„Linus, das Essen ist fertig!" Auch beim zweiten Ausruf, geschah nichts. Ina zuckte mit den Schultern und lief die restlichen Treppenstufen hinauf. Sie bog in den kleinen Flur ab, von dem die ganzen Türen zu den Schlafzimmern und zum Bad abgingen. Man, war das hier duster. Okay, draußen war es ja auch schon seit Stunden stockfinster. Ina blieb kurz stehen, damit sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnten, ehe sie weiter lief. „Linus!" Wieder keine Reaktion. Okay, dann saß er wahrscheinlich auf dem Bett am Laptop und hatte seine Kopfhörer auf. Die laute Musik, die er immer hörte, ließ keine anderen Geräusche durch. Obwohl, Ina war sich nicht sicher, dass dieser gleichmäßig produzierte Lärm wirklich als Musik zu bezeichnen war. Also ihr Musikgeschmack unterschied sich da wirklich meilenweit voneinander. Während Ina die Klassik liebte, hörte Linus alles quer Beet. Hauptsache es war laut und schnell. Da unterschied er sich nur wenig von ihrer kleinen Schwester. Ina musste schmunzeln. Schon komisch, dass ihre beiden Mütter unabhängig voneinander die klassische Musik liebten und ihr das vererbt beziehungsweise anerzogen hatten. Irgendwie waren sich die beiden ähnlicher, als sie es jemals erwartet hätte. Bei dem Gedanken wie sie Genia früher betrachtet hatte, schwappte sofort schlechtes Gewissen in ihr hoch. Sie hatte sich da einfach ein voreingenommenes Bild gefertigt, ohne den Menschen wirklich richtig zu betrachten. Das war Mist, das hatte sie daraus gelernt. Voreingenommenheit brachte einen nicht weiter. Sie stand einem nur im Weg. Man musste auch mal hinter die Fassade schauen. Ja, noch einmal würde ihr das so nicht passieren. Jetzt würde sie aber erst einmal hinter die Schlafzimmertür schauen. Vor ihren Augen hatte sie schon das Bild on Linus, der sie wahrscheinlich immer noch nicht bemerken würde. Sie müsste nicht einmal zum Bett schleichen, um ihn mit einem Kuss zu überraschen. Manchmal waren diese dicken Kopfhörer auf dem Kopf doch auch ein Komplize. Schwungvoll riss sie die Tür auf. Alles was ihr entgegenschlug war aber Dunkelheit. Okay, dann hatte sich Linus vielleicht etwas hingelegt. Die Nacht auf dem Sofa war bestimmt nicht sonderlich erholsam. Sofort spürte Ina wieder das schlechte Gewissen in sich aufsteigen. Alles nur, weil sie in letzter Zeit so vieles vernachlässigt hatte. Auf leisen Sohlen schlich Ina zum Bett. Ihr Plan hatte sich nur geringfügig geändert. Anstatt ihn mit einem Kuss zu überfallen, würde sie ihn liebevoll mit einem Kuss wecken. Langsam tastend schob sie sich in Richtung Bett. Okay, sie hatte das Bettgestell mit ihrem Schienbein ertastet und musste ein leises Stöhnen unterdrücken. Verflucht, zwiebelte das gerade. Und irgendetwas hatte geraschelt. Egal! Wenigstens war sie an ihrem Ziel angekommen. Sie beugte sich herunter, um Linus zu ertasten. Alles, was sie aber unter ihren Fingern spürte, war der kühle Stoff der Bettwäsche. Das.....das war...Inas Hand wanderte zum Nachtisch und zu der Lampe, die darauf thronte. Das Zimmer erstrahlte in hellem Licht und Ina musste kurz ihre Augen zusammenkneifen. Was waren das bitte? Richtstrahler oder Nachttischlampen? Das musste sich auch ändern, schoss es ihr durch den Kopf. Das Schlafzimmer sollte gemütlich sein und nicht die Lichtverhältnisse eines Büros haben, damit man dort noch arbeiten konnte. Nein, das Schlafzimmer sollte zum Schlafen da sein und zu nichts anderem.....obwohl! Ina fiel spontan noch etwas anderes ein, aber auch dazu brauchte man keine Festtagsbeleuchtung. Inas Blick ging zu dem unberührten Kopfkissen vor ihr und ein leichtes Gefühl von Enttäuschung durchspülte sie. Okay, Linus war nicht hier. Ihr Blick wanderte weiter. Die Schranktüren standen weit offen und Linus Büroklamotten lagen einfach zusammengeknüllt auf der Erde davor. Ina schüttelte schmunzelnd ihren Kopf. Okay, dann hatte es wohl jemand eilig gehabt. Sie bückte sich und schnappte sich das Sakko und die Hose, um beides ordentlich über diesen stillen Diener zu hängen, der noch ein Überbleibsel von ihrem Vater war...... so wie auch der Rest der Schlafzimmereinrichtung. Das erste Mal wurde Ina wirklich bewusst, dass in diesem Bett früher ihre Eltern geschlafen hatten. Sie musste an die Tagebücher ihrer Mutter denken. Nein, das war eigentlich kein gutes Omen.....genaugenommen nicht nur kein gutes Omen. Es war eher schon irgendwie sonderbar und abartig. Damals war sie, als feststand, dass ihr Vater ins Pflegeheim musste, mit Linus einfach in dieses Zimmer gezogen. Sie hatte damals so viel um die Ohren, dass sie gar nicht daran gedacht hatte, es umzugestalten. Und wenn sie ganz ehrlich war, war es damals auch für sie ein kleines bisschen tröstend gewesen, dort zu schlafen, weil sie sich ihren Eltern dann nahe gefühlt hatte. Das fühlte sich jetzt aber anders an. Gleich nach Weihnachten würde sie in ein Möbelhaus fahren und für eine neue Einrichtung sorgen. Ina schob auch Linus Schuhe unter dieses hässliche Holzgestell und schloss die Schranktüren. So wie es aussah, hatte er sich wohl beeilt in seine Sportklamotten zu kommen. Ja, das machte er in letzter Zeit öfter, dass er abends gleich nach der Arbeit noch schnell eine Runde laufen ging. In Ina kroch die übliche Sorge hoch. Hoffentlich lief er nicht irgendsoeine unbeleuchtete unwegsame Strecke. Im Dunklen war die Verletzungsgefahr ja nicht unerheblich. Da reichte schon ein Ast oder eine Baumwurzel, die man übersah, damit man stürzte und sich wehtat. Ina schüttelte den Kopf und hörte im Geiste Linus Stimme: „Pepincito, du musst dir keine Sorgen machen, ich passe schon auf und laufe nur gut beleuchtete Strecken." Das hatte er ihr schon oft genug versichert. Etwas beruhigte machte sie sich auf den Weg hinunter ins Wohnzimmer. Sie setzte sich auf das Sofa und zog sich die Decke von der Lehne, um es sich etwas gemütlicher zu machen. Sofort schlug ihr wieder der leichte Duft von Linus Rasierwasser in die Nase und es breitete sich ein noch größeres Wohlgefühl in ihr aus. Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück. Dann würde sie mit dem Essen halt noch etwas warten. Bestimmt kam Linus gleich.....
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Schuss und Treffer - in der zweiten Mannschaft ✔️ Teil 13
RomanceLinus und Ina sind schon seit zwei Jahren ein Paar. Gemeinsam führen sie das Bauunternehmen von Inas Vater, der seit seinem Herzinfarkt ein Pflegefall ist. Für Ina war der Weg in die Firma schon von kleinauf vorgezeichnet. Linus hatte sich sein Lebe...