sich erinnern, dass es früher immer auf dem Sekretär gestanden hatte. „Espie hat eine unglaubliche Ähnlichkeit mit dir." Genia machte eine kurze Pause und Ina sah, wie sie schluckte. „Schade, dass ich damals nicht dabei sein konnte." Ja, das war wirklich schade, aber nicht Genias Schuld. Das wusste Ina ja mittlerweile. „Meinst du, Opa hat auch noch dein Einschulungsfoto? Ich möchte mal wissen, ob du auch Ähnlichkeit mit uns beiden hattest." Genia fing an zu kichern und schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte nicht so süße Rattenschwänze. Mir hat meine Mutter so einen ollen Topfschnitt verpassen lassen, damit die Jungs mir nicht an den Zöpfen ziehen konnten." Ina verzog ihr Gesicht. „Echt jetzt? Wer zieht denn anderen an den Haaren?" Genia zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber die Frau hatte sowieso mehr Haare auf den Zähnen als auf dem Kopf." Ihr Blick fiel wieder zu dem Sekretär. „Du sag mal, ist das nicht total unbequem an dem Teil zu sitzen? Da ist unter der Schreibplatte ja kaum Raum für die Füße." „Ja, das ist immer ein bisschen blöd. Aber wahrscheinlich ging das nicht anders wegen der Stabilität." Genia schüttelte den Kopf. „Das wäre doch aber unlogisch. Kein Mensch baut so etwas, ohne vorher sich Gedanken über die Ergonomie zu machen. Auch damals nicht." Die beiden schauten sich an und zogen gleichzeitig an dem Sekretär, der sich mit einem quietschenden Geräusch in Bewegung setzte. „Der steht ja auf Rollen." Genia schaute Ina überrascht an. „Wahrscheinlich, damit man auch einmal darunter putzen kann." Also das bezweifelte Genia ganz stark. Was würde Espie beim Topfschlagen in diesem Moment krähen? Heiß!  Ja, sie war sich ziemlich sicher, dass sie gerade auf der richtigen Spur waren. Als sie das Möbel etwas von der Wand abgerückt hatten, zwängten sie sich beide dahinter. Auf den ersten Blick sah alles wie eine normale Rückwand eines Schranks aus. Genia ging in die Knie. „Das glaube ich nicht!" Sie deutete mit ihrem Zeigefinger auf einen kleinen Schlitz, der total unauffällig dort im Holz versteckt war. Erst jetzt fielen Ina die kleinen Schlitze auf, die ein Rechteck ergaben. Sie zog ihre Kette mit dem Schlüssel vom Hals, wo sie sie seit gestern getragen hatte. Mit zittrigen Händen schob sie den Schlüssel in den Schlitz und drehte. Wie von Zauberhand öffnete sich die Holzplatte in ihre Richtung. Es war tatsächlich eine gut versteckte Tür. Ina drückte mit aller Kraft gegen den Sekretär, so dass er noch ein Stück vor rollte und sie die Tür richtig öffnen konnte. „Das ist ja der Wahnsinn!" Sie wusste nicht, ob sie begeistert sein sollte. Oder eher schockiert, weil ihr weder ihr Vater noch ihre Mutter von dem Geheimfach erzählt hatten. Ihre Mutter musste sie dabei aber zugute halten, dass sie damals noch sehr jung war. Wahrscheinlich hätte sie sie irgendwann eingeweiht. Ja, da war sie sich sicher. Sie wäre in tausend Jahren nicht auf die Idee gekommen, dass dort etwas sein könnte. „Ja, da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben. Dein Großvater muss ein sehr begabter Handwerker gewesen sein." Ina nickte abwesend, denn ihr Blick war im Innenraum des Safes gefesselt. Dort lagen zwei Mappen. War eine Mappe davon die ihrer Mutter, die sie die ganze Zeit schon suchte? Ihr Herz fing vor lauter Aufregung an zu rasen. Und wenn ja, was war dann in der zweiten Mappe? „Meinst du, das ist Mamas Ordner?" Genia zuckte mit den Schultern. „Finden wir es heraus." Entschlossen griff sie nach den beiden Ordnern und reichte sie ihrer Tochter. Zögerlich schlug Ina den ersten Ordner auf. „Das sieht wie Geschäftsunterlagen aus." Sie begann zu Blättern und überflog die ersten Seiten. „Das....das glaube ich nicht. Das ist eine Zusammenfassung der Bilanz. Vor zwölf Jahren war die Firma so gut wie Pleite." Das hatte sie überhaupt nicht mitbekommen. Okay, damals war sie zehn, aber es musste doch Gespräche von ihren Eltern gegeben haben. Da hätte sie doch etwas gehört.....außer ihr Vater hatte es auch vor ihrer Mutter geheim gehalten. Bis vor kurzem hätte Ina noch gesagt unmöglich, aber jetzt war sie sich da nicht mehr so sicher. „Was ist das denn?" Genia, die ihr über die Schulter geschaut hatte, tippte auf das Blatt vor ihr. „Wieso hat dein Vater vor vierzehn Jahren an meine Mutter ihre Firma geschrieben?" Tatsache! Im Briefkopf stand der Name Schulz und auch in der Anrede. „Du hattest Leukämie?" Genia schaute sie schockiert an. Ina schüttelte ihren Kopf. „Nein, außer ein paar Erkältungen hatte ich nie etwas. Ich hatte nicht einmal Windpocken." Ihre Augen wanderten die Schrift entlang. „Papa hat für eine Therapie für mich um Geld gebeten." Das war.... „Er hat deine Mutter einfach angelogen, um an Geld zu kommen." Ina konnte es überhaupt nicht glauben und blätterte zur nächsten Seite. Dort erkannte Genia sofort den Briefkopf der Firma ihrer Mutter. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie brauchte den Inhalt gar nicht lesen, um zu wissen, was darin stand. „Sie.....sie hat abgelehnt etwas zu spenden, weil sie sich bereits woanders engagiert." Ina schaute sie fassungslos an. „Das heißt ja, sie hätte mich sterben lassen, wenn ich wirklich krank gewesen wäre." Ihre eigene Oma hatte sich nicht einmal in der Not für sie interessiert. Das tat weh. Genia stieß ein verächtliches Lachen aus. „Tja, da hat wohl der Lügenbaron seine Meisterin in der geizigen Eiskönigin gefunden. Schon Scheiße, wenn zwei solcher Menschen aufeinander stoßen und versuchen sich gegenseitig auszutricksen." Das waren echt zwei Teufel unter sich. Wahrscheinlich schmorten sie jetzt gemeinsam in der Hölle oder der Satan floh vor ihnen, weil sie die Herrschaft versuchten an sich zu reißen. „Warum hat Papa das überhaupt aufgehoben?" Das war ehrlich gesagt eine gute Frage. Und wieso hatte er es versteckt?

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt