Kapitel 21

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Ina starrte auf den Bauplan in ihren Händen. Sie hatte immer noch keine Lösung gefunden. Dabei hatte sie so gehofft, dass ihr Vater ihr dabei helfen konnte. Sie hatte den Plan extra mit in die Seniorenresidenz genommen. Es war eine ganz stille Hoffnung gewesen, ihn damit mal wieder aus sich herauszulocken. Früher hätten ihren Vater keine 10 Sumoringer in seinem Bett oder Rollstuhl gehalten, wenn es um einen Bauplan mit Problemen gegangen wäre. Und mit seinem ganzen Fachwissen hätte er sofort eine Lösung gefunden. Da war sie sich sicher. Aber was hieß das im Umkehrschluss? Hatte er kein Interesse mehr an der Firma und an Bauplänen? Oder war er dazu geistig nicht mehr in der Lage? Das war, wenn man seinen Zustand realistisch betrachtete, wohl der eigentliche Grund. Natürlich wollte Ina es so nicht sehen, denn sie hatte ganz tief in sich immer noch die Hoffnung, dass ihr Vater irgendwann doch wieder ihr alter Papa war, so wie sie ihn ihr Leben lang gekannt hatte. Aktiv, geschäftstüchtig und an allem interessiert.....und liebevoll. Der Mann, den sie aber vor nicht einmal einer Stunde besucht hatte, war alles andere als das. Er war unleidlich und unzufrieden, während er in seinem Rollstuhl gesessen hatte und sie ihn durch den Garten schob. Nicht einmal hatte er versucht sie anzulächeln, nicht einmal als sie die Baupläne aus der Tasche gezogen hatte.  Es war ihr wirklich ein Rätsel mit was sie ihn noch begeistern sollte. In einem kurzen Gespräch hatte ihr die Stationsschwester erklärt, dass man ihm in den nächsten Tagen eine Bluttransfusion geben wollte, um seine Vitalwerte etwas zu verbessern und seinem Körper einen kleinen entsprechenden Kick zu geben. Vielleicht würde er sich ja dann wieder berappeln. Ja, das musste einfach kicken. Sie brauchte dringend sein Fachwissen und noch viel wichtiger, sie brauchte ihren Vater wieder an ihrer Seite und nicht nur seinen Schatten. Bei dem Gespräch über die Bluttransfusion war ihr wieder eingefallen, dass sie noch einen Notfallpass für Natascha anschieben musste. Das würde sie gleich am Montag in Angriff nehmen und einen Termin machen, auch wenn ihre Schwester garantiert wieder die kleine Dramaqueen geben würde, wenn es darum ging ihr Blut abzunehmen. „Man, man, man. Ich habe ganz vergessen wie anstrengend Frauen sein können, wenn sie in der Mehrzahl sind, egal welches Alter sie haben." Linus Vater ließ sich stöhnend neben ihr auf dem Sofa nieder. Ina musste schmunzeln. Irgendwie mochte sie diese geradlinige Art von Thomas. „Was haben denn Astrid und Natascha angestellt?" Sie war glücklich, dass Linus Eltern sich ihrer Schwester wie einer Enkelin angenommen hatten. „Ich wollt ja man nur eine Fahrradtour am Rhein lang machen, damit die Astrid endlich Ruhe gibt. Und dann kamen die beiden Deerns auf die Idee noch in die Altstadt zu müssen. Also habe ich mir gedacht, ist ja Sonntag. Kein Problem, ein bisschen Windowshopping und dann sind wir durch." Er schüttelte seinen Kopf und verzog das Gesicht. „Wer konnte denn ahnen, dass da verkaufsoffener Sonntag ist. Das ist auch so ein Ding, das sich nur eine Frau hat einfallen lassen, um ahnungslose Männer zu quälen." Ina konnte ein Lachen nicht unterdrücken, denn sie hatte so das Gefühl, dass Thomas im Gegensatz zu Astrid und Natascha der einzige war, der nichts vom verkaufsoffenen Sonntag wusste. „Na, hast du dein Leid zu Ende geklagt?" Astrid war grinsend im Wohnzimmer aufgetaucht und schwenkte ein paar Tüten in ihrer Hand, genau wie Natascha neben ihr. „Die Lütte und ich haben wenigstens eine kleine Entschädigung dafür verdient, dass du mit dem Rad gefahren bist als wäre gerade die letzte Etappe der Tour de France." So wie Astrid und Natascha sich zuzwinkerten, war klar, dass Ina mit ihrer Vermutung richtig lag und die beiden Thomas ins offene Messer hatten laufen lassen. Und wahrscheinlich war Linus ihm da auch keine große Hilfe, denn der shoppte selbst mal ganz gerne. „Wo ist Linus überhaupt?" Erst jetzt fiel ihr auf, dass er fehlte." „Er räumt die Fahrräder noch weg. Wie war es denn bei deinem Vater? Hat er sich über deinen Besuch gefreut?" Astrid war zwar erst etwas enttäuscht gewesen, dass Ina die Radtour nicht mitgemacht hatte, hatte aber dann gleich Verständnis dafür gezeigt, dass sie ihren kranken Vater besuchen wollte und ihr ein großes Stück von dem Geburtstagskuchen für ihn eingepackt. Ihr Vater hatte es aber nicht einmal mit einem Blick gewürdigt. Ina war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt an Nataschas Geburtstag gedacht hatte. Ina nickte nur als Antwort. „Und konnte er dir mit dem Problem helfen?" Linus war wie aus dem Nichts aufgetaucht und drückte ihr einen Begrüßungskuss auf die Lippen. „Nein, leider nicht." „Was denn für ein Problem?" Astrid schaute sie neugierig an. „Vielleicht kann ich dir ja helfen?" Klar kam dieses Angebot sofort von ihr. Sie wollte immer sofort zur Hand gehen. „Das glaube ich nicht, Mom. Es sein denn du kennst dich mit Bauplänen aus und kannst das Bauamt überzeugen den Bauplan zu genehmigen." Linus schmunzelte in Richtung seiner Mutter. Wahrscheinlich dachte er gerade das gleiche wie Ina. Astrid konnte durchaus überzeugend sein, da würde vielleicht der Typ vom Amt sogar einknicken. „Nee, aber der Papa kennt sich mit solchen Plänen aus. Thomas, schau du doch mal da rauf und hilf den Kinner." „Wo habt ihr denn den Plan?" In Thomas Augen blitzte Interesse auf. „Hier" Ina reichte ihm das Papier, das sie in der Hand hielt und Linus Vater faltete es sofort auseinander. Sein Blick glitt über die Zeichnung und ein breites Grinsen trat in sein Gesicht. „Das ist echt ein schöner Entwurf, aber das hier geht ja mal überhaupt nicht." Mit seinem Finger deutete er auf einen Punkt der technischen Zeichnung oder mit anderen Worten, er legte gerade seinen Finger in die Wunde. Ja, genau der gleichen Meinung war nämlich auch das Bauamt und verweigerte die Genehmigung. „Schau mal da.... " Mit seinem Finger deutete er auf einige Stellen und Ina hörte ihm gebannt zu. Alles, was er sagte, hörte sich sinnvoll an. Nein, nicht nur sinnvoll, sondern wie der Ansatz nach dem sie schon die ganze Zeit suchte, denn ihr Architekt weigerte sich absolut etwas an seinem Entwurf zu ändern, weil sonst das ganze Konzept zerstört war. Deshalb hatte sie ihn auch gefeuert und stand jetzt alleine da. „Danke, für deine Hilfe." Ina war total begeistert. Nach einer längeren Diskussion hatten sie dank Thomas Fachwissen zusammen endlich die Lösung gefunden.  „Da mal nich für. Manchmal denkt man echt die Architekten hätten einmal über den Konstruktionstisch gekotzt und wir sollen es dann nachbauen. Das sind alles nur Fachidioten, die aber null Ahnung von der Umsetzung haben. Bei uns in der Firma ist es nicht anders. Diese überteuerten Planungen. Irgendwann platzt dann die Seifenblase und dann sind alle bankrott.  Manchmal frage ich mich da echt, wie lange das noch gut gehen soll. Wir machen gute Arbeit und die da oben vermasseln es dann doch." Er winkte mit der Hand ab. „Na ja, bis zu meiner Rente wird es schon noch reichen." So wie er seine Stirn kraus zog, machte er sich wohl ernstlich Gedanken. „Wenn nicht kommst du zu uns in die Firma", platzte es aus Ina heraus. Ja, das meinte sie wirklich so und in ihr keimte kurz der Gedanke auf, dass sie sich über eine Insolvenz von Thomas Firma irgendwie freuen würde. Machte sie das zu einem schlechten Menschen? Irgendwie schon, musste sie zugeben. Aber andererseits hatte es ihr so viel Spaß gemacht mit ihm über den Bauplan zu diskutieren. So viel Freude hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Das war wie mit ihrem Vater früher.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt