Kapitel 41

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Ina ließ sich in den Besucherstuhl des Notars gleiten. Onkel Robert, der alte Schulfreund ihrer Mutter, nahm ihr gegenüber Platz und legte eine Akte vor sich auf dem Schreibtisch ab. „Ich habe schon lange darauf gewartet, dass du irgendwann hier auftauchst und mir ein paar Fragen stellen willst." Er lächelte sie freundlich an. Scheinbar hatte er es ihr wirklich nicht übel genommen, dass sie ihn so früh auf seiner Privatnummer angerufen hatte. Nachdem Linus sie deshalb angesprochen hatte, hatte sie doch noch ein leichtes schlechtes Gewissen bekommen.....aber nur ein leichtes, denn für sie war es unglaublich wichtig, so schnell wie möglich alles zu klären. „Du hast ja für Mama den Adoptionsantrag beim Familiengericht eingereicht. Warum hat sie mich überhaupt adoptiert? Sie hätte doch auch nur meine Stiefmutter bleiben können." Ihr Gegenüber nickte. „Ja, das hätte sie können. Sie wollte aber damals unbedingt, dass du auch vor dem Gesetz zu ihr gehörst. Du weißt ja, dass dein Großvater die Firma und die Villa hatte. Er war also gut situiert. Und damals wollte deine Mutter einfach, dass du falls ihr etwas passieren sollte, versorgt bist. Außerdem wollte sie damals auch schon sicherstellen, dass du die gleichen Ansprüche haben würdest wie ein leibliches Kind, das sie mit deinem Vater bekommen wollte." Ina musste schlucken. Das hieß ja, dass ihre Mutter wirklich keinen Unterschied zwischen ihr und einem leiblichen Kind machen wollte. Und das sogar ganz bewusst, obwohl sie sich auch ein leibliches wünschte. „Warum hat sie dann erst den Adoptionsantrag gestellt als ich schon fast drei Jahre war?" Das war eine der Sachen, die Ina nicht verstand. Wenn ihre Mutter sie doch von Anfang an so geliebt hatte, warum hatte sie dann mit diesem Schritt so lange gezögert? „Das ging nicht früher. Deine Eltern mussten erst ein Jahr verheiratet sein. So schreibt es das Gesetz vor." In Inas Kopf fing es an zu rattern. Ihre Eltern hatten sich kennengelernt als sie zehn Monate alt war. Okay, im Juli des darauffolgenden Jahres hatten sie dann geheiratet. Da war Ina neunzehn Monate alt. Und genau ein Jahr später hatte ihre Mutter dann den Adoptionsantrag gestellt. „Und wieso steht dann Mama in meiner Geburtsurkunde?" „Das ist auch so vom Gesetz gewollt. Es soll nicht offensichtlich sichtbar sein, dass jemand adoptiert ist. Deshalb wird nach erfolgreicher Adoption die Geburtsurkunde geändert. Bei dir kam dann ja auch noch die Namensänderung hinzu, weil dein Vater ja bei der Hochzeit den Namen deiner Mutter angenommen hat." Okay, das hatte Ina gewusst....also das mit dem Namen ihres Vaters. „Das heißt dann also ich hätte nie etwas von der Adoption erfahren, wenn ich nicht diesen Antrag gefunden hätte?" „Wenn dein Vater es dir nicht erzählt hätte, wohl nicht." Der Notar zuckte mit den Schultern. „Mir waren da die Hände gebunden. Aber letztlich ändert sich ja nichts für dich." Ina zuckte innerlich zusammen. Wie konnte er das sagen? Vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden hatte sich ihr komplettes Leben mit einem Schlag geändert. Was hatte sie aber auch von einem Paragraphenreiter erwartet? Er sah es natürlich nur aus rechtlicher Sicht und da hatte er ja recht. So wie es aussah, war alles beim Alten.  „Also ändert sich für mich auch nichts was die Betreuung von Papa und Natascha angeht?" Onkel Robert schüttelte den Kopf. „Vom Gesetz her ist Natascha ganz offiziell deine Schwester." Er machte eine kurze Sprechpause. „Und dein Vater ist ja dein leiblicher Vater. Da hatte die Adoption sowieso keinen Einfluss." Das stimmte. In Ina kam eine spontane Frage auf. „Weißt du, wer die Frau ist, die mich geboren hat und warum sie mich nicht wollte?"  Ja, die Frau, die sie geboren hatte. Der Begriff Mutter war da ja wohl total fehl am Platze. „Tut mir leid. Da kann ich dir nichts zu sagen. Da musst du zum Jugendamt gehen. Dort liegt die Akte mit den ganzen Informationen zu der Adoption. Ich habe damals nur den Antrag für deine Mutter eingereicht. Der Rest lief über das Amt und Familiengericht." Er zuckte bedauernd mit den Schultern und Ina verzog ihr Gesicht. Als ob die Akte noch da wäre nach der ganzen Zeit. „Dann werde ich es also nie erfahren. Die Akte ist doch mit Sicherheit schon längst vernichtet." „Also, da kann ich dich beruhigen. Das Amt ist verpflichtet sie bis zu deinem 60. Geburtstag zu verwahren."  Ina schaute ihn überrascht an. „Im Ernst?" Das konnte sie gar nicht glauben. Sie bekam ein Nicken als Antwort. „Das ist Vorschrift." Ina begann zu grinsen. Ein Hoch auf die deutschen Gesetze und Verordnungen. Dann wusste sie ja, wohin sie ihr nächster Weg führte.
Eine Stunde später stand Ina im für die Adoption zuständigen Jugendamt vor dem Schreibtisch einer Frau, die wahrscheinlich kurz vor der Pensionierung stand. Ihr Puls raste vor Aufregung. Gleich würde sie wissen wer die Frau war, die sie zur Adoption freigegeben hatte. „Also Frau...." Die Dame schob sich eine Lesebrille auf die Nase, die an einer Kette um ihren Hals baumelte.„Preetz", half Ina der Dame mit ihrem Namen aus, bevor sie auf den Adoptionsantrag schauen musste, den sie ihr gereicht hatte.  Wahrscheinlich hatte sie Inas Adoptionsakte sogar persönlich angelegt. So alt wie sie ausschaute, hatte sie bestimmt damals schon hier gearbeitet. „Ja, Frau Preetz, ich schaue einmal nach, ob ihre Akte überhaupt bei uns lagert." Das wollte Ina doch wohl hoffen, aber eigentlich sollte da kein Zweifel bestehen, denn der Notar hatte ihr extra das zuständige Jugendamt genannt. Gespannt schaute sie zu wie die Dame Buchstabe für Buchstabe in die Tastatur tippte. Ina schüttelte innerlich den Kopf. Sie hätte nie geglaubt, dass das so langsam ging. Also in ihrer Firma hätte sie schon ein Gespräch mit der Dame geführt und ihr im Zweifelsfall nahe gelegt, sich einen neuen Job zu suchen. „Ja, also ihre Akte liegt hier bei uns." „Prima, kann ich sie denn jetzt bitte einsehen?" Ina tippte ungeduldig mit dem Fuß. Die Dame schaute sie missbilligend an.  Okay, vielleicht sollte sie mit dem Fußtippen aufhören. „Also so einfach geht das nicht. Sie können doch nicht einfach hier auftauchen und Einsicht in die Akte verlangen." Die Dame schüttelte ihren Kopf. „Sie müssen erst einmal einen Antrag auf Akteneinsichtnahme ausfüllen, den ich bewilligen muss. Und dann können Sie einen Termin für die Einsichtnahme machen." Wie bitte? Hatte Onkel Robert ihr nicht gesagt, das wäre alles ganz einfach? „Okay, dann geben Sie mir bitte, den Antrag, damit ich ihn ausfüllen kann." Ina begann in ihrer Tasche nach einem Stift zu kramen. Sie wusste ja vom Bauamt, dass in Behörden alles ein paar Jahrzehnte hinterherhinkte. „Das müssen Sie schon online machen." Okay, dann halt so. Ina zog ihr Tablett aus der Tasche, das sie immer bei sich trug. „Wo finde ich den Antrag?" Die Dame schaute sie verwundert an. „Na auf unserer Behördenseite." Ina fing an zu googlen. „Ich müsste Sie dann aber jetzt bitten den Raum zu verlassen." Ina nickte. Ja klar, wahrscheinlich gab es noch andere Leute wie sie, die Akteneinsicht nehmen wollten. Zwar hatte sie niemand auf dem Flur gesehen, aber das hatte ja nichts zu sagen. „Das mit dem Antrag sollte nicht lange dauern. Ich kann dann doch gleich Einsicht in die Akte nehmen?" Die Dame schaute sie konsterniert an. „Nein, können Sie nicht. In fünf Minuten endet die Sprechzeit. Außerdem muss ich dann erst einmal ihren Antrag prüfen und schauen, ob sie auch wirklich berechtigt für die Akteneinsicht sind. Sonst könnte ja hier jeder kommen und behaupten er hätte ein Recht darauf." Ja, okay, das konnte Ina nachvollziehen. Das sollte ja aber nicht lange dauern. „Okay, dann komme ich nach der Mittagspause wieder, wenn die neue Sprechzeit beginnt", gab sie sich also ganz verständnisvoll. „Die nächste Sprechzeit ist nächste Woche", bekam sie schnippisch zur Antwort. Wie bitte? Sie hatte sich doch wohl verhört. „Außerdem können Sie erst einen Termin für die Einsicht machen, wenn ich den Antrag bewilligt habe. Und das wird mit Sicherheit zwei Wochen dauern. Die Akte muss ja auch erst noch aus dem Archiv geholt werden. Das ist nicht so einfach." Nein, das konnte doch wohl nicht wahr sein. „Ich muss aber wissen, wer meine Mutter ist!" Die Dame nickte verständnisvoll. „Das verstehe ich ja auch, aber es gibt nun einmal einen vorgeschriebenen Ablauf. Da müssen Sie sich schon gedulden." Inas Hände ballten sich zu Fäusten. Verflucht, sie wollte sich nicht gedulden. Okay, dann marschierte sie halt noch einmal zu Onkel Robert. Dann sollte er die Akte halt anfordern oder wenn nötig auch einklagen. Sie würde jedenfalls keine zwei Wochen oder länger warten, bis sie erfuhr, wer diese Person war, die sie nicht gewollt hatte.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt