„Und alles gut bei dir?" Linus ließ sich neben Ina auf das Sofa gleiten. Seine Freundin hielt das Fotoalbum in ihren Händen, das er jetzt schon ein paarmal gesehen hatte. Es enthielt ihre Kinderfotos. Genia war vor ein paar Minuten gegangen als er zusammen mit Natascha nach Hause gekommen war. Ja, er hatte die Kleine zu einem ausgiebigen Frühstück und einem Shoppingausflug in die City entführt, damit Ina ungestört mit Genia reden konnte und dann auch noch etwas Zeit für sich hatte, um alles zu verarbeiten. Es hatte ihn dann doch erstaunt, die beiden einträchtig nach den ganzen Stunden hier auf dem Sofa vorzufinden. Die Verabschiedung mit Küsschen auf die Wange und einer liebevollen Umarmung sprach wohl von einem wirklich guten Verlauf des Gesprächs. Auch wenn er neugierig war, würde er warten bis ihm Ina von alleine erzählte. „Ja, alles bestens." Ina strahlte ihn an. „Genia hat mich gefragt, ob sie ein Babyfoto von mir haben könnte." Ina schlug das Album auf und zeigte stolz auf die Lücke in den Bildern. „Sie hat es in ihr Portemonnaie zu den Fotos von Espie gesteckt." So glücklich hatte er Ina schon lange nicht erlebt. Wenn er richtig überlegte, sogar noch nie. Sie war völlig gelöst und schien fast von innen zu leuchten. Das gefiel ihm. „Ich habe mir überlegt, dass ich von den ganzen Fotos von mir Kopien anfertigen lassen werde und dann ein Album für Genia mache, dass ich ihr schenke." Okay, Ina war nicht nur glücklich, sondern schon fast euphorisch. Hoffentlich blieb das auch so. Gefühlsschwankungen um 180 Grad, waren ja meist nur impulsiv und nicht von Dauer. Das wäre schade, denn Ina gefiel ihm so viel besser als in den letzten Wochen. Er hatte sich wirklich schon ziemlich Gedanken um sie gemacht, so deprimiert wie sie war. „Inibini, Linus war mit mir shoppen. Schau mal, was er mir gekauft hat. Das ist voll cool!" Natascha kam ins Wohnzimmer gehüpft und drehte sich in ihrer neuen Hose und dem dazu farblich passenden Shirt vor ihrer Schwester im Kreis. Ina musste zugeben, dass die Sachen der Kleinen wirklich gut standen, auch wenn sie garantiert nicht von einem Designer waren. Das sah sie sofort auf den ersten Blick. In ihr blitzte ein Gedanke auf. Ob Genia ihr wohl auch solche Klamotten gekauft hätte? Wahrscheinlich wäre sie nicht wie ihre Mutter mit ihr auf der Kö einkaufen gegangen und hätte sie bei den teuren Designern eingekleidet. Nicht, dass sie das missen wollte. Trotzdem fragte sie sich, wie ihr Leben wohl mit Genia verlaufen wäre. Ihr Blick blieb bei Natascha haften, die sich immer noch hin und her drehte und dabei strahlte. „Wusstest du, dass Genia auch immer in dem Laden einkaufen geht, wo wir letztens waren?" Nein, das wusste Ina nicht, aber das beantwortete dann wohl die Frage, wo sie für sie eingekauft hätte. „Das hat mir Genia nämlich gestern erzählt, als wir Hamburger essen waren." Natascha rannte wieder aus dem Zimmer. „Danke, dass du mit ihr shoppen warst." Ina beugte sich zu Linus und drückte ihm einen Kuss auf. „Das mache ich doch gerne. Das weißt du. Ich habe mir auch gleich ein paar neue Jeans gekauft." Stimmt, Linus war die Shoppingqueen von ihnen beiden. „Schau mal, Inibini. Den gleichen Pullover hat Genia auch." Natascha kam mit einem Wollpulli in Regenbogenfarben ins Zimmer geflitzt. Ja, an den Pullover konnte Ina sich erinnern. Den hatte ihre Mut....ähm Genia gestern getragen. „Genia ist voll cool!" Ihre Schwester ließ sich neben sie auf das Sofa plumpsen. „Findest du nicht auch?" Natascha musterte sie kurz. „Stimmt es, dass sie eigentlich deine Mutter ist und nicht Mama?" Okay, dann würde sie das Gespräch wohl jetzt führen müssen und nicht erst mit 16. Andererseits hatte sie auch nicht wirklich Lust so lange zu warten, jetzt wo sie diesen Umstand akzeptiert hatte. Nein, sie wollte offen zu ihrer Mutter stehen. „Ja, das stimmt, Mama hat mich adoptiert, aber eigentlich ist Genia meine Mutter." Natascha schaute sie nachdenklich an. „Sind wir dann aber trotzdem noch Schwestern?" Sie hörte leichte Sorge in der Stimme ihrer Schwester und das ließ sie schlucken, denn es bedeutete, dass sie für sie genauso wichtig war, wie umgekehrt. „Klar, ihr beide habt ja den gleichen Vater. Also bleibt ihr immer Halbschwestern", sprang ihr Linus zur Seite. Natascha nickte. „Dann ist Espie jetzt auch deine Halbschwester, stimmt's?" Ina nickte. „Ja, das ist sie. Ansonsten hat sich aber nichts geändert. Oder ist es für dich ein Problem, dass Genia jetzt meine Mutter ist?" Ihre Schwester schüttelte sofort den Kopf. „Nein, das ist doch voll cool." Ina fragte sich, was im Moment eigentlich nicht voll cool bei ihrer Schwester war. „Kann Genia dann jetzt auch meine Mutter sein? Ich habe doch früher meine mit dir geteilt. Kannst du jetzt auch deine mit mir teilen, Inibini?" Okay, das kam etwas überraschend für Ina. Sie musste sich ja erst einmal selber an ihre Mutter gewöhnen. Und sie konnte doch nicht einfach..... „Das solltest du Genia das nächste Mal selbst fragen, wenn wir sie treffen", sprang ihr Linus wieder zur Seite. „Können wir sie nicht einfach gleich anrufen?" Okay, das Leben mit zwölf Jahren war scheinbar um einiges simpler als mit zweiundzwanzig. Natascha fing plötzlich an auf ihrer Unterlippe zu kauen. „Ist dann Genias Vater auch dein Opa?" Ina nickte. Ja klar, war er das. Soweit hatte sie noch gar nicht gedacht. „Cool, dann haben wir jetzt auch einen Opa", grinste ihre Schwester begeistert. Klar, kein Wunder, dass sie sich freute, sie hatte ja keinen ihrer Opas kennengelernt, weil sie alle schon gestorben waren. Plötzlich verfinsterte sich der Blick ihrer Schwester. „Dann ist Ben ja auch mit uns verwandt." „Klar, er ist Genias Halbbruder. Also ist er genaugenommen Inas Onkel", dröselte Linus das Familienverhältnis auf. „Mhm, Onkel", kam es unzufrieden von Natascha. „Aber wenn er der Halbruder von Genia ist, dann ist er doch auch nur der Halbonkel von Ina und wenn wir auch Halbschwestern sind, dann bin ich doch höchstens zu einem Viertel oder Achtel mit ihm verwandt." Da hatte aber jemand bei der Bruchrechnung aufgepasst, dachte Linus schmunzelnd. Und wenn er an den gestrigen Abend dachte, dann war er sich auch ziemlich sicher, den Grund für diese Rechenexempel zu kennen. Ihm war nicht entgangen mit welchen großen, schwärmenden Augen Natascha ihn die ganze Zeit beobachtet hatte. Er war schließlich Bruder zweier Schwestern. Er kannte diesen verzückten Gesichtsausdruck noch gut genug. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr so ganz offiziell nicht wirklich miteinander verwandt seid, Schischi." Inas Antwort zauberte sofort ein Lächeln in das Gesicht der Kleinen, die scheinbar gar nicht mehr so klein war. „Na dann ist ja alles voll cool, Inibini!" Natascha flog ihrer Schwester um den Hals. „Hauptsache ist doch, dass wir weiter Schwestern sind." Auch wenn Linus sich über das Bild der beiden glücklichen Schwestern freute, hatte er das untrügliche Gefühl, dass in nächster Zeit noch einiges an Aufregung und Gefühlschaos von den beiden auf ihn zukommen würde.
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
Roman d'amourLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...