Kapitel 72

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„Was macht ihr den hier?" Genia starrte sie mit großen Augen an, als sie die Haustür öffnete. „Wir wollten euch ein bisschen helfen", grinste Linus sie an und schwang den Werkzeugkasten, den er im Keller der Villa gefunden hatte etwas hin und her. Das bereute er aber schnell, denn das Ding war nämlich ziemlich schwer. „Na dann kommt herein. Hilfe können wir auf alle Fälle gebrauchen. Luca lässt mich ja nicht einmal einen Spachtel in die Hand nehmen, damit ich die ollen Tapeten von der Wand kratzen kann." Genia war deutlich anzusehen, was sie davon hielt. „Das ist ja auch gut so, schließlich bist du schwanger." Ina umarmte ihre Mutter herzlich. „Das sehe ich auch so", ertönte hinter ihnen Lucas Stimme und er klopfte Linus auf die Schulter. „Cool, dich mal nicht mehr im Geschäftsanzug zu sehen, sondern als Mensch." Ja, Linus genoss es auch mal wieder nur in Jeans und Sweatshirt unterwegs zu sein. „Ich habe dahinten auch schon einen Blaumann für dich zurecht gelegt." Luca deutete auf einen Arbeitsoverall, der über die Leiter hing. „Dann wusstest du, dass die beiden kommen?" Genia schaute ihren Mann entrüstet an. „Ja klar, wusste ich das." „Und wieso hast du mir nichts davon gesagt? Dann hätte ich doch einen Picknickkorb mit ein paar Pausensnacks vorbereitet." Luca grinste. „Genau deshalb!" Genia boxte ihn an den Arm. „So schlecht sind meine Sandwiches gar nicht." Luca fing an zu lachen. „Das behauptet ja auch keiner, aber du wärst garantiert erst einmal einkaufen gerannt und bepackt wie ein Lastenmuli wieder zurückgekommen." Ina musste schmunzeln, weil ihre Mutter einen Flunsch zog. Früher hätte sie das affig von ihr gefunden, weil eine erwachsene Frau sich so nicht benahm, aber heute fand sie es irgendwie süß. „Und jetzt verhungern wir hier alle. Wer nicht richtig isst kann auch nicht arbeiten."  Luca schüttelte seinen Kopf. „Das ist der falsche Ansatz, Spatzl. Nur wer richtig arbeitet, bekommt was zu essen, muss es heißen. Und deshalb lass uns reinhauen." Er zog Linus mit sich. „Kerle!" Genia schaute den beiden Männern hinterher, ehe sie sich wieder Ina zuwandte. „Du kennst das Haus ja noch gar nicht. Soll ich es dir erst einmal zeigen?" „Au ja", stimmte Ina sofort begeistert zu. Sie hatte es schon immer geliebt mit ihrem Vater durch irgendwelche Häuser zu laufen und sich von ihm erklären zu lassen, was er dort alles an Umbaumaßnahmen vorhatte. Ja, sie war quasi auf Baustellen groß geworden. Irgendwann hatte sie dann auch begonnen sich vorzustellen, was sie alles in den Häusern ändern würde. Irgendwie war sie aber noch nie dazu gekommen, jemandem etwas von ihren Ideen zu erzählen. Ihr Vater hatte dafür sowieso kein offenes Ohr und seit sie selbst die Firma führte, war sie einfach mit anderen Aufgaben beschäftigt und eingespannt. Für so etwas hatten sie Architekten und Bauleiter, die die Projekte betreuten. „Also, das ist hier alles natürlich schon ziemlich alt, aber dafür war das Haus sehr günstig zu haben und es liegt für uns auch perfekt, weil hier unsere Familien gleich in der Nähe wohnen." Ina zuckte innerlich zusammen und versteifte sich etwas. Gehörte sie dann doch nicht für Genia zu ihrer Familie? Schließlich wohnte sie in Düsseldorf. Sie musste schlucken. Eigentlich hatte sie das Gefühl, dass Genia das anders sah, aber scheinbar war das wohl ein Irrtum. Irgendwie piekte dieser Gedanke ganz fies. Vielleicht wollte sie sie ja doch nicht wirklich.„Bochum und Düsseldorf sind ja auch viel dichter als Dortmund und Düsseldorf. Da sind wir viel schneller beieinander." Dieser Satz ließ dieses Pieksen sofort wieder verschwinden. Sie hatte sich geirrt. Wie dumm war sie eigentlich? Es war doch offensichtlich, dass Genia sie wollte. „Und vielleicht zieht ihr ja auch noch nach Bochum. Das wäre doch toll, wenn wir hier alle auf einen Klatsch wohnen würden." Ihre Mutter grinste sie breit an. Ja, es war definitiv offensichtlich, dass sie sie gerne bei sich hatte. Und das tat richtig gut. „Siehst du, das ist das Wohnzimmer. Und da nebenan ist das Esszimmer mit Durchreiche zur Küche." Genia zuckte mit den Schultern. „Ist nur blöd, dass das alles so kleine Räume sind, dadurch wirkt alles so gedrungen und düster. Aber wenn wir da erst einmal schön Farbe reinbringen, wird das schon." Ina schaute sich um. Ja, das Esszimmer war wirklich nicht gerade riesig, genau wie das Wohnzimmer. Und die Durchreiche wirkte reichlich angestaubt. So etwas baute man schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie dachte an ihre kleine quirlige Schwester und an das Baby, das hier auch aufwachsen würde. Viel Platz zum Spielen blieb da nicht, wenn man sich noch die Möbel darin vorstellte. „Braucht ihr eigentlich wirklich ein Esszimmer?" Genia schaute sie verständnislos an. „Nee, eigentlich nicht. Aber was sollen wir machen? Ist ja nun mal eins da." Ina fing breit an zu grinsen. In ihrem Kopf hatte sich ein Bild entwickelt. „Schau mal, wenn man dort die Wand rausreißen würde, wäre das Wohnzimmer gleich viel größer und wenn mann die Wand zur Küche auch noch herausnehmen würde, dann könnte man dort einen Tresen hinbauen, an dem ihr essen könnt und alles wirkt gleich viel größer und luftiger." Genia war mit ihrem Blick ihren Fingerzeigen gefolgt und nickte nachdenklich. „Ja, so eine offene Küche finde ich cool. Da hätte ich dann auch immer die Kinder mit im Blick, wenn sie im Wohnzimmer spielen, während ich koche. Und das Ganze wäre gleich viel moderner, nicht so angestaubt." Ina nickte. „Man könnte dann auch noch ein bisschen mit indirekter Beleuchtung arbeiten, damit alles heller wirkt." „Das klingt gut. Aber meinst du, das kann man auch so machen? Also mit den Wänden und so?" Der Blick ihrer Mutter war skeptisch. „Danach frage ich am Montag sofort unseren Statiker. Also, wenn du möchtest." Genia grinste breit. „Und ob ich möchte. Aber erst muss ich noch Luca fragen und dann...." Sie verzog ihr Gesicht. „Die Kosten müssen halt auch im Rahmen bleiben." Ina schaute sie verwundert an. „Ich denke, du hast gut geerbt?" Genia nickte. „Das habe ich auch, aber das Geld brauche ich für die Stiftung." Das hätten sicher nicht viele so gesehen und vor gar nicht allzu langer Zeit hätte Ina ihr das auch nicht zugetraut, weil sie sie für eine egoistische und oberflächliche Person gehalten hatte. Man, hatte sie sich geirrt, dachte sie sich schuldbewusst und zog ihr Tablett mit dem Stift aus der Tasche, das sie immer bei sich trug. Mit ein paar schnellen Strichen begann sie zu skizzieren. „Was hältst du davon? So hätte ich mir das vorgestellt." Genia schaute interessiert auf ihre Zeichnung. „Das ist mega. Genau so würde mir das gefallen. Aber selbst wenn das so möglich ist, wo bekommen wir auf die Schnelle die Handwerker her? Wir wollen auf alle Fälle noch vor der Geburt einziehen. Und wenn möglich so lange wie möglich vor der Geburt, sonst fesselt mich Luca nachher irgendwo ans Sofa und ich darf nicht einmal die Schränke einräumen."  „Also die Handwerker sind garantiert kein Problem. Zufälligerweise hast du ja eine Tochter mit einer Baufirma", grinste Ina ihre Mutter breit an. Ja, sie würde schon dafür sorgen, dass der Umbau ganz schnell umgesetzt würde. Dann musste halte ein anderes Projekt warten. Die Familie ging vor. Der Satz klang irgendwie so richtig gut. „Und ich habe eine Tochter, die ein kleine Architektin ist", zwinkerte Genia ihr zu und zog sie in ihre Arme. Kleine Architektin! Ina musste schlucken. So hatte sie ihre andere Mutter früher auch genannt, wenn sie wieder ein Haus gezeichnet hatte.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt