Kapitel 125

185 39 14
                                    


Linus ließ seinen Blick hoch zum Himmel wandern. Dort durchzogen ein paar kleine weiße Federwolken das leuchtende Blau. Die Sonne schickte warme Strahlen auf seinen Neoprenanzug. Linus bückte sich und griff nach dem Board, das er heute morgen aus Césars Keller geholt hatte. Mit seiner freien Hand strich er über das glatte Material des Boards. Man, wie hatte er das vermisst. „Na Alter, ich hätte gar nicht erwartet, dass du deinen Astralkörper noch in den Anzug bekommst", feixte ihn sein spanischer Freund an und klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter. „So, jetzt zeigen wir aber mal den Wellen, wer hier der Boss ist." Linus nickte nachdenklich. Ja, heute gab es trotz des wirklich schönen Wetters einen ziemlich guten Wind und damit verbunden auch ganz gut Wellen. Die Frage war nur, ob er denen auch wirklich gewachsen war. Viel zu lange hatte er pausiert. „Macht sich da einer in die Hosen?" Fernando war breit grinsend zu ihnen getreten und sein Blick ruhte auf Linus, der bei Fernandos Anblick schmunzeln musste. Auf seinem Kopf thronte eine Weihnachtsmannmütze und über seinem Neo hatte er ein T-Shirt mit einem Grinch. „Wenn kann er sich ja höchstens in den Neo machen", konterte César sofort. „Klugscheißer!", kam der prompte Return von Fernando. „Wer einmal surfen konnte, verlernt das nie." Fernandos großer Bruder Pablo klopfte Linus ermutigend auf die Schulter. „Das ist wie Fahrrad fahren oder schwimmen. Das verlernt man auch nie. Du wirst vielleicht zwei oder drei Wellen brauchen, bis du wieder das perfekte Feeling bekommst, aber dann ist es garantiert wieder da." Na, das hoffte Linus doch auch. Ungern würde er sich hier vor den anderen Kerlen blamieren. „Und bis dahin hast du ja uns. Wir sagen dir schon, wann es los gehen kann." César griff sich auch sein Board, genau wie die andern beiden. „Na dann los, lasst es uns Neptun zeigen." Fernando hüpfte mit seinem Board unter dem Arm wie ein Schattenboxer hin und her. Manchmal war Linus Mitbewohner echt wie ein hyperaktives Kleinkind. Das sah Pablo wohl auch, denn er gab seinem kleineren Bruder eine leichte Kopfnuss. „Hör auf hier den Clown zu machen, sonst trifft dich Neptuns Dreizack gleich in den Hintern und dann kann ich wieder den halben Tag im Krankenhaus mit dir verbringen und  hinterher Mama erklären, warum ihr kleiner einen Verband trägt." Linus schaute überrascht zu den beiden. „Letztes Jahr ist er schon am Strand mit seinem Board gestolpert. Er hat sich den Kopf angeschlagen." Fernando zuckte grinsend mit den Schultern. „Sowas passiert." „Ja, jetzt hat er aber wenigstens immer eine Ausrede, warum er ein Ding am Kopf hat", lachte César und Linus und Pablo fielen mit ein. Nur Fernando zog einen Flunsch, grinste aber ein paar Sekunden später auch wieder.
Mit jedem Schritt durch den Sand, der Linus dem Meer näher brachte, fing sein Herz schneller an zu schlagen. Der Sand rieselte von seinen Füßen und suchte sich seinen Weg zwischen seinen einzelnen Zehen. Das fühlte sich so gut und gleichzeitig auch so vertraut an. Ja, das war es unteranderem, was er vermisst hatte.......und dann.....dann spürte er das kühle Nass an seinen Fusssohlen. Die ersten kleinen Wellen umspülten seine Knöchel. Und auch das fühlte sich verflucht gut an. Linus lief entschlossen ein paar Schritte weiter ins Meer, ehe er sich auf sein Board legte und mit den Armen zu paddeln begann. Alles funktionierte wie automatisch. Selbst das Abtauchen als eine größere Welle auf ihn zurollte. Und dann war es soweit. Linus saß erwartungsvoll auf seinem Board und beobachtete die Wellen, genau wie die anderen drei Männer neben ihm.  „Da hinten kommt eine. Das sehe ich schon, wie die ran rollt." Fernando deutete aufgeregt in die Richtung der vermeintlichen Welle.  Aber ehrlich gesagt, könnte er damit recht haben. Das sagte auch Linus Feeling. Er machte sich also startklar. Keine Minute später stemmte er sich auf sein Board hoch und glitt mit der Welle Richtung Strand. Ja, er hatte nichts vergessen. Linus schaffte es die Welle bis zum Strand zu surfen. Erst dort sprang er vom Board. Das war so ein herrliches Gefühl gewesen. „Mensch Alter, du hast es echt noch drauf!" César war neben ihm aufgetaucht und sie paddelten gemeinsam wieder ein Stück hinaus.....

„Wahnsinn, das war so geil!" Linus zog den Reisverschluss seines Neopren auf und schüttelte seine nassen Haare aus. In den letzten paar Stunden hatte er beim Surfen jede Menge Spaß gehabt. „Ich habe dir doch versprochen, dass du mit uns mehr Spaß hast  als in den ganzen letzten Jahren zusammen", grinste Fernando ihn breit an und wrang seine Weihnachtsmütze aus. Erstaunlich, dass die wirklich die ganze Zeit auf seinem Kopf gehalten hatte. Er winkte kurz ab. „Ach was heißt letzte Jahre, in deinem ganzen Leben. Wir sind einfach legendär." Pablo legte seinen Arm um die Schulter seines Bruders. „Deine Übertreibungen sind das einzige, was hier legendär ist. Und vielleicht die Tatsache, dass du heute noch nicht einmal ein Pflaster gebraucht hast. Aber andererseits bist du ja auch noch nicht wieder umgezogen." Linus beobachtete das kleine Bruderduell, was sich aus diesem Wortgefecht entwickelte stumm. In seinem Kopf echote stattdessen der Satz von Fernando. Hatte er gerade wirklich mehr Spaß als in den ganzen letzten Jahren zusammen gehabt? Seine Gedanken wanderten zu Ina. Nein, das wäre absolut unfair, das zu behaupten. Mit Ina hatte er nicht nur Spaß gehabt, er hatte sich angekommen gefühlt. Und wieso war er dann jetzt nicht bei ihr? Jedenfalls nicht, weil es an ihr lag. Nein, es hatte ganz alleine an ihm gelegen, dass er plötzlich seine Vergangenheit nicht mehr im Griff hatte. Glücklicherweise hatte er das ja jetzt wieder. Sein Blick wanderte über den Strand zum Meer. Dort sah er ein Paar Hand in Hand entlang schlendern. Die Frau hatte genauso blonde Haare wie Ina. Manno, wie gerne hätte er sie jetzt hier bei sich. Wie gerne würde er mit ihr auch so am Strand spazieren gehen. In seinem Innern regte sich ein Gefühl. Er brauchte nicht lange zu überlegen, was das für ein Gefühl war. Sehnsucht und Liebe. Aber war er wirklich schon wieder fit genug, um zurück zu Ina zu gehen? Er durfte sie auf keinen Fall noch einmal enttäuschen. Nein, noch einmal vergab sie es ihm mit Sicherheit nicht, wenn er einfach verschwand, um sie zu schützen. Wer sagte ihm überhaupt, dass sie ihm vergab? Vielleicht wollte sie ihn auch nie wieder sehen? Nein, versuchte Linus sich zu beruhigen. Er hatte ihr ja die Nachricht dagelassen und wenn er ihr alles erklärte, dann würde sie ihn verstehen. Würde sie das wirklich? Sie musste es, denn er liebte sie doch aus ganzem Herzen. Das war ihm nicht erst heute klar geworden.

Schuss und Treffer -  in der zweiten Mannschaft   ✔️    Teil 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt