Kapitel 3

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Mit einem unterdrückten Stöhnen stellte Ina die Einkaufstüten im Wohnzimmer ab. Seit wann war Shopping so anstrengend geworden? Die Antwort schoss ihr schnell durch den Kopf. Seit Natascha scheinbar in die Pubertät kam und ihren eigenen Kopf entwickelte. Sowie es aussah, hatte ihre Schwester wohl nicht die Absicht genauso angepasst wie sie diese Zeit zu durchlaufen. „Na, hattet ihr Spaß beim Geld ausgeben?" Linus war zu ihr getreten und drückte ihr zur Begrüßung seine Lippen auf ihre. Das lenkte sie wenigstens kurz von ihren schmerzenden Füßen ab. Sie hätte noch bevor sie zu Natascha in die Stadt gefahren war, ihre hochhackigen Büroschuhe gegen ein paar bequeme Ballerinas wechseln sollen. Blöderweise war sie aber so in Eile, dass sie es vergessen hatte. Deshalb waren die schmerzenden Fußsohlen jetzt auch der Preis, den sie dafür zahlen musste, dass sie wenigstens noch zwei wichtige Telefonate erledigt bekommen hatte. „Ja, ich habe ein paar ganz tolle Kleider bekommen." Natascha stand strahlend vor Linus, der ihr durch ihre Haare wuschelte. „Cool, zeigst du sie mir?"  Ihre Schwester rannte zu ihren Einkaufstüten und begann zu kramen. „Und du setzt dich erst einmal hin und machst es dir bequem, während ich dir deine Füße massiere. Ich höre sie nämlich schon vor Schmerzen in diesen Folterdingern schreien." Ja, Linus war wohl einer der wenigen Männer, die nicht auf hochhackige Pumps an Frauenfüßen abfuhren. Wenn es nach ihm ginge, hätte sie auch die ganze Zeit in bequemen Sneakers herumlaufen können. Aber das kam im Büro überhaupt nicht in Frage. Ihr Vater hatte Ina schon früh genug eingebläut, dass Kleider Leute machten und dass man gut gekleidet eine viel höhere Akzeptanz hatte. Für ihn gehörten deshalb auch hübsche Absatzschuhe an die Füße seiner Tochter. Wie hatte er immer gesagt? „Größe hat auch etwas mit der Außendarstellung zutun und da können dir die paar Zentimeter mehr als Frau auch nichts schaden. Du wirst den Männern sowieso immer unterlegen sein, aber das müssen sie ja nicht sofort merken." Ja, ihr Vater hatte nie viel von Frauen im Geschäft gehalten. Für ihn waren sie nur Beiwerk, das seine Verhandlungspartner ablenkte, während er sie über den Tisch zog. Sie verdrängte schnell wieder den Gedanken an ihren Vater, auch wenn sie ihn im Geiste schimpfen hörte, als Natascha ihr erstes Kleid Linus vorführte. Es war ein einfaches Jeanskleid. „Das haben wir in dem total angesagten Laden in der City gekauft. Er heißt nach einer Stadt in Amerika", grinste sie breit. „Da gehen nämlich alle angesagten Mädels aus meiner Klasse einkaufen und nicht bei diesem ollen Laden auf der Kö, wo alles nur die blöden ollen englische Karos hat." „Du meinst Burberry", stöhnte Ina. Seit Natascha klein war, wurde sie dort eingekleidet. Erst von ihrer Mutter und dann von ihr. Genau wie Ina dort immer eingekleidet worden war, ehe sie auch die anderen Designerläden auf der Kö entdeckt hatte. Heute hatte ihre Schwester aber darauf bestanden auch um die Ecke in die billigere Gegend der Fußgängerzone von Düsseldorf abzubiegen. „Du meinst New Yorker?" Linus zwinkerte ihrer kleinen Schwester zu, die sofort begeistert nickte. „Siehst du Inibini, Linus kennt den Laden auch. Der ist voll cool. Da gibt es nicht nur so alten langweiligen Plunder." Na ja, was das Wort Plunder anging, würde Ina das schon eher mit der Qualität dort in Verbindung bringen, als mit den Designerklamotten, die sie normalerweise kauften. „Ich habe da früher auch immer meine Jeans gekauft." Linus dachte an die Zeiten seiner Jugend als er noch nicht das Geld hatte sich eine teurere Markenjeans zu kaufen. Ja, er war nicht mit dem goldenen Löffel im Mund aufgewachsen. Seine Mutter hatte an der Supermarktkasse gesessen und gerade einmal genug Geld mit nach Hause gebracht, um den Lebensmittelbedarf für ihn und seine Schwestern abzudecken. Sein Vater hatte auf dem Bau den Rest des Familienunterhalts verdient. Da waren nicht viel Sprünge, die sie machen konnten. Es hatte immer nur für das Nötigste gereicht, jedenfalls, wenn es um das  Materielle ging. An Liebe und Zuneigung hatte es in seiner Familie nie gemangelt. Und auch nicht an Verständnis. Nein, sein Eltern hatten sogar verstanden, dass er damals nach diesem schrecklichen Vorfall im Büro der Werbeagentur in der er gearbeitet hatte, alles hinwarf und einfach nur die Welt erkunden wollte, anstatt sie mit seinem Gehalt zu unterstützen. Sie hatten ihm immer den Rücken gestärkt. Egal, was er gerade plante. Und sie hatten immer versucht ihm zu helfen, soweit es ihnen möglich war. Auch als er damals zu studieren begonnen hatte, anstatt sich eine Ausbildung zu suchen und zum Familienunterhalt beizutragen, genau wie seine beiden Schwestern. Alle drei Kinder hatten studiert und seine Eltern waren mächtig stolz darauf. „Ja, die Jeans da sind voll nice. Ich habe mir auch welche ausgesucht." Nataschas Augen strahlten vor Begeisterung. Deshalb unterließ er es auch, ihr zu sagen, dass er seine Jeans heute doch lieber von anderen Marken kaufte, die ein wenig haltbarer waren. Sein Blick fiel zu Ina, die nicht nur erschöpft, sondern wenig begeistert von Nataschas Auswahl schien. „Hast du dir denn auch etwas Schönes gekauft?", versuchte er sie in die Unterhaltung mit einzubeziehen. Sofort tauchte auch ein ebenso strahlendes Lächeln in Inas Gesicht auf, wie vorher in dem ihrer Schwester.  „
Ja, wir haben uns auch noch beide ein schönes Etuikleid bei Dior für die Hochzeit gekauft." Natascha gab ein Stöhnen von sich. „Immer muss ich wie ein Zwilling von dir rumlaufen." Ina verstand diesen Protest überhaupt nicht. Bis vor kurzem hatte es ihrer Schwester doch immer gefallen, wenn sie die gleichen Kostüme und Kleider trugen. Sie hatte es auch immer geliebt als kleine Kopie ihrer Mutter herumzulaufen und hatte das dann genauso bei Natascha fortgeführt. „Ja, Zwillinge sind echt lästig, nie ist man alleine", lachte Linus. Schließlich wusste er nur zu gut, wie es war, wenn es da noch jemanden gab, mit dem man sich sogar den Bauch der Mutter hatte teilen müssen. Glücklicherweise war es aber in seinem Fall seine Zwillingsschwester, so dass seine Mutter nie wirklich auf die wahnwitzige Idee hatte kommen können, sie gleich anzuziehen. „Jaaa!Das sagen Sofie und Anna in meiner Klasse auch immer", kicherte Natascha „Aber Ina ist ja auch nicht mein Zwilling und deshalb habe ich sie ganz doll lieb." Natascha umarmte ihre Schwester überschwänglich. „Danke, Inibini, dass du mit mir einkaufen warst." Sie schnappte sich ihre Tüten und verschwand. „War heute wohl ziemlich anstrengend mit ihr?" Ina nickte nur als Antwort und sie sah schlagartig wieder abgespannt aus. Linus machte sich schon eine ganze Weile Gedanken darüber, wie er es schaffte, dass sie mal etwas kürzer trat.    Es wurde wirklich Zeit, dass sie endlich in den Urlaub kamen und sie sich etwas erholen konnte.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt